Patienten mit Diabetes mellitus weisen im Vergleich zu stoffwechselgesunden Personen ein mehr als zweifach höheres Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf und ein ebenfalls etwa zweifach höheres COVID-19-assoziiertes Mortalitätsrisiko auf.1, 2 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwiefern diabetesassoziierte Komplikationen und Begleiterkrankungen für die ungünstige Prognose verantwortlich sind, und welcher Anteil auf die Hyperglykämie selbst bzw. auf die Qualität der glykämischen Kontrolle zurückzuführen ist. Hinsichtlich letzteren Aspektes lieferten Studien heterogene Ergebnisse: Während einige Studien einen Zusammenhang von unzureichender Blutzuckereinstellung bei stationärer Aufnahme und erhöhter COVID-19-assoziierter Mortalität nahelegten,3, 4 konnte dieser Zusammenhang in der französischen CORONADO-Studie nicht bestätigt werden.5
Eine rezent publizierte retrospektive Studie untersuchte nun erstmals die Frage nach dem Einfluss der glykämischen Kontrolle vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 auf das Risiko eines schweren COVID-19-Verlaufs anhand einer großen, an COVID-19 erkrankten T2D-Patientenkohorte.6 Die Daten von 5.869 Patienten wurden einer israelischen Gesundheitsdatenbank entnommen. Der primäre kombinierte Outcome umfasste COVID-19-induzierten Tod und schweren COVID-19-Verlauf innerhalb der ersten 45 Tage nach Diagnose (nach Israeli MoH-Definition); als primärer Stoffwechselparameter wurde der aktuellste HbA1c-Wert innerhalb von 6 Monaten vor der COVID-19-Erkrankung herangezogen.
Bei 17,3 % der inkludierten Patienten lag ein schwerer Erkrankungsverlauf vor, wobei sich demografische und klinische Unterschiede zwischen Patienten mit schwerem bzw. nichtschwerem Verlauf zeigten: Patienten mit schwerem Verlauf wiesen höhere HbA1c-Werte vor der Infektion (7,40 vs. 7,21 %), ein höheres makro- und mikrovaskuläres Risiko und ein höheres Alter auf; Männer waren häufiger betroffen (56,7 vs. 48,4 %).
Im kontinuierlichen HbA1c-Verlauf zeigte sich eine signifikante, nichtlineare Assoziation zwischen glykämischer Kontrolle und Krankheitsverlauf; das Risiko für einen schweren Verlauf nahm im Bereich von 6 bis 12 % kontinuierlich zu, außerhalb dieses Bereichs wurden Plateaus erreicht. Diese Assoziation blieb auch nach Adjustierung auf demografische Parameter, chronische Vorerkrankungen, diabetesassoziierte Komplikationen und Arten der antidiabetischen Therapie bestehen. Eine Dose-Response-Analyse zur Abschätzung der relativen Risikoreduktion durch Senkung des HbA1c von 8 % auf Werte zwischen 7,8 und 6,0 %, zeigte, dass eine Reduktion von 8 auf 6 % mit einer Risikoreduktion von 29 % einhergeht. Der Zusammenhang zwischen glykämischer Kontrolle und Verlauf zeigte sich bereits bei geringen HbA1c-Verbesserungen: So war ein HbA1c von 7,8 % gegenüber 8 % bereits mit einer 4%igen Risikoreduktion assoziiert (Tab.).
Hyperglykämie kann zu Beeinträchtigungen der Immunabwehr, Zytokinsturm und erhöhten Laktatspiegeln führen. Zudem kann die hyperglykämieinduzierte Entstehung von AGE (Advanced Glycation End products) und ROS (Reactive Oxygen Species) Endothelschädigungen und strukturelle Veränderungen des Von-Willebrand-Faktors auslösen, die wiederum thrombotische Angiopathien begünstigen können – Pathomechanismen, die in Studien auch mit schweren COVID-19-Verläufen assoziiert waren. Die Ergebnisse dieser Studie unterstreichen einmal mehr den hohen Stellenwert einer guten Stoffwechselkontrolle bei Typ-2-Patienten. Anhand dieser Daten schließen die Studienautoren, dass eine adäquate antidiabetische Therapie in der derzeitigen Krisensituation eine valide und auch realisierbare Strategie darstellt, um das Risiko für schwere COVID-19-Verläufe und erhöhte Mortalität in dieser vulnerablen Patientenkohorte zu reduzieren.6