Chronische Erkrankungen wie Diabetes sind per se belastend für die Psyche der Betroffenen. Zusätzlich besteht bei Menschen mit Typ-II-Diabetes eine 2,5-fache Inzidenz für die Entwicklung einer Depression. Die seit gut acht Monaten das Gesundheitssystem in Atem haltende weltweite COVID-19-Pandemie nimmt gleich in mehrfacher Hinsicht negativen Einfluss auf diese Population.
Vor allem zu Beginn der Pandemie und zum Zeitpunkt des ersten Lockdowns in Österreich bestand in Bezug auf Risikopopulationen für eine COVID-19-Infektion und in weiterer Folge einen schweren Verlauf eine nur sehr vage und nicht konsistente Datenlage. Klar schien, dass vor allem ältere Menschen und solche mit Vorerkrankungen wie Diabetes, koronare Herzerkrankung, COPD, Herzinsuffizienz oder Niereninsuffizienz vulnerabler sind, sowohl in Bezug auf eine Infektion als auch einen schweren Verlauf respektive Mortalität.
Diese Annahme ist nunmehr rezent von einer Studie, die von den Grazer und Innsbrucker Medizinischen Universitäten in Kooperation mit Boehringer Ingelheim durchgeführt wurde, bestätigt.
Gerade Menschen mit Typ-II-Diabetes vereinen nicht selten gleich mehrere dieser Komorbiditäten und wurden daher als besonders gefährdet eingestuft. Demzufolge stieg auch die Verunsicherung in dieser Patientengruppe, und die Angst, zu erkranken, überproportional an. Auch Personen mit Typ-I-Diabetes wurden als Risikogruppe eingestuft, hatten jedoch ob des doch deutlich niedrigeren Altersschnitts weit weniger Probleme, mittels Home-Office-Lösungen und telemedizinischer Betreuung bzw. via Skype, Webcast oder Videokonferenz sowohl in beruflicher Hinsicht eingebunden zu bleiben als auch weiter medizinische Betreuung in Anspruch zu nehmen.
Die doch deutlich ältere Gruppe der Typ-II-Diabetiker, häufig beruflich freigestellt, privat von der Familie versorgt, jedoch letztlich privat, beruflich und medizinisch isoliert, wurde als Hochrisikokohorte eingestuft.
Eine zusätzliche Belastung stellte die, auch objektiv betrachtet, reduzierte medizinische Betreuung dar. Sowohl Hausärzte als auch Fachärzte schränkten den Patientenkontakt auf ein absolutes Mindestmaß ein. Ambulanzen wurden geschlossen, Routinekontrolltermine von Diabetikern hatten keine hohe Dringlichkeitsstufe und wurden auf Monate hinaus verschoben. Als zusätzliche Bedrohung wurde auch die anfänglich sehr restriktive Verschreibung der Dauermedikation empfunden, prophylaktisch getätigte Hamsterkäufe führten dazu, dass bisher bewilligte Drei- oder Sechs-Monatsbedarf-Verschreibungen nur für jeweils einen Monat abgegeben wurden. Die Angst, sich mit COVID zu infizieren, war bei vielen so groß, dass auch der Gang zur Heilmittelausgabe (ÖGK), um Teststreifen bzw. Lanzetten für die tägliche Blutzuckerkontrolle zu holen, unterblieb. Versicherte bei Kassen, die diese Materialien postalisch zustellen, waren hier eindeutig im Vorteil. Diese Engpässe wurden auch etlichen Typ-I-Diabetikern zum Verhängnis. Beschädigte, nichtfunktionierende Insulinpens, fehlende Pen-Nadeln, Sensoren bzw. Blutzuckerteststreifen hatten natürlich besonders bei Letzteren zum Teil fatale Folgen bzw. es löste bereits die Vorstellung, es könnte zu einem Versorgungsengpass kommen, Ängste bis hin zu Panikattacken aus.
Die während der ersten drei Monate der Pandemie kolportierten Rückgänge akuter Ereignisse wie Herzinfarkte, Pulmonalembolien, Insulte etc. und daraus resultierende Rückgänge bei PTCA, Lysen usw. wurden von zynischen Stimmen zunächst dem Rückgang einer im „Normalbetrieb“ überbordenden Diagnostik zugeordnet. Das stellte sich nachträglich als fataler Irrtum heraus. Die Rate an Ereignissen nahm nicht ab, die Menschen hatten bloß Angst davor, zum Arzt zu gehen. Die Spätfolgen in Form von Herzinsuffizienz aufgrund ausgedehnter Myokardischämie, plötzlichem Herztod wegen malignen Arrhythmien etc. werden erst im Laufe der nächsten Monate in Zahlen gefasst werden können.
Ausgesprochen belastend war für Patienten mit einem diabetischen Fußsyndrom der Umstand, dass es kurzfristig keine Wundversorgung mehr gab. Die wenigen Zentren, die weiter geöffnet hatten, waren dementsprechend heillos überlastet – viele Patienten mussten mit der Angst vor einer Amputation leben.
Neben all diesen sehr realen und reaktiven Ängsten kam es bei vielen Patienten zur Verstärkung einer vorbestehenden Depression oder auch zum Neuauftreten einer solchen.
Untersuchungen der Donau-Universität Krems an einer Bevölkerungsstichprobe von 1.000 Personen zeigen bei der Gesamtbevölkerung den relativ raschen Anstieg einer psychischen Belastung im heurigen April. Schlafstörungen und Angstzustände sowie depressive Verstimmung nahmen um das Drei- bis Fünffache zu. Schwere depressive Symptomatik zeigt sich bei rund acht Prozent der Bevölkerung – im Vergleich dazu waren es 2014 rund ein Prozent. Diese Zahlen decken sich mit ähnlichen Beobachtungen in anderen europäischen Ländern und besserten sich interessanterweise nicht wesentlich nach Aufhebung des ersten Lockdowns.
Besonders junge Menschen leiden offenbar massiv unter der Ungewissheit in Bezug auf die nähere Zukunft.
Mit dem spezifischen Einfluss der derzeitigen Situation auf die psychische Situation von Diabetikern setzte sich eine dänische Studie auseinander. Demnach sind es vor allem zwei Szenarien, die Diabetikern zu schaffen machen. Zum einen zu einer Hochrisikogruppe zu gehören und mehr als andere empfänglich für eine Infektion und letztlich auch einen schweren Verlauf zu sein, zum anderen im Rahmen einer Infektion die Diabeteseinstellung nicht managen zu können, also Angst vor einer Stoffwechselentgleisung.
Die von diesen Ängsten am meisten geplagte Gruppe sind offenbar weibliche Typ-I-Diabetiker mit bereits vorhandenen Komplikationen, einer schlechten Stoffwechseleinstellung, die sich einsam fühlen und alleingelassen.
Zusammenfassend kann man sagen, dass chronisch kranke Menschen im Allgemeinen und Personen mit Diabetes im Besonderen eine vulnerable Gruppe für eine COVID-19-Infektion und daraus resultierende Komplikationen darstellen und aus diesem Grund besonderen Schutz brauchen. Andererseits ist es gerade diese neuerliche Stigmatisierung, die den Betroffenen, zusätzlich zu der ohnehin bereits für uns alle bestehenden psychischen Belastungssituation, zu schaffen macht. Aus den Erfahrungen der letzten Monate muss man also ableiten, dass es absolute Priorität hat, die medizinische Betreuung von Diabetikern so gut wie möglich aufrechtzuerhalten, damit Kollateralschäden, die aus einer medizinischen und persönlichen Isolation zum Schutz der Betroffenen entstehen, deren Nutzen nicht zunichtemachen.
Namhafte Psychiater warnen bereits vor der Zunahme des Suchtmittelkonsums (Alkohol, Nikotin) und der Abnahme der psychischen Gesundheit durch den zumindest partiellen Verlust der Selbstbestimmung und der Lebensfreude – das gilt besonders für Frauen, jüngere Menschen und Risikogruppen. Daher sollte man ein sehr probates Mittel gegen diese Entwicklung gerade in Zeiten wie diesen besonders in seiner Bedeutung hervorheben.
Bewegung wirkt – auch nach rezenten Untersuchungen der Donau- Universität Krems – gegen genau diese Belastungsreaktionen ähnlich gut wie ein Antidepressivum, ist kostengünstig im Einsatz und auch in Zeiten des Lockdowns ein legaler Grund, die eigenen vier Wände zu verlassen, um im wahrsten Sinne des Wortes nach Luft zu schnappen.