Für Österreichs inoffiziellen Chefanalysten, den Politikwissenschafter Prof. Peter Filzmaier, ist die Sache klar: „Geht das Vertrauen verloren, gerät von der guten Behandlung der Patient:innen bis zur Akzeptanz der Gesundheitseinrichtungen alles ins Wanken.“ Bei seinem Vortrag im Rahmen des diesjährigen Kongresses des Austrian Health Forum (AHF), einem Netzwerk von Expert:innen und Stakeholder:innen, hat Filzmaier deutlich gemacht, warum wir seiner Ansicht nach aktuell eine Vertrauenskrise in diesem Bereich haben: „Schuld sind die Akteur:innen im Gesundheitssystem, die oft nur Negativkommunikation gegen den/die jeweils andere:n betreiben. So schafft man sicher kein Vertrauen.“
Ein Befund, den auch Bundesminister Johannes Rauch teilt. Bei seinem Vortrag machte er klar, warum Vertrauen ein entscheidender Faktor für ein funktionierendes Gesundheitssystem ist: „Ohne das Vertrauen der Akteur:innen untereinander ist politische Entscheidungsfindung kaum möglich. Nur mit dem Vertrauen und der Zustimmung der Menschen gewinnen wir wichtige Daten, die für die Steuerung des Systems und für die Entwicklung neuer Behandlungsmethoden nötig sind.“
Eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Patient:innen und Ärzt:innen war schon immer ein zentrales Element in der Medizin, im Zuge der digitalen Transformation des Gesundheitswesens
wird die Rolle des Faktors „Vertrauen“ aber auf eine völlig neue Ebene gehoben. Vor allem die zunehmende Nutzung von sensiblen Daten, zum Beispiel für die Behandlungsoptimierung durch Personalisierung, aber auch in anonymisierter Form für Wissenschaft und Systemsteuerung spielt hier eine Rolle. Auf europäischer Ebene ist diesbezüglich im März dieses Jahres ein wichtiger Schritt in Richtung eines länderübergreifenden Rahmens für den Umgang mit Gesundheitsdaten gelungen. Alle relevanten Institutionen der Europäischen Union (EU) haben sich nach intensiven Verhandlungen auf die Ausformulierung eines gemeinsamen Datenraums, des European Health Data Space (EHDS), geeinigt. Einer der Knackpunkte dabei ist das Spannungsfeld zwischen der Oberhoheit der Patient:innen über ihre Daten und der Notwendigkeit einer allgemeinen, aber präzisen Regulierung der Sekundärnutzung.
Unter dem Titel „Moving forward with the European health data space: the need to restore trust in European health systems“ ist im Mai dieses Jahres in der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ ein Kommentar zum Thema Vertrauen erschienen. Darin zitieren Hands Torvald Haugo und Jaisalmer de Frutos Lucas die Europäische Kommission: „Vertrauen ist ein fundamentaler Faktor für den Erfolg des European Health Data Space.“ In ihrer Analyse kommen die beiden Autoren zu einem ähnlichen Schluss wie Peter Filzmaier in seinem Vortrag am AHF-Kongress: „Angstmachende Kommunikation schädigt das Vertrauen in die Leistungen der Gesundheitssysteme, sowohl in ihrer derzeitigen Form als auch in der in Aussicht gestellten neuen Form. Die Konsequenz ist nach Ansicht von Haugo und de Frutos Lucas fatal: „Wenn Patient:innen zögern, eine medizinische Behandlung in Anspruch zu nehmen, weil mangelhafte Sicherheit hinsichtlich des Schutzes sensibler Daten besteht, dann hat das System versagt.“
In ihrem Kommentar zeigen die Lancet-Autoren Verständnis dafür, dass die Harmonisierung der Bedürfnisse und Prioritäten der verschiedenen Stakeholder:innen ein zeitaufwendiger Prozess ist, sie merken aber kritisch an, dass allzu hitzig geführte Verhandlungen und fragmentierte Lösungen unzweifelhaft die Grundlage des Projektes erschüttern: Vertrauen.
Neben dem Thema Datensicherheit spielt der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) in Entscheidungs- und Abwicklungsprozessen im Gesundheitsbereich im Allgemeinen und in der Medizin im Besonderen eine große Rolle, wenn es um Vertrauen geht. KI tritt nach einem Modell des Centers for Collective Intelligence am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in verschiedenen Rollen auf. Mal als bloßes Werkzeug, mal als Assistent, mal als Peer auf Augenhöhe und mal als Manager, der Abläufe koordiniert und Aufgaben verteilt. Es versteht sich von selbst, dass das Vertrauen in ein Werkzeug wie z. B. bei einer KI-unterstützten Untersuchung des Augenhintergrundes ein wichtiger Faktor ist, aber wenn wir einer KI komplexe und kritische Abläufe wie z. B. Prozesse in der Primärversorgung anveranvertrauen, steht noch deutlich mehr auf dem Spiel. Kontrolle ist in jedem dieser Fälle unverzichtbar, das bedeutet Evaluation des Algorithmus und der für sein Training eingesetzten Daten nach vorgegebenen Standards, laufende Kontrolle durch in die Prozesse fix integriertes Fachpersonal (Human in the Loop) und schließlich Transparenz in der Funktionalität der KI, während sie eingesetzt wird (erklärbare KI).
Durch den Einsatz von performanten Software-Programmen für die Erfassung und den Austausch von Befunden zwischen den verschiedenen Akteur:innen der Patientenversorgung soll die Medizin der nahen Zukunft effizienter, treffsicherer, verständlicher und durch Reduktion der administrativen Aufgaben des Gesundheitspersonals (Keyboard Liberation) schließlich auch menschlicher werden. Damit das gelingt, muss aber neben anderen Voraussetzungen die präzise Dokumentation und Kommunikation von Diagnosen gesichert sein, damit jeweils klar ist, womit wir es eigentlich zu tun haben. Nur wenn aus dem grippalen Infekt, der akuten Erkältungskrankheit und dem respiratorischen Infekt ein einheitlicher Code nach ICD-10 oder SNOMED CT wird, kann die Patientenversorgung tatsächlich optimiert werden. Die Verwendung einer präzisen Sprache und das wechselseitige Verstehen ist eine der Grundlagen der Zusammenarbeit von Ärzt:innen und anderen Gesundheitsdienstleister:innen und eine Voraussetzung für Vertrauen.
Mit der verpflichtenden Codierung ab 2025 soll in Österreich die Grundlage dafür etabliert werden, diese Präzision des Sprechens in die digitale Welt zu übertragen.