Typ-1-Diabetes ist eine T-Zell-mediierte Autoimmunerkrankung, die durch eine fortschreitende Betazellzerstörung mit resultierender Hyperglykämie und letztlich Insulinmangel gekennzeichnet ist. Mit dem mittlerweile vertieften Wissen über die komplexe Pathogenese und prädiktive (u. a. genetische, infektiologische, diätetische) Faktoren – an dieser Stelle sei auch auf den Artikel von Priv.-Doz. Dr. Latife Bozkurt, PhD, und Univ.-Prof. Dr. Thomas Stulnig zum Thema „Pathogenese“ auf S. 14 verwiesen – rückten auch prädiktive Strategien in das Zentrum des wissenschaftlichen Interesses.
Bislang wird die Prävention des T1D in drei Phasen unterteilt: Primärprävention richtet sich an Personen, bei denen aufgrund des Vorliegens prädiktiver Faktoren ein hohes Risiko für die Entwicklung eines Typ-1-Diabetes besteht; Primärpräventionsstrategien müssen demnach sehr frühzeitig, vor dem Eintritt einer Betazellautoimmunität umgesetzt werden. Sekundärpräventive Strategien beziehen sich auf Personen mit multiplen Autoantikörpern und verfolgen das Ziel, den Autoimmunprozess zu stoppen bzw. zu verlangsamen und die klinische Manifestation des T1D zu vermeiden. Nach Manifestation des Diabetes wird versucht, diabetesassoziierte Komplikationen zu vermindern bzw. deren Eintritt zu verzögern (Tertiärprävention; Primavera M et al., Front Endocrinol 2020; 11: 248; Michels A et al., Pediatr Diabetes 2015; 16: 465–84). Einige immunmodulatorische Ansätze werden im Folgenden kurz vorgestellt.
Primärprävention: Die derzeit noch laufende europäische POInt-Studie untersucht, ob eine tägliche orale Verabreichung von Insulin bei genetisch prädisponierten Kindern (Alter: 4–7 Monate) bis zu einem Alter von 36 Monaten die Inzidenz von Autoantikörpern und Diabetes reduzieren kann. Die dahinterliegende Rationale: Induktion von Immuntoleranz durch Antigene (Ziegler AG et al., BMJ Open 2019; 9: e028578). Derzeit sind noch nicht ausreichend Daten vorhanden, um diese Hypothese zu bestätigen oder zu widerlegen, wobei eine frühere Studie bei – allerdings bereits autoantikörperpositiven – Verwandten von T1D-Patienten keinen Einfluss von oralem Insulin auf das Auftreten von T1D feststellte (Krischer JP et al., JAMA 2017; 318: 1891–902). Aufgrund der potenziellen Auswirkungen von Infektionen auf die Pathogenese des T1D befassen sich weitere primärpräventive Strategien mit der Erforschung von antiviralen Vakzinen (Insel R et al., Pediatr Diabetes 2016; 17: 87–92). Die Entwicklung des Mikrobioms und dessen Rolle in der Entstehung von Inselzellantikörpern wurde in der TEDDY-Studie untersucht, in der insgesamt 10.913 Metagenome analysiert wurden. Die Zusammensetzung des Mikrobioms von Kleinkindern, die später Autoimmunität und Typ-1-Diabetes entwickelten, wies in der Studie nur geringfügige Abweichungen von jenem der Kontrollpersonen auf; Ernährung und andere Umwelteinflüsse dürften die Zusammensetzung des Mikrobioms entscheidend beeinflussen. Funktionell wurden jedoch durchaus Unterschiede dokumentiert, z. B. waren Gene, die in die Fermentation und Biosynthese von antiinflammatorischen kurzkettigen Fettsäuren (SFA) involviert sind, in der Kontrollkohorte häufiger als bei Kindern, die später Antikörper entwickelten (Stewart CJ et al., Nature 2018; 562: 583–8; Vatanen T et al., Nature 2018; 562: 589–94).
Sekundärprävention: Der Anti-CD3-Antikörper Teplizumab stellt einen vielversprechenden Ansatz zur immunmodulatorischen Intervention dar, um den Progress von Autoantikörperpositivität und Dysglykämie zu manifestem Typ-1-Diabetes zu verzögern. Teplizumab wirkt modifizierend auf CD8+-T-Lymphozyten, die vermutlich eine wichtige Rolle in der Zerstörung von Betazellen spielen. In einer randomisierten, placebokontrollierten Phase-II-Studie konnte diese immunmodulatorische Intervention die klinische Diabetesmanifestation um etwa 2 Jahre verzögern. Personen mit fehlenden ZnT8-Antikörpern und diabetesassoziiertem MHC-Allel HLA-DR3, bei gleichzeitigem Vorliegen von HLA-DR4, wiesen in der Studie die höchste Teplizumab-Ansprechrate auf (Herold KC et al., N Engl J Med 2019; 381: 603–13). Aus präklinischen Studien ging zudem hervor, dass eine aktive Autoimmunantwort für die Wirksamkeit eines Anti-CD3-Antikörpers ausschlaggebend ist und eine Intervention in Stadium 1 daher eine geringere Wirksamkeit aufweisen dürfte (Chatenoud L et al., J Immunol 1997; 158: 2947–54).
Tertiärprävention: Innerhalb der ersten zwei Jahre nach Erstmanifestation des T1D kommt es zu einer rapiden Abnahme der Betazellmasse; Strategien, die diesen Progress verlangsamen und Remissionsphasen verlängern können, sind daher von großem therapeutischem Interesse. Einige diesbezügliche Studien evaluierten eine Kombinationstherapie mit niedrigdosiertem ATG (Antithymozytenglobulin) und pegyliertem GCSF (Granulozyten-Kolonie-stimulierender Faktor) bei Patienten mit Typ-1-Diabetes (Diabetesdauer 4–24 Monate); die Kombination war gegenüber einer ATG-Therapie in höherer Dosis mit einem höheren Anteil von Tregs (vs. konventionellen CD4+-Zellen) und C-Peptid assoziiert (Haller MJ et al., Diabetes 2016; 65: 3765–75; Gitelman SE et al., Diabetologia 2016; 59: 1153–61). Demgegenüber zeigte eine Studie der TrialNet-Studiengruppe, dass die Zugabe von GCSF die Vorteile einer Niedrigdosis-ATG-Therapie in Hinblick auf HbA1c und Funktionserhalt der Betazelle beeinträchtigen könnte (Haller MJ et al., Diabetes 2019; 68[6]: 1267–76). Ein weiterer Ansatzpunkt für den Erhalt der Betazellfunktion fokussiert sich auf B-Zell-assoziierte Moleküle; so führte der Anti-CD20-Antikörper Rituximab zu einem Erhalt der Betazellfunktion, wobei sich dieser Effekt als transient erwies (Pescovitz MD et al., Diabetes Care 2014; 37[2]: 453–59). Schlussendlich sollen auch noch gegen Zytokine gerichtete Interventionen erwähnt werden: Die Inhibition des zentralen proinflammatorischen Zytokins TNF-α mit Infliximab, Adalimumab oder Etanercept erwies sich mit Hinweisen auf eine verbesserte glykämische Kontrolle und C-Peptid-Sekretion als vielversprechend (Mastrandrea L et al., Diabetes Care 2009; 32[7]: 1244; Timper K et al., Diabetes Care 2013; 36[7]: e90), des Weiteren wurden die Interleukine IL-6 und IL-2 als potenzielle Angriffspunkte für Interventionen vorgeschlagen (von Scholten BJ et al., Diabetologia 2021; 64: 1037–48).
Der Focus der vorliegenden Ausgabe von DIABETES FORUM beschäftigt sich mit dem aktuellen Stand des Wissens rund um den Diabetes mellitus Typ 1. Neben der eingangs erwähnten Abhandlung der Pathogenese (Priv.-Doz. Dr. Latife Bozkurt,PhD, und Univ.-Prof. Dr. Thomas Stulnig, Wien) werden auch den T1D begleitende Autoimmunerkrankungen (Priv.-Doz. Dr. Elke Fröhlich-Reiterer, Graz) und therapeutische und soziale Herausforderungen in der Transition vom Kindes- in das Erwachsenenalter (Priv.-Doz. Dr. Gerlies Treiber, Graz) besprochen. OÄ Dr. Johanna Brix, Wien, widmet sich Therapiestrategien abseits der erwähnten immunmodulatorischen Ansätze und abseits des Insulins – z. B. mit SGLT-Inhibitoren; Priv.-Doz. Dr. Christian Margreiter erläutert das Wer, Wie und Warum der Pankreastransplantation. Der derzeitige Stand der Diabetestechnologie, Stichwort: Closed-Loop, wird abschließend von Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Julia K. Mader und Priv.-Doz. Dr. Gerlies Treiber dargelegt.
Wir hoffen, Ihnen einen runden Überblick über den Typ-1-Diabetes geben zu können, und wünschen eine spannende Lektüre!