Seit Monaten schwelt eine Debatte, ob, wie und in welcher Form Wahlärzt:innen in das öffentliche, solidarische Gesundheitssystem eingebunden werden könnten.
Die jüngsten Daten, die Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) im Zuge der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage präsentierte, haben die Diskussion neu entfacht. Demnach ist der Anteil an Wahlärzt:innen in den Jahren 2017 bis 2023 zum Teil deutlich gestiegen. Besonders auffällig ist der Zuwachs bei Hautärzt:innen, bei denen der Anteil an Wahlärzt:innen von 58 % auf 71 % gewachsen ist. In absoluten Zahlen gab es 2023 damit 233 Kassen-Dermatolog:innen – 2017 waren es noch 312. Demgegenüber gab es im Vorjahr 570 Wahlärzt:innen in diesem Fach, 2017 waren es 434.
Stark gestiegen ist zudem der Anteil an Wahlarztpraxen bei Urolog:innen, konkret von 55 % auf 62 %. Bei der Augenheilkunde zeigt sich ein Anstieg von 52 %auf 57 %, bei den Fachärzt:innen für Chirurgie von 83 % auf 87 %.
Mit dieser Entwicklung geht auch eine entsprechende Dynamik bei den Refundierungsanträgen für die Rechnungen einher, die Patient:innen bei der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) einreichen. Während die SPÖ eine Einbindung von Wahlärzt:innen ins öffentliche System fordert, hat sich die Ärztekammer wiederholt und vehement gegen jegliche Art der Verpflichtung von Wahlärzt:innen für das öffentliche Gesundheitssystem ausgesprochen.
„Wahlärzt:innen sind systemrelevant für die Gesundheitsversorgung in unserem Land. Sie zu zwingen wird kein einziges Problem lösen und ist Symbolpolitik auf dem Rücken der Bevölkerung“, formuliert es OMR Dr. Johannes Steinhart, Präsident der Wiener und der Österreichischen Ärztekammer.
Die Bundesregierung setzt mit 1. Juli allerdings erste Schritte zur besseren Vernetzung – und zwar digital. Dann ist die Übermittlung von Honorarnoten an die Krankenversicherungsträger durch Wahlärzt:innen gesetzlich geregelt. Sie müssen dann die Rechnungen direkt bei der Krankenkasse einreichen, wenn Patient:innen das wünschen. Die ÖGK wertet dies als „gute Geschichte in Richtung mehr Servicequalität“, wie Generaldirektor Mag. Bernhard Wurzer sagt.
Für die Patient:innen werde durch die elektronische Einreichung die Bearbeitung schneller, um dann 80 % des jeweiligen Kassentarifs zurückzubekommen. Ziel sei es, den Wert auf zwei Wochen zu drücken, derzeit seien es drei bis vier – teilweise dauert es auch deutlich länger. Auch für die Wahlärzt:innen, die dafür das bereits bestehende System „WAHonline“ verwenden müssen, sei es ein Asset.
Konkret soll es zwei mögliche Services geben, erklärte der zuständige Dachverbandsmanager Mag. Volker Schörghofer: eine Arzt-Software-Schnittstelle, die bereits existiert und von der Software-Industrie angeboten wird, sowie ein Webformular, bei dem Ärzt:innen die Rechnungen selbst hochladen können.
Einschränkung: Es wird eine Bagatellgrenze beim Jahresumsatz geben, unter der sich nur sporadisch tätige Ärzt:innen nicht mit dem Abrechnungssystem belasten und sich auch nicht um die Einbindung in ihre Ordinationssoftware kümmern müssen. Wie hoch diese sein wird, ist aber noch nicht definiert, sondern Gegenstand von Verhandlungen zwischen Ärztekammer und Sozialversicherung. Würde sie bei 15.000 Euro analog zur Registrierkassenpflicht angesetzt, wären gut 90 % aller Fälle abgedeckt, erklärt Wurzer.
Noch nicht notwendig ist die Nutzung der e-card bei Wahlärzt:innen. Ab 1. Jänner 2025 werden sie allerdings an die e-card angebunden, und auch die Nutzung der elektronischen Gesundheitsakte ELGA wird den Wahlärzt:innen ab dann vorgegeben.
Der Roll-out dafür läuft, erklärt Schörghofer und schildert weitere Überlegungen: „Die Frage mit der e-card-Ausstattung ist dann, welche Services bekommen Wahlärzt:innen. Hier denkt man an ELGA und E-Medikation, aber auch an das Rezepturrecht und damit das e-Rezept. Technisch geht auch die Ausstellung eines Privatrezeptes über das e-Rezept. Dazu gehört auch die Schmerztherapie – auf der Basis der Suchtgiftnovelle. Nicht abgebildet ist die Substitutionstherapie. Das läuft noch. Ein weiteres Service, das Sinn ergeben würde, wäre die Arbeitsunfähigkeitsmeldung.“ All das ist für Kassenärzt:innen bereits möglich.
Die Ärztekammer für Wien begrüßt die Entwicklungen in Richtung stärkere Digitalisierung grundsätzlich, kritisiert aber im Hinblick auf die Verrechnung von Wahlarztleistungen die Unklarheiten, die wenige Wochen vor Wirksamwerden der Neuregelung noch immer bestehen. Patient:innen würden sich vermehrt an ihren/ihre Vertrauensärzt:in wenden, da sie verunsichert sind.
„Viele wollen nicht, dass ihre Daten weitergegeben werden. Die Ärztekammer für Wien stellt klar, dass die elektronische Übermittlung von Honorarnoten nur nach Zustimmung der Patient:innen erfolgen darf. Patient:innen, die dies nicht möchten, können Honorarnoten auch nach dem 1. Juli wie gewohnt selbst bei den Krankenversicherungsträgern oder auch gar nicht einreichen“, sagt Ärztekammerpräsident Steinhart.
Auch bei der Ärzteschaft sorgt die Neuregelung für Unmut. Grund dafür ist, dass der Gesetzgeber zwar Ausnahmen und Übergangsregelungen für Wahlärzt:innen im Sinne der „Verhältnismäßigkeit“ vorsieht, diese aber nicht ausformuliert hat. Dadurch ist noch immer völlig unklar, welche Wahlärzt:innen nun tatsächlich ab 1. Juli von der Verpflichtung zur Übermittlung ausgenommen sein werden.
Ein weiteres großes Thema für alle Ärzt:innen ist die Diagnosekodierung, die von der Regierung vorgesehen ist. Hier fehlt allerdings noch die Verordnung des Gesundheitsministeriums. Dieses will die internationale ICD-10-Klassifizierung der WHO einsetzen, niedergelassene Ärzt:innen halten dieses System allerdings nicht für praktikabel.
„Die Ärztekammer hat bereits viele Vorarbeiten zur Kodierung geleistet und sieht andere Systeme als besser geeignet für das Einsatzgebiet“, betont Dr. Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte. An der verpflichtenden Kodierung selbst habe man nie etwas auszusetzen gehabt.
Gesundheitsminister Rauch pochte zuletzt beim 4GameChangers-Festival jedenfalls auf eine bessere Erfassung von Daten: „Die jüngste Gesundheitsreform hat mit einem Investment von 15.000.000 Euro für eine österreichische Gesundheitsdatenplattform die Basis geschaffen. So möchten wir dem Grundsatz ‚digital vor ambulant vor stationär‘ gerecht werden. Dank des geplanten europäischen Gesundheitsdatenraums wird es in Zukunft auch möglich sein, sich auf europäischer Ebene besser zu vernetzen. Wir haben hier in Österreich mit ELGA bereits gute Voraussetzungen dafür. Künftig sollen dort alle Befunde, Bilddaten, Rezepte und Diagnosen digital auf dem Handy abrufbar sein, mit der Möglichkeit, sich über die ID Austria einzuloggen.“ Das Ziel ist letztlich ein Patient Summary, erklärt Schörghofer.
Weitere Konzepte gehen in Richtung Ausbau der Telemedizin und Terminservice. Fix terminisiert ist bereits der neue elektronische Eltern-Kind-Pass, der ab 1. 1. 2026 kommen soll. Die Herausforderung: Das Thema betrifft nicht nur Ärzt:innen, sondern auch andere Gesundheitsberufe, wie die Hebammen. „Das Ziel ist jedenfalls die Ablöse des Papierbuches durch eine schöne App“, sagt Schörghofer.
International ist Österreich damit durchaus ein Vorreiter. Erst im April gab es für das e-Rezept den „ISSA Special Distinction for Innovation“-Preis der Internationalen Vereinigung für Soziale Sicherheit (IVSS). Die IVSS ist die weltweit führende internationale Organisation für Institutionen, Regierungsstellen und Behörden, die sich mit der sozialen Sicherheit befassen. Das österreichische e-Rezept setzte sich bei der internationalen Experten-Jury durch.
„Insgesamt wurden 119 Projekte aus 26 Ländern eingereicht. Das zeigt die starke Innovationskraft unseres e-Rezeptes“, erläutert Peter Lehner, Vorsitzender der Konferenz der Sozialversicherungsträger. „Das e-Rezept setzt Maßstäbe für die Digitalisierung des Gesundheitssystems in Europa. Der IVSS-Preis für Innovation ist eine starke Auszeichnung für dieses Projekt und bestätigt unseren zukunftsweisenden und konsequenten Digitalisierungskurs.“
Die Ärzt:innen erstellen das e-Rezept und speichern dieses im e-card-System. In der Apotheke kann das e-Rezept mit einem Code via App auf dem Smartphone oder mittels 12-stelliger alphanumerischer e-Rezept-ID (REZ-ID) eingelöst werden, der Scan der Codes vom Ausdruck ist ebenso möglich.
Mit der e-card können in der Apotheke alle offenen e-Rezepte des/der Versicherten abgerufen werden. Die Abholung von Medikamenten durch Dritte ist ebenso möglich. Das Abrufen des e-Rezepts auf dem Smartphone funktioniert per App. Die Sicherheit ist gewährleistet, weil das e-Rezept innerhalb des geschlossenen Gesundheitsinformationsnetzes gespeichert ist.
Fix ist auch, dass der Gesundheitshotline 1450 künftig eine zentrale Rolle bei der verbindlichen und funktionierenden Patientenlenkung zukommen wird. Ohne Patientenlenkung wird es nicht gelingen, den Spitalsambulanzen jene Entlastung zukommen zu lassen, welche die dort arbeitenden Ärzt:innen dringend brauchen, befindet die Bundeskurie angestellte Ärzte der Österreichischen Ärztekammer.
Seit dem Start von 1450 im April 2017 gab es allein in Wien über sechs Millionen Kontakte. Das zeige, wie gut die Hotline als erste Anlaufstelle im Gesundheitssystem funktionieren kann – mit niederschwelliger, kostenloser Gesundheitsberatung und Information von geschultem, diplomiertem Krankenpflegepersonal und gegebenenfalls in weiterer Folge Ärzt:innen zur Frage, ob die akuten Beschwerden wirklich Grund genug sind, sofort ein Spital aufzusuchen, hieß es Ende Mai im Rahmen einer Enquete der Bundeskurie.
Während über die Details also noch gestritten wird, gehen die Überlegungen für die Zukunft noch viel weiter. Gesundheitsminister Rauch wünscht sich auch einen verstärkten Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI).
„Das ist bereits Alltag und wird Gesundheitsversorgung und Medizin revolutionieren. Das ist nichts Schlechtes, davor muss man keine Angst haben. KI ist durch neu kreierte Bilder und Videos in Verruf geraten, weil es schwierig wurde, zu unterscheiden, was wahr und was falsch ist.“ In der Medizin habe KI aber eine vollkommen andere Bedeutung. „Bei Diagnoseverfahren wie MRT und CT kann KI hunderttausende Bilddaten vergleichen und so die Treffsicherheit bei Diagnosen verbessern. Dasselbe gilt bei der Hautkrebsvorsorge, bei der künstliche Intelligenz Schattierungen von hunderttausenden Hautveränderungen abgleichen kann. Das schafft Sicherheit.“
Er sei kürzlich in den USA im Mount Sinai Hospital in New York gewesen, wo nach dem Motto „KI ist Innovation und bedeutet Fortschritt“ geforscht und entwickelt wird, erzählt Rauch. „Es ist klar: Davon profitieren die Menschen, und dafür würde ich gerne Werbung machen, das ist etwas Gutes, da muss man keine Angst haben.“ Nachsatz: „Bei Bildern und Videos sollte man nach wie vor vorsichtig sein.“