Im Rahmen des EU-Vorsitzes Dänemarks wurde am 25. und 26. April 2012 ein Forum zur Verbesserung von Prävention und Therapie des Diabetes mellitus in Kopenhagen organisiert. Dabei trafen sich medizinische Experten, Vertreter von OECD und WHO, Gesundheitspolitiker und Patientenvertreter, um gemeinsam den weiteren Weg dazu in Europa zu diskutieren und festzulegen. Als Ergebnis wurde die „Copenhagen Roadmap“ erarbeitet, welche als Basis für die dazu nötigen Maßnahmen in den europäischen Ländern dienen soll.
Österreich beteiligte sich leider seitens der Bundesregierung in keiner adäquaten Form, wohingegen das Gastgeberland mit Ministerpräsidentin, Gesundheitsministerin und Königshaus dem Forum Bedeutung verlieh. Als Beispiel für die Dimension der Diabetesproblematik wurden für Dänemark Prävalenzzahlen von 5,2 % mit einer Kostenbelastung von 5.180 Euro pro Patient genannt.
Nach dem UN Summit on the Control of Non-Communicable Diseases (NCD) im September 2011 in New York beschloss im März 2012 das Europaparlament eine die Diabetesepidemie (bei geschätzten 35 Millionen Personen mit Diabetes in Europa) betreffende Resolution. Dazu hatte auch Österreich im Rahmen seines EU-Vorsitzes 2006 bereits den Grundstein für Aktivitäten gelegt, welche in unserem Land unter anderem zur Entwicklung des Disease-Management-Programms (DMP) Typ-2-Diabetes „Therapie Aktiv“ geführt haben.
Ernährung und Bewegung. Nun sind aber weitere Initiativen nötig, um bereits ausgearbeitete und formulierte Maßnahmen umzusetzen. Dazu zählt in der Prävention die verstärkte Förderung von körperlicher Bewegung und gesunder Ernährung, in Österreich teils in Realisierung durch den Nationalen Aktionsplan Ernährung (NAP.e) und den Nationalen Aktionsplan Bewegung (NAP.b). Dänemark geht dazu allerdings viel weiter und besteuert Fett und Zucker, um nicht nur die Konsumenten, sondern auch die Landwirtschaft, die Lebensmittelindustrie und den Lebensmittelhandel zu einem Umdenken zu bewegen. Weniger Zucker, Salz und gesättigte Fettsäuren in der Nahrung sind damit ein Ziel, welches zudem präventionsgebundene Steuereinnahmen erwirtschaftet. Im Weiteren wird eine entsprechende Nahrungsmittel-Auslobung/Beschreibung gemeinsam mit Werbeeinschränkungen für ungesunde Nahrungsmittel empfohlen.
Die Entwicklung „gesunder Städte“ durch Umsetzung einer Infrastruktur, welche Bewegung und Sport unterstützt (Radwege, öffentliche Sportplätze etc.) sowie gesunde Ernährung und Trainingsmöglichkeiten am Arbeitsplatz bietet, soll gefördert werden. Schulen als Plattformen für einen gesunden Lebensstil, mit Schulung von Lehrern und Eltern, sind Teil dazu nötiger Maßnahmen. Hier ist man in Österreich in den letzten Jahren in die falsche Richtung gegangen, indem die der Bewegung gewidmeten Schulstunden deutlich verringert wurden. Die Verstärkung der Information und Intervention von bzw. bei sozial schlechter gestellten Personen und ethnischen Minderheiten ist ein wichtiges Ziel, da die Diabetesprävalenzraten bei diesen Personen besonders hoch liegen.
Screening und Vorsorge. Zur Früherkennung und damit rechtzeitigen Behandlung und Prävention von Begleit- und Folgeerkrankungen sind einfache Fragebögen, wie z. B. FINDRISK, geeignet, welche in den Bereichen „Primary Care, Community, Workplace“ verteilt werden bzw. als internetbasierte Risiko-Scores jederzeit abgerufen werden können. Dabei können auch die Apotheken als Ansprechpartner aktiv werden. Der Zugang zur immer noch zu wenig genutzten Vorsorgeuntersuchung könnte damit besser gesteuert und gefiltert werden, die Motivation der Zielpersonen gesteigert werden. Hier wäre Raum für die Arbeitsmedizin, im Kontext des Arbeitsplatzes Gesundheitsförderung zu betreiben bzw. Personen mit hohem Risiko frühzeitig zu detektieren und präventiv einzugreifen. Die Adipositasrate mit bis zu 27 % bei Männern und bis zu 38 % bei Frauen im europäischen Durchschnitt lässt die Dringlichkeit solcher präventiver Maßnahmen erkennen.
Die Verbesserung der Betreuung bereits erkrankter Personen ist einweiteres Ziel einer solchen europäischen „Diabetes Roadmap“. Diese sollte insbesondere im niedergelassenen Bereich ausgebaut werden. Hierzu werden Disease-Management-Programme betont, aber dabei auch besonderer Wert auf den uneingeschränkten Zugang aller Patienten zu wirksamer und sicherer Medikation gelegt. Evidenzbasierte Leitlinien, Patientenschulung und -empowerment sind in jedem Land zu gewährleisten. Kosteneffektive Lösungen, welche Telemedizin und E-Health inkludieren, sollen dabei das bei Diabetes nötige Selbstmanagement unterstützen.
Informations- und Dokumentationssysteme wie eine elektronische Krankenakte und entsprechende Register sind dazu als Basis für gesundheitspolitische und medizinische Planungen und Entwicklungen nötig. Wenn nicht einmal die Anzahl an erkrankten Personen bekannt ist – wie in Österreich der Fall – sind seriöse Schätzungen zu Begleit- und Folgeerkrankungen nicht möglich. Der künftige Bedarf an Fußambulanzen oder Dialyseeinheiten – als Beispiele genannt – ist damit nicht abschätzbar. Die lange geforderte elektronische Krankenakte, aktuell heftig diskutiert im Rahmen der ELGA-Einführung, könnte uns dazu ausreichende Daten liefern. Dänemark, Schweden und Finnland können hier als Vorbilder genannt werden.
Die Evaluierung und Weiterentwicklung des DMP „Therapie aktiv“ muss vorangetrieben werden. In der Bundesqualitätsleitlinie (BQLL), welche dazu unter anderem gemeinsam mit der Österreichischen Diabetes Gesellschaft, der Patientenvertretung und dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger erarbeitet wurde, wurden die 3 Ebenen des DMP im Jahr 2010 festgelegt. Bisher wurde aber erst die Ebene 1 (Versorgung im Bereich niedergelassene Ärzte für Allgemeinmedizin und Fachärzte für Innere Medizin) etabliert, und auch hier fehlt es bei derzeit ca. 30.000 eingeschriebenen Patienten und ca. 1.000 ausgebildeten DMP-Ärzten noch bei weitem, eine flächendeckende, qualitativ vergleichbare Diabetesbetreuung zu erreichen. Schätzungen gehen weiterhin von zumindest 400.000 diagnostizierten Personen mit Diabetes in Österreich aus, damit sind deutlich weniger als 10 % der Patienten im DMP betreut.
Die Ergebnisse einer verbesserten Betreuung lassen sich erst im langfristigen Verlauf von Jahren bis Jahrzehnten erkennen, das macht ein einheitliches Vorgehen in unserem gesundheitspolitisch regional organisierten Staat besonders schwer. Messbare Ziele wie die Reduktion diabetischer Folgen, die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität sowie die Reduktion der bei Diabetes ebenfalls häufigeren Krebserkrankungen lassen sich nicht kurzfristig an finanziellen Einsparungen festmachen. Die Aufgabe der Wissenschaft ist dabei die Erarbeitung der Evidenz und deren Übertragung in die Praxis, der sich die translationale Forschung widmet. Internationale und an die nationalen Gegebenheiten adaptierte Leitlinien der europäischen Staaten zu Prävention, Diagnostik und Therapie sind dabei hilfreich. Hier sind die wissenschaftlichen Fachgesellschaften wie die Österreichische Diabetes Gesellschaft gefordert, um diese Empfehlungen aufzubereiten, zu kommentieren und weiterzugeben.