Arztsoftware: viele Anbieter, viele Features, viel Kopfweh

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Rund 100 zertifizierte Arztsoftwarehersteller listet die Ärztekammer auf. Für Ärzt:innen ist damit die Auswahl der richtigen Software schwierig und doch gleichzeitig elementar. „Eigentlich sind viele Kolleg:innen unzufrieden mit ihrer Software. Sie haben das Gefühl, zu viel zu bezahlen für das, was sie an Leistung bekommen. Dazu kommt, dass die Freizügigkeit zwischen den Systemen – also die Datenübernahme bei einem Wechsel – oft nicht oder nur schwer möglich ist“, sagt der steirische Hausarzt und Leiter des Referats „E-Health in Ordinationen“ in der Österreichischen Ärztekammer, Dr. Alexander Moussa, und dann steigt er auch schon ein in die Tiefe der Materie: „Es ist ein großer Wunsch von uns, den Normdatensatz 2 – NDS2 – als neuen Standard in Softwarelösungen zu etablieren, um mehr Wettbewerb zu ermöglichen.“

Doch schon der bestehende Wettbewerb macht die ganze Sache unübersichtlich, erzählt Dr.in Leonie Peter, Allgemeinmedizinerin in einer Gruppenpraxis in Wien Favoriten, aus eigener Erfahrung: „Es ist oft unüberschaubar, was in welchem Softwarepaket enthalten ist. Das macht Vergleiche schwer. Wir hatten fast das Gefühl, dass man für jedes Detail extra zahlt. Erweiterungen verursachen dann zusätzliche Kosten. Es hängt auch davon ab, ob ich eine Wahlarztpraxis oder eine Kassenpraxis habe. Wahlärzt:innen brauchen auch ein Abrechnungssystem für Rechnungen; Kassenordinationen hingegen kaum. Ein Problem ist dort oft auch die Schnittstelle zu GINA-Box oder anderen Systemen.“


„Es ist oft unüberschaubar, was in welchem Softwarepaket ist.“

Dr. Leonie Peter
Allgemeinmedizinerin in Wien


Die Herausforderung sei ein sehr heterogener Markt mit vielen Anbietern mit unterschiedlichen Systemen, bestätigt Moussa. „Wir arbeiten hier als Österreichische Ärztekammer an Qualitäts- und Umsetzungsstandards. Gerade die Interoperabilität der Produkte ist uns sehr wichtig. Die Fragestellungen, mit denen sich Ärzt:innen an die Kammer wenden, betreffen meist e-card-Themen und ELGA-Dienste wie etwa Störungen im e-card- oder ELGA-System, die Unzufriedenheit mit Hard- und Softwaresystemen und deren Kosten.Dazu kommen Fragen der IT-Sicherheit. Hier gibt es mit der Website itsicherheitskonzept.aerztekammer.at ein Gratistool der Kurie für niedergelassene Ärzt:innen. Der sichere Umgang mit sensiblen Patientendaten und damit ein IT-Sicherheitskonzept sind verpflichtend für Ordinationen und oft eine Herausforderung.“

Jede Menge Gesetze und Pflichten

Die einschlägigen Gesetze verpflichten Ärzt:innen zum Ergreifen wirksamer Maßnahmen zur Gewährleistung der Datensicherheit. „Gesundheitsdiensteanbieter haben auf Basis eines IT-Sicherheitskonzeptes alle getroffenen Datensicherheitsmaßnahmen zu dokumentieren“, heißt es zum Beispiel im Gesundheitstelematikgesetz §8 Abs. 1.: „Aus dieser Dokumentation muss hervorgehen, dass sowohl der Zugriff als auch die Weitergabe der Daten ordnungsgemäß erfolgt und die Daten Unbefugten nicht zugänglich sind.“ Dazu kommen noch Bestimmungen des Datenschutzgesetzes, des Ärztegesetzes und Verpflichtungen aus Verträgen mit den Sozialversicherungen, die es zu befolgen gilt. Unabhängig davon raten Fachleute Ärzt:innen dazu, sicherzustellen, dass betriebsfremde Personen keine sensiblen Daten einsehen können. Dazu gehören das Verhindern absichtlicher oder versehentlicher Einblicke und ein Einbruchs- und Diebstahlschutz. Weiters sollte ein Betriebssystem verwendet werden, das mit Sicherheitsupdates versorgt wird, ein aktueller Browser sowie ein aktueller Virenschutz. Tipp der Ärztekammer: „Überprüfen Sie Ihre Rechner unter www.peeringpoint.at/browsersicherheit Falls Sie auf das Internet ohne GIN (e-card-Netzwerk) zugreifen, aktivieren Sie eine Software-Firewall.“ Empfohlen wird auch, alle wesentlichen Daten des IT-Systems regelmäßig zu sichern und die Sicherungsmedien extern oder an einem geschützten Ort aufzubewahren. Kontrollieren Sie periodisch die Qualität der Medien, und prüfen Sie die Wiederherstellbarkeit Ihres Systems.

Rasche Responszeiten erforderlich

Mit der Einmalanschaffung, Installation und den Sicherheitsupdates ist es aber nicht getan, Software muss in der Regel gepflegt werden. Aus diesem Grund bieten fast alle Anbieter Pflegeverträge an. Solche Wartungsverträge oder Support-Verträge sind in der Praxis sehr unterschiedlich ausgestaltet, auch können die diesbezüglichen Anforderungsprofile von Anwender:in zu Anwender:in verschieden sein. „Das Service ist extrem wichtig – vor allem die Erreichbarkeit“, berichtet Dr.in Leonie Peter aus ihrer Erfahrung. „Wir sind schon so abhängig von diesen Systemen geworden, dass ich nicht einmal ein Rezept ausstellen kann, wenn es einen Systemausfall gibt. Es muss also jemand rasch erreichbar sein. Wir haben manchmal bis 20.00 Uhr offen, wenn um 19.00 etwas ist, will ich da auch jemanden erreichen. Auch Software-Updates sollten einfach und rasch machbar sein. Es muss schnell gehen und darf nicht abstürzen.“ Doch das kann kosten, weiß Alexander Moussa. „Ein absolutes No-Go sind zu hohe Kosten, schlechtes Kundenservice, schlechte und nicht mehr zeitgemäße Usability und fehlende Innovation.“ Dazu braucht es ein adäquates Preis-Leistungs-Verhältnis. Moussa: „Ein Servicelevel-Agreement mit raschen Responsezeiten sollte beachtet werden. Nichts ist schlimmer – vor allem in großen Ordinationen –, als wenn der Betrieb steht.“ Im Detail gebe es eine Vielzahl an Kriterien, die für Ärzt:innen relevant sein könnten. Der IT-Experte der Ärztekammer rät deshalb dazu, sich genau zu überlegen, was man braucht und was einem wichtig ist. Die Suche nach einem Anbieter basiere nicht zuletzt deshalb dann viel auf Weiterempfehlung in der Kollegenschaft.

Besserer Patientenkontakt durch KI?

Peter gibt einen Tipp aus der Praxis: „Die Kosten für Service sollte man auch klären.“ Und noch ein Tipp: „Die Software wählt man nicht nur für sich aus, sondern auch für die Mitarbeiter:innen am Schalter. Wenn die wechseln, sollte es bedienerfreundlich und leicht erklärbar sein – am besten selbsterklärend.“ Was ist sonst wichtig? „Die Übernahme von Befunden sollte leicht machbar sein, und die Abrechnungsdokumentation sollte einfach und übersichtlich sein“, sagt Peter. „Absolutes Topkriterium ist die Usability im Hinblick auf Unterstützung der Ordinationsprozesse und die Schnittstellen zu ELGA, e-card, E-Health-Anwendungen und zu Geräten in den Ordinationen – da gibt es ja viele, aber auch zu anderen Softwarelösungen, die in der Ordination verwendet werden“, rät Moussa.


„Der sichere Umgang mit sensiblen Patientendaten ist verpflichtend und oft eine Herausforderung.“

Dr. Alexander Moussa
Leiter des Referats „e-Health in Ordinationen“ der Österreichischen Ärztekammer


Für künftige Entwicklungen wie den Einsatz von künstlicher Intelligenz hofft der Ärztekammerexperte, dass „bei allem Wunsch nach E-Health die direkte Behandlung von Patient:innen wieder mehr Raum gewinnt. Das Erfassen des Menschen mit allen Sinnen ist elementar.“ Die Medizin habe sich zuletzt durch die Digitalisierung von den Patient:innen entfernt. „Die Abwendung vom Computer zum/zur Patient:in könnte eine der größten Chancen von KI sein“, hofft Moussa. Die Entwicklung müsse also kritisch – auch im Hinblick auf rechtliche Fragen – beobachtet werden, „aber mit positivem Willen“.