SU 04|2023
Zur Ausgabe »
Digitalisierung eröffnet zahlreiche Möglichkeiten zur Weiterentwicklung des Gesundheitswesens. Für Kliniken liegt hier insbesondere Potenzial in der Optimierung von Prozessen und Abläufen, die eine Steigerung der Effizienz und Effektivität, der Sicherheit und schlussendlich eine Verbesserung der Qualität der Patientenversorgung ermöglichen.1 IT-Lösungen bieten dabei eine große Chance, das medizinisch-pflegerische Personal in der täglichen Arbeit zu entlasten. Dieser Aspekt ist vor allem in einer Zeit des gravierenden Personalmangels besonders attraktiv. Im Rahmen einer digitalen Weiterentwicklung ist eine Neugestaltung bekannter Prozesse manchmal unumgänglich. Als angenehmer „Nebeneffekt“ wird einer Umsetzung ein enormes Einsparungspotenzial zugesprochen – für Österreich bis zu 4,7 Mrd. Euro jährlich.2
In der Digitalisierung von Patientendaten liegt dabei ein relevanter Teil des geschätzten Nutzenpotenzials (Abb.), jedoch auch eine große Herausforderung! Gesundheitsdaten sollen idealerweise strukturiert erfasst und automatisch übertragen werden, zeitnah vorliegen und „fair“ sein (FAIR = Findable, Accessible, Interoperable, Reusable). Durch Maschinenlesbarkeit soll ein zusätzlicher Dokumentationsaufwand vermieden werden. Die seit 2015 schrittweise eingeführte elektronische Gesundheitsakte (ELGA) kann als E-Health-Basisinfrastruktur Österreichs angesehen werden. In einer Umfrage des E-Health-Monitors von McKinsey 2020 gaben 88 % der in Österreich befragten Gesundheitseinrichtungen an, eine elektronische Patientenakte zum Austausch klinischer Daten zu nutzen.3 Damit lagen die österreichischen Einrichtungen beim Datenaustausch führend vor u. a. Italien, der Schweiz und Deutschland (wobei deutsche Urolog:innen laut einer Umfrage der Digitalisierung der Patientendokumentation prinzipiell offen gegenüberstehen).4 Trotzdem muss die Implementierung der ELGA weiter vorangetrieben werden und darf nicht stagnieren oder gar abfallen, wie ein Vergleich 2016 zu 2018 der European Scorecard zum Stand der Implementierung der elektronischen Patientenakte auf nationaler Ebene zeigte.5
Die digitale Reife der eigenen Organisation wurde hingegen von den österreichischen Einrichtungen als mittelmäßig eingestuft und erreichte lediglich 5,6 von 10 möglichen Punkten.3 Der heutige Entwicklungsstand der Digitalisierung einzelner Krankenhäuser ist immer noch recht heterogen, die elektronische Unterstützung und Einbindung verschiedener Ressourcen wie z. B. von Personal erfolgt unterschiedlich stark. Eine Umsetzung sollte kontinuierlich mithilfe geeigneter Instrumente evaluiert werden. Das international angewendete Electronic Medical Record Adoption Model (EMRAM) der Healthcare Information and Management Systems Society (HIMSS) bietet z. B. die Möglichkeit, die digitale Reife von Krankenhäusern objektiv einzuschätzen.6 Dieses Modell bewertet Krankenhäuser anhand einer 8-stufigen Skala von 0 (keine Digitalisierung) bis 7 (papierloses Krankenhaus, Tab.). Das EMRAM-Modell ist so konzipiert, dass ein Krankenhaus eine Stufe vollständig erfüllt haben muss, bevor es die nächsthöhere erreicht. Übergeordnet sollen über die Anwendung des EMRAM die Patientensicherheit und -zufriedenheit sowie die Kliniker:innen unterstützt werden – bei gleichzeitiger Gewährleistung der Datensicherheit.
Dem Krankenhaus-Report 2019 zufolge lagen österreichische Krankenhäuser ähnlich wie deutsche 2017 bei einem EMRAM-Mittelwert von 2,3 und belegten somit einen der hinteren Plätze im internationalen Vergleich. Hier wurden 50 % der Krankenhäuser der Stufe 2 (vorhandene Informationssysteme für diagnostische und versorgende Abteilungen sowie elektronische Patientenakte) und 28 % der Stufe 0 zugeteilt. Einzig das Ordensklinikum Elisabethinen in Linz erreichte damals die zweithöchste EMRAM-Stufe 6.7 Die Erhöhung des digitalen Reifegrades der im Rahmen des Krankenhauszukunftsfonds geförderten Krankenhäuser bis zum Jahresende 2025 ist Teil der mittelfristigen Maßnahmen der Digitalisierungsstrategie des deutschen Bundesministeriums für Gesundheit.8 Das Konsortium „DigitalRadar“, welches u. a. durch die HIMSS vertreten wird, wurde mit der Evaluierung beauftragt und hat hierfür ein eigenes Messinstrument entwickelt.9 Der DigitalRadar beinhaltet ca. 65 % der Kriterien des EMRAM-Reifegradmodells.
Im internationalen Vergleich schneidet Österreich bei der Nutzung digitaler Technologien im Gesundheitswesen ebenfalls mittelmäßig ab. Das liegt v. a. an der geringen Nutzung von Gesundheitsdaten, die derzeit fast ausschließlich zur primären Gesundheitsversorgung herangezogen werden. In der umfassenden Erhebung von Daten und der Möglichkeit einer zeit- und ortsunabhängigen Bereitstellung scheint der eigentliche Wert digitaler Lösungen für die Qualität der Gesundheitsversorgung zu liegen. Digital erhobene Gesundheitsdaten haben enormes Potenzial, wenn sie zusätzlich der Forschung zur Verfügung gestellt werden können – eine auswertbare (systematisch und qualitativ hochwertige), sichere Erhebung und Speicherung vorausgesetzt.
Die größten Digitalisierungshürden bzw. Herausforderungen bei der Umsetzung von E-Health-Lösungen liegen neben fehlenden finanziellen Mitteln (österreichische Krankenhäuser geben rund 4 % ihrer Gesamtausgaben für IT aus)10 und dem Mangel an Fachkräften mit IT-Kompetenz vor allem in der Gewährleistung der IT-Sicherheit und den Anforderungen an den Datenschutz, gerade wenn Patientendaten mit im Spiel sind. Hier gilt es, eine angemessene Balance von Datenschutz und -sicherheit und der mehrwertstiftenden Nutzung von Gesundheitsdaten zu schaffen! Auch eine (europaweite) einheitliche Auslegung und Anwendung des Datenschutzrechtes kann hier Synergien schaffen. Der nicht immer zu 100% gegebene Datenschutz, insbesondere bei intensiver externer Vernetzung, sei dabei ein Risiko, das aus Sicht von DI Perndl, ehem. CIO am Ordensklinikum der Elisabethinen in Linz, angesichts der Vorteile in Kauf genommen werden sollte.
Die Pandemie hat die Notwendigkeit einer vereinfachten Datennutzung nochmals deutlich gemacht und schlussendlich die Einführung wegweisender Regulatorik erleichtert. Nicht zuletzt soll die Verordnung zur Schaffung eines europäischen Raums für Gesundheitsdaten (EHDS) der Europäischen Kommission die Nutzung von Gesundheitsdaten für eine bessere medizinische Versorgung ermöglichen und dabei gleichzeitig die Einzelpersonen unterstützen, die Kontrolle über die eigenen Gesundheitsdaten zu bewahren.12 Verbindliche Interoperabilitätsvorgaben für Dateninfrastrukturen und die Nutzung international anerkannter Standards schaffen weitere Voraussetzungen für eine Vernetzung. Auf EU-Länder-Ebene finden sich zunehmend Initiativen, die eine Datennutzung im Rahmen von Forschung forcieren, wie beispielsweise das deutsche Gesundheitsdatennutzungsgesetz.11 Großbritannien möchte das Potenzial der gesammelten Informationen noch weiter ausschöpfen, indem künstliche Intelligenz zur Analyse von Behandlungserfolgen und Krankheitsverläufen im klinischen Alltag eingesetzt wird (Strategie: „Data Saves Lives“).12 Wichtige weitere Ansätze liegen dabei u. a. in der Identifizierung von Kontexten, die sich evtl. nicht für den Einsatz digitaler Technologien eigen.14
Digitales Wachstum im Gesundheitswesen geht mit der Nachfrage nach bedarfsgerechten E-Health-Lösungen und dem verfügbaren Angebot einher. Die schönsten digitalen Anwendungen scheitern jedoch, wenn deren Einführung nicht gelingt oder keinen Mehrwert bietet. Anwenderorientiertheit und transparente Kommunikationen/Zusammenarbeit mit allen Beteiligten sind hier Schlüsselstellen. Das Verlassen der gewohnten Arbeitsweise und das Erlernen von Neuem kann durch Einbezug von Wünschen und Erwartungen unterstützt werden. Auch die Demonstration einer neuen – funktionierenden – Anwendung sei von Vorteil, um die durch die Anwendung entstehenden Vorteile (z. B. arbeitserleichternde und -beschleunigende Schritte) direkt darstellen zu können sowie die Neugierde und Motivation der Beteiligten zu wecken, so DI Perndl. Der Produktivstart während eines ohnehin anstrengenden und ausgefüllten Arbeitsalltages ist mühevoll und eine Hürde. Hier ist die massive Unterstützung seitens der IT-Abteilung vor Ort in der ersten Zeit ein wesentliches Erfolgskriterium. Die richtige Wahl der Softwarelösung sei grundlegend: Nur eine sehr gute Anwendung erfülle die oben genannten Punkte wie u. a. Sicherheit, Nutzbarkeit, Optimierung von Prozessen und Entlastung des Personals. Erfahrungswerte vieler Kliniken zeigten durch den Einsatz von IT z. B. einen Mehraufwand für das Personal. Dies lässt auf eine fehlerhafte Auswahl und/oder Einführung des IT-Systems schließen.
Zu bedenken ist außerdem die Schnelllebigkeit der digitalen Welt. Nicht alle Lösungen können sich langfristig auf dem Markt behaupten und ihre Präsenz stetig ausbauen. So sind u. a. Exit-Strategien von Beginn an mitzudenken, für den Fall, dass ein Produkt inkl. Support nicht mehr zur Verfügung steht. In diesem Zusammenhang ist neben vertraglichen Regelungen eine Gesamtstrategie zur Entwicklung eines digitalen Krankenhauses empfehlenswert, um eine systematische und zukunftsorientierte Weiterentwicklung des Einsatzes von Technologien, auch unter Einbezug der Risiken, zu fördern.