Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die diabetische Ketoazidose

Retrospektive Studie aus England

Das Auftreten einer DKA ist ein lebensbedrohlicher Zustand, der bei Diabetes-Patienten entstehen kann.1 DKA treten am häufigsten bei Patienten mit Typ-1-Diabetes auf, werden aber auch bei anderen Manifestationen der Erkrankung beobachtet. Mit Aufkommen der COVID-19-Pandemie wurden diverse Risikofaktoren für einen schweren SARS-CoV-2-Verlauf identifiziert, worunter neben hohem Alter, sozioökonomischer Deprivation, männlichem Geschlecht und nichtkaukasischer ethnischer Zugehörigkeit auch chronische Erkrankungen wie Diabetes fallen.2 Im bisherigen Verlauf der Pandemie konnte dabei ein klarer Anstieg an DKA beobachtet werden, was zur Annahme führte, dass COVID-19 zur Entstehung von Ketoazidosen beitragen kann.3 Um diese Hypothese zu überprüfen, wurde in Großbritannien eine retrospektive Studie durchgeführt, in der die DKA-Fallzahlen während der ersten und zweiten Welle sowie in den Monaten dazwischen mit entsprechenden Zeiträumen der vergangenen Jahre verglichen wurden. Die Studienautoren publizierten ihre Ergebnisse vor Kurzem im Fachjournal The Lancet Diabetes & Endocrinology.4

Studiendesign

Die Daten für die Studie stammten aus dem Secondary Uses Service (SUS), einer dem NHS zugehörigen Datenbank mit umfangreichen Patientendaten aus allen englischen Krankenhäusern, wodurch DKA-assoziierte Hospitalisierungen identifiziert werden konnten. Der Diabetes-Status der Patienten konnte dabei durch Verknüpfung der SUS-Datenbank mit den Daten des National Diabetes Audit (NDA) eruiert werden. Für die Untersuchung wurden drei in der COVID-19-Pandemie liegende Zeiträume gewählt: die erste Welle (1. März bis 30. Juni 2020), die Zeit unmittelbar nach der ersten Welle (1. Juli bis 31. Oktober 2020) sowie die zweite Welle (1. November 2020 bis 28. Februar 2021). Die Perioden mussten anschließend mit Mittelwerten von präpandemischen Zeiträumen der Jahre 2017–2020 verglichen werden. Dabei wurden drei Patientengruppen identifiziert: Patienten mit Typ-1-, Typ-2- oder neu diagnostiziertem Diabetes, wobei andere Diabetes-Formen ausgeschlossen wurden. Störfaktoren waren dabei unter anderem Alter, Geschlecht und ethnische Zugehörigkeit. Der primäre Studienendpunkt war die Anzahl an DKA-assoziierten Hospitalisierungen während der ersten Welle, unmittelbar danach und während der zweiten Welle, verglichen mit den Daten der vergangenen Jahre. Der sekundäre Endpunkt war die Anzahl der DKA-assoziierten Hospitalisierungen nach Diabetes-Typ und weiters nach Alter, Geschlecht und sozioökonomischer Deprivation innerhalb des jeweiligen Diabetes-Typs.

Anstieg der DKA-Hospitalisierungen während der Pandemie

In den englischen Notaufnahmen wurden in der ersten Welle 8.553 Patienten aufgrund von DKA aufgenommen. Im Zeitraum unmittelbar danach waren es 8.729 und in der zweiten Welle 10.235. Im Vergleich zum Mittelwert der vergangenen Jahre wurde somit ein Anstieg von 6 % (95%-KI 4–9; p < 0,0001) in der ersten Welle, von 6 % (95%-KI 3–8; p < 0,0001) im unmittelbaren Zeitraum danach und von 7 % (95%-KI 4–9; p < 0,0001) in der zweiten Welle beobachtet.

Unterschiedliche Verteilung nach Diabetes-Typ: Im Vergleich zu den Vorjahren ging die Anzahl an DKA-assoziierten Hospitalisierungen bei Patienten mit Typ-1-Diabetes während der ersten Welle um 19 % zurück. Bei Patienten mit Typ-2- oder neu diagnostiziertem Diabetes wurde dagegen ein Anstieg von jeweils 41 % und 57 % beobachtet. Eine ähnliche Verteilung trat auch im Zeitraum zwischen der ersten und der zweiten Welle auf: Die Anzahl der Typ-1-Diabetes-Patienten, die mit einer DKA vorstellig wurden, reduzierte sich um 14 %, während sie bei Patienten mit Typ-2- oder neu diagnostiziertem Diabetes zunahm (jeweils 30 % und 56 %). Zuletzt wurde diese Verteilung auch in der zweiten Welle beobachtet, wo die Anzahl der Typ-1-Diabetes-Patienten um 25 % abnahm und bei Patienten mit Typ-2- oder neu diagnostiziertem Diabetes um jeweils 50 % und 61 % anstieg. Illustriert ist der zeitliche Verlauf der DKA-assoziierten Hospitalisierungen in den drei Patientengruppen in der Abbildung.

 

 

Zusammenhang mit COVID-19: In der ersten Welle wurden 12 % der Patienten, die aufgrund einer DKA hospitalisiert werden mussten, mit einer SARS-CoV-2-Infektion diagnostiziert. Dabei zeigten sich auch hier unterschiedliche Verteilungen abhängig vom Diabetes-Typ. 6 % der Patienten mit Typ-1-Diabetes wurden positiv diagnostiziert, 23 % der Patienten mit Typ-2-Diabetes und 7 % mit neu diagnostiziertem Diabetes. Im Zeitraum unmittelbar nach der ersten Welle wurden 4 % mit COVID-19 diagnostiziert, in der zweiten Welle stieg diese Zahl auf 23 % an. Auch hier wurden Unterschiede bei den Diabetes-Manifestationen beobachtet: 12 % der COVID-19-Fälle hatten Typ-1-Diabetes, 40 % Typ-2-Diabetes und 16 % wurden neu diagnostiziert.

Altersverteilung: Das mittlere Alter der DKA-Patienten mit Typ-1-­Diabetes stieg in der ersten Welle auf 34 Jahre an, während es in den Vergleichsjahren bei 30 Jahren lag. Im selben Zeitraum war die Mehrheit der Patienten, die aufgrund von Typ-1-Diabetes hospitalisiert wurden, jünger als 50 Jahre alt (72 % in der ersten Welle vs. 77 % vor der Pandemie). Bei jüngeren Patienten wurde eine signifikante Abnahme der Hospitalisierungen beobachtet: Patienten, die jünger als 19 Jahre alt waren, zeigten eine Reduktion von 37 %, 20–39-Jährige eine Reduktion von 24 %. Bei Patienten im fortgeschrittenen Alter (> 50) wurde dagegen ein Anstieg der DKA-assoziierten Hospitalisierungen während der Pandemie im Vergleich zu den Vorjahren verzeichnet (82 % vs. 78 %). Auch bei der Gruppe mit neu diagnostiziertem Diabetes erhöhte sich das mittlere Patientenalter bei den DKA-Hospitalisierungen während der ersten Welle (30 Jahre vs. 27 Jahre).

Weitere Faktoren und Inzidenz: In der ersten Welle wurden im Vergleich zu den präpandemischen Jahren signifikant mehr Männer (64 % vs. 59 %) und Patienten mit nichtkaukasischer ethnischer Zugehörigkeit (23 % vs. 19 %) aufgrund einer DKA aufgenommen. Die Studienautoren veröffentlichten auch Daten zur Inzidenz während der COVID-19-Pandemie. So verringerte sich die Inzidenz einer DKA-assoziierten Hospitalisierung pro 100.000 Patienten in der ersten Welle bei Typ-1-Diabetes (1.607 vs. 2.092), Typ-2-Diabetes (91 vs. 71) und neu diagnostiziertem Diabetes (3,2 vs. 2,0) im Vergleich zu den Vorjahren. Dies spiegelt sich auch in dem korrespondierenden Inzidenzratenverhältnis (IRR) wider: In der ersten Welle lag das IRR für Typ-1-, Typ-2- und neu diagnostizierten Diabetes bei jeweils 0,77, 1,28 und 1,56, in der Zeit unmittelbar danach bei jeweils 0,81, 1,18, und 1,55 und in der zweiten Welle bei jeweils 0,71, 1,36 und 1,60.

Todesfälle während Hospitalisierung: Die Mortalitätsrate bei den DKA-Patienten stieg während der COVID-19-Pandemie verglichen mit den präpandemischen Jahren signifikant an, sowohl in der ersten Welle (8 % vs. 4 %), im unmittelbaren Zeitraum danach (5 % vs. 3 %) als auch in der zweiten Welle (9 % vs. 4 %). Davon waren 48 % in der ersten Welle mit COVID-19 diagnostiziert, 23 % im Zeitraum danach und 63 % in der zweiten Welle. Auch hier zeigte sich eine heterogene Verteilung abhängig vom Diabetes-Typ: In der ersten Welle verstarben mit DKA-Diagnose 3 % mit Typ-1-Diabetes, 17 % mit Typ-2-Diabetes und 3 % mit neu diagnostiziertem Diabetes.

Fazit

Die Studienergebnisse belegen, dass sich die Zahlen der Hospitalisierungen aufgrund von diabetischen Ketoazidosen bei Diabetes-Patienten im Zuge der Pandemie und im Vergleich zu den Vorjahren veränderten. Alarmierend sind die Daten der Patienten mit Typ-2-Diabetes: Hier konnte nicht nur ein Anstieg der DKA-Hospitalisierungen beobachtet werden, sondern diese Patientengruppe wies im Vergleich zu den anderen beiden Diabetes-Typen die höchsten Fallzahlen für SARS-CoV-2-Infektionen auf. Weiters verstarb etwa jeder 5. Typ-2-Diabetes-Patient mit einer DKA-Diagnose im Krankenhaus. Die Autoren empfehlen eine bessere Risikoaufklärung und Vigilanz für DKA, um dieser negativen Entwicklung entgegenzuwirken.


1 Dhatariya KK et al., Nat Rev Dis Primers 2020; 6(1): 40
2 Holman N et al., Lancet Diabetes Endocrinol 2020; 8(10): 823–833
3 Li J et al., Diabetes Obes Metab 2020; 22(10): 1935–1941
4 Misra S et al., Lancet Diabetes Endocrinol 2021; S2213–8587(21)00208-4