Mit dem vorliegenden Heft widmet sich DIABETES FORUM zum ersten Mal explizit dem kindlichen Diabetes, einer Diabetesform, die ständig an Bedeutung gewinnt, bei der im vergangenen Jahrzehnt aber auch wichtige neue Erkenntnisse gewonnen wurden. Von den etwa 1,9 Milliarden Kindern weltweit sind rund 500.000 von Diabetes betroffen. Während der letzten beiden Jahrzehnte hat die Häufigkeit des Typ-1-Diabetes kontinuierlich um ca. 3–5 % pro Jahr zugenommen. Bleibt es dabei, können wir in den nächsten 20 Jahren auch in Österreich mit einer Verdoppelung der Neuerkrankungen bei Kindern unter 15 Jahren (derzeit rund 250 Fälle pro Jahr) rechnen.
Typ-1-Diabetes ist eine komplexe Autoimmunerkrankung, wobei neben genetischen Faktoren auch exogene Einflüsse eine entscheidende Bedeutung spielen dürften (Schernthaner et al., Lancet 2; 630, 1985). So wird vermutet, dass steigende Hygienestandards die natürlichen Abwehrmechanismen beeinträchtigen und damit neben Allergien auch bestimmte Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes häufiger werden. Besonders bemerkenswert ist die heute viel frühere Diabetesmanifestation. Waren früher fast nur Kinder mit sehr hoher immungenetischer Risikokonstellation (Vorliegen von HLA-DR3 und HLA-DR4) betroffen, so kommt die Erkrankung jetzt zunehmend auch bei Kindern mit einer geringeren immungenetischen Prädisposition zum Ausbruch. Die dafür verantwortlichen Mechanismen sind bislang unbekannt.
Die Autoimmunität des kindlichen Typ-1-Diabetes ist nicht auf das endokrine Pankreas beschränkt – ca. 20 % der Kinder haben auch Schilddrüsenautoantikörper oder Parietalzellantikörper: Besonders wichtig ist das Screening auf Zöliakie, da ca. 10 % der Kinder mit Typ-1-Diabetes organspezifische Autoantikörper aufweisen. Beim system atischen Autoantikörper-Screening fand die Gruppe um G. S. Eisenbarth sogar bei einem Drittel aller Kinder mit Typ-1-Diabetes eine Evidenz für eine zusätzliche Autoimmunerkrankung (Triolo et al., Diabetes Care 2011 Mar 23 [Epub ahead of print]). Im vergangenen Jahrzehnt konnte die Blutzuckereinstellung bei diabetischen Kindern entscheidend verbessert werden, wobei dies vor allem auf den Einsatz der Basis-Bolus-Insulin-therapie bzw. der Insulinpumpentherapie zurückgeführt werden muss. Hatten diabetische Kinder vor 20–30 Jahren überwiegend noch HbA1c-Werte von 10–11 %, so liegt das mittlere HbA1c an österreichischen Diabeteszentren für Kinder heute nur noch bei 7–7,5 %. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die österreichischen Zentren für kindliche Diabetespatienten zu den besten in ganz Europa zählen. Durch die gute Diabeteseinstellung ist auch das Risiko für schwerwiegende mikrovaskuläre Komplikationen des Typ-1-Diabetes (insbesondere Nephropathie und Retinopathie) drastisch zurückgegangen, wenngleich eine rezente Studie der Joslin-Klinik in Boston warnt, dass das Risiko für terminales Nierenversagen bei Patienten mit Typ-1-Diabetes trotz des vermehrten Einsatzes von renoprotektiven Therapiemassnahmen unverändert hoch geblieben wäre (Rosolowsky et al., J Am Soc Nephrol 22:543, 2011).
Vor allem aber ist die kardiovaskuläre Mortalität bei Kindern mit Diabetes weiterhin signifikant erhöht, und auch hier sind die Mechanismen weitgehend ungeklärt: Mehrere epidemiologische Studien aus Ländern mit Hochleistungsmedizin (Schweden, Grossbritannien, Schweiz) zeigen auf, dass die Gesamtmortalität und die kardiovaskuläre Mortalität von Diabetikern bis zum 40. Lebensjahr im Vergleich zur Normalbevölkerung mehrfach erhöht ist. Besonders bemerkenswert ist eine rezente Studie aus Bern, in der die Sterblichkeit von Patienten mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes über 30 Jahre analysiert wurde (Alleman et al., Swiss Med Wkl 139:576, 2009). Dabei war die standardisierte Mortalitätsrate bei Patienten mit Typ-1-Diabetes im Vergleich zu nichtdiabetischen Personen signifikant stärker erhöht als bei Patienten mit Typ-2-Diabetes (4,5-fach versus 3,5-fach). Dass die noch immer nicht ausreichende Diabeteseinstellung dafür allein verantwortlich ist, erscheint doch eher unwahrscheinlich; möglicherweise sind die (nicht selten therapeutisch erzeugte) Hyperinsulinämie und damit verbundene hypoglykämische Ereignisse mit dafür verantwortlich.
Seit nahezu 30 Jahren ist man bemüht, den Zerstörungsprozess der Betazellen durch Immuninterventionsmassnahmen zu stoppen. Beim weltweit ersten Meeting zur Immuntherapie des Typ-1-Diabetes, 1982 in Luxemburg, war man noch relativ optimistisch, das Problem innerhalb von 20 Jahren weitgehend lösen zu können. Leider ist es seither zu keinem wirklichen Durchbruch in der Immunintervention bei Patienten mit Typ-1-Diabetes gekommen. Immerhin lassen rezente Studien darauf hoffen, dass wir durch kombinierte Immuntherapien in Hinkunft in der Lage sein werden, den schweren Insulinmangel bei Patienten mit Typ-1-Diabetiker abzuschwächen oder zu verzögern (Skyler & Ricordi, Diabetes 60:1, 2011).
Prim. Univ.-Prof. Dr. Guntram Schernthaner