Das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse ist bei Patienten mit Diabetes um den Faktor 2 bis 3 erhöht, und die meisten Diabetespatienten sterben letztlich an einem kardiovaskulären Ereignis. Eine konsequente Senkung des LDL-Cholesterins durch Statine kann das kardiovaskuläre Risiko effizient senken und ist sicher. Die aktuellen Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) und der Europäischen Atherosklerose-Gesellschaft (EAS; Reiner et al., Eur Heart J 2011) empfehlen deshalb einen strengen LDL-Cholesterin-Zielwert von < 70 mg/dl bei allen Patienten mit Typ-2-Diabetes sowie bei allen Patienten bei Typ-1-Diabetes, bei denen diabetesbezogene Folgeerkrankungen manifest sind (Tab.).
Lipide als solche sind hydrophob und damit nicht wasserlöslich. Ihr Transport im Blut wird durch die gemeinsame Verpackung mit Proteinen in Lipoproteinen möglich gemacht. Etwas vereinfacht funktioniert der Lipoproteinstoffwechsel wie folgt: Freie Fettsäuren kommen über das Blut zur Leber und dienen hier als Bausteine für die Synthese von Triglyzeriden. Diese werden in very low density lipoproteins (VLDL) verpackt und als solche von der Leber in die Zirkulation abgegeben. Über die Wirkung von Lipasen werden aus den VLDL-Partikeln Triglyzeride abgebaut, es entstehen dadurch die intermediate density lipoproteins (IDL) und durch weiteren Triglyzeridabbau die low density lipoproteins (LDL). Die zunehmende Dichte dieser Partikel erklärt sich dadurch, dass sie durch den Abbau der Triglyzeride einen relativ gesehen höheren Proteinanteil haben; Proteine sind dichter als die in dieser Kaskade abgebauten Triglyzeride. IDL und LDL versorgen die Peripherie mit Cholesterin (dieses wird unter anderem für die Bildung von Zellmembranen benötigt) und werden über LDL-Rezeptoren wieder in die Leber aufgenommen. Auf diesem Weg können die LDL- oder IDL-Partikel aber auch in der Gefäßwand liegen bleiben. Hier verursachen sie die Atherosklerose.
Bei Typ-2-Diabetes (oder allgemeiner bei Insulinresistenz) kommt es zu einem Anstieg der freien Fettsäuren im Serum; dies führt in der Leber zu einer vermehrten Triglyzeridsynthese und in der Folge zu einer vermehrten Sekretion von triglyzeridreichen VLDL ins Serum. Es entsteht so eine Hypertriglyzeridämie. Über die Aktion des Cholesterylester-Transferproteins (CETP) werden nun Triglyzeride aus den triglyzeridreichen VLDL-Partikeln in LDL- und HDL-Partikel transportiert. Diese geben im Austausch Cholesterin in die VLDL-Partikel ab. Die so an Triglyzeriden reicheren und an Cholesterin ärmeren LDL- und HDL-Partikel werden durch die hepatische Lipase weiter bearbeitet, welche die Triglyzeride wieder abbaut. Es entstehen dadurch in Summe kleinere und dichtere Partikel: die small-dense LDL- und die HDL-3-Partikel. Letztere sind dysfunktional und können ihre atheroprotektive Wirkung nicht wahrnehmen, darüber hinaus werden sie leichter abgebaut. Das führt zu einem niedrigeren HDL-Cholesterin. Kleine dichte LDL-Partikel dringen besonders leicht in die Gefäßwand ein und werden hier besonders leicht oxidiert und glykiert, sie sind besonders atherogen. Es ergibt sich also bei Patienten mit Diabetes ein typisches Muster von hohen Triglyzeriden, niedrigem HDL-Cholesterin und kleinen, dichten, atherogenen LDL-Partikeln.
Das LDL-Cholesterin per se ist bei Patienten mit Typ-2-Diabetes allerdings nicht erhöht. Unsere Arbeitsgruppe (Saely et al., Int J Cardiol 2010) konnte zeigen, dass bei Koronarpatienten mit Typ-2-Diabetes das Gesamt- und das LDL-Cholesterin sogar signifikant niedriger sind als bei nichtdiabetischen Koronarpatienten. Das Apolipoprotein-B (das Haupt-Apolipoprotein der LDL-Partikel, von dem jeweils eines pro Partikel enthalten ist) ist allerdings bei Patienten mit Diabetes gleich hoch wie bei nichtdiabetischen Patienten. Dadurch ergibt sich eine niedrigere LDL-Cholesterin/pro-Apolipoprotein-B-Ratio als bei Patienten ohne Typ-2-Diabetes, was wieder der kleineren Partikelgröße bei Patienten mit Typ-2-Diabetes entspricht.
Aus diesen Beobachtungen ergibt sich eine für die klinische Praxis sehr wichtige Konsequenz: bei gegebener LDL-Cholesterin-Serumkonzentration ist die Gesamtzahl der LDL-Partikel bei Patienten mit Typ-2-Diabetes höher als bei nichtdiabetischen Patienten. Darüber hinaus sind diese LDL-Partikel bei Diabetes noch atherogener. Das LDL-Cholesterin bei Typ-2-Diabetes ist also heimtückisch: Es ist niedriger als bei Patienten ohne Diabetes, bei gegebenem LDL-Cholesterin-Serumspiegel sind aber die Zahl der Partikel und ihre Atherogenizität höher. Bereits aus pathophysiologischer Perspektive erscheinen deshalb bei Patienten mit Typ-2-Diabetes niedrigere Zielwerte für das LDL-Cholesterin sinnvoll.
Wie bereits erwähnt ist das Grundproblem der Lipidstoffwechselstörung bei Typ-2-Diabetes die Insulinresistenz. In der pathogenetischen Kaskade, welche letzlich zur Manifestation eines Typ-2-Diabetes führt, tritt die Insulinresistenz wesentlich früher auf als der Typ-2-Diabetes selbst. Dementsprechend tritt auch die Dyslipidämie früher auf. Sie ist ein zentrales Stigma des metabolischen Syndroms. Das kardiovaskuläre Risiko ist bereits bei Patienten mit metabolischem Syndrom deutlich erhöht (Saely et al., J Clin Endocrinol Metabol 2005; Saely et al., Diabetes Care 2006), allerdings ist es bei Patienten mit Typ-2-Diabetes noch höher (Saely et al., Int J Cardiol 2010). In den aktuellen ESC/EAS-Leitlinien wird der strenge Zielwert einer LDL-Cholesterinkonzentration < 70 mg/dl nur für Diabetes gefordert, eine konsequente Therapie des LDL-Cholesterins erscheint aber auf der Grundlage dieser Überlegungen bereits bei Patienten mit metabolischem Syndrom sinnvoll.
Zahlreiche große klinische Studien zeigen eine markante kardiovaskuläre Risikoreduktion durch eine LDL-Cholesterinsenkung mit Statinen bei Patienten mit Diabetes. Pro LDL-Cholesterinsenkung um 1 mmol (also pro etwa 40 mg/dl) können bei Patienten mit Diabetes schwere kardiovaskuläre Ereignisse um 21% reduziert werden (CTT Collaborators, Lancet 2008; Abb.). Dies gilt für verschiedenste Subgruppen von Patienten mit Diabetes, im Besonderen für Diabetespatienten in der Primärprävention wie für Patienten mit Diabetes in der Sekundärprävention. Diese Wirkung ist ferner unabhängig vom Alter, unabhängig von anderen kardiovaskulären Risikofaktoren, und – besonders wichtig – unabhängig vom Ausgangswert des LDL-Cholesterins. Je stärker das LDL-Cholesterin gesenkt wird, desto größer ist die kardiovaskuläre Risikoreduktion. Power-Statine (das sind Atorvastatin 80 mg/Tag oder Rosuvastatin 20 mg/Tag) können deshalb mehr kardiovaskuläre Ereignisse verhindern als Standard-Statine (wie z. B. Simvastatin 40 mg/Tag).
Die Reduktion des relativen kardiovaskulären Risikos ist bei Patienten mit Typ-2-Diabetes fast ident mit jener bei Patienten ohne Diabetes. Es muss aber berücksichtigt werden, dass sich in Anbetracht des höheren absoluten Risikos von Patienten mit Diabetes diese gleiche relative Risikoreduktion in eine größere absolute Risikoreduktion übersetzt. Aus diesen Gründen fordern die ESC/EAS-Leitlinien zur Lipidtherapie von 2011 bei allen Patienten mit sehr hohem Risiko einen strengen LDL-Cholesterinzielwert von < 70 mg/dl.
Patienten mit Typ-2-Diabetes werden – unabhängig davon, ob bereits eine Atherosklerose manifest ist oder nicht – dem Stratum mit sehr hohem Risiko zugerechnet. Dies erscheint vor allem deshalb sinnvoll, weil epidemiologische Daten zeigen, dass die Prävalenz von atherosklerotischen Erkrankungen bei Patienten mit Diabetes sehr stark mit der Diabetesdauer korreliert. Es besteht also ein sehr hohes Risiko, dass ein Patient mit Diabetes, der noch keine atherosklerotischen Erkrankungen hat, in einem Zeitraum von weniger als 10 Jahren eine klinisch relevante Atherosklerose entwickelt, wenn eben nicht konsequent dagegen vorgegangen wird. Die Senkung des LDL-Cholesterins ist eine hochwirksame und sichere Maßnahme zur Verhinderung kardiovaskulärer Komplikationen bei Diabetes. Deshalb, und weil im Besonderen auch bereits in der Primärprävention die Wirksamkeit der Statin-Therapie zur Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse gezeigt wurde, ist der LDL-Cholesterinzielwert von < 70 mg/dl auch für Patienten mit Typ-2-Diabetes in der Primärprävention sehr sinnvoll.
Fazit: Zusammenfassend kann gesagt werden, dass aus pathophysiologischer Sicht ein niedrigerer LDL-Cholesterinzielwert für Patienten mit Typ-2-Diabetes sinnvoll erscheint und dass klinische Studien ganz klar die Effizienz und Sicherheit einer konsequenten LDL-Cholesterinsenkung mit Statinen bei Patienten mit Diabetes belegen.