DigitalDoctor: Herr Gesundheitsminister, wenn Sie in die Zukunft blicken – wie sieht die Versorgung in fünf Jahren aus? Was ist digital, was nicht?
Johannes Rauch: Wir haben die Gesundheitsreform nach dem Leitsatz „digital vor ambulant vor stationär“ umgesetzt. Das bedeutet, dass wir das Gesundheitssystem für die kommenden Generationen vorbereiten, indem wir die Digitalisierung im Gesundheitssystem dort vorantreiben und nutzen, wo es für Gesundheitspersonal und Patient:innen auch Sinn ergibt. Also etwa den Ausbau der Telemedizin, dort, wo es medizinisch notwendig und sinnvoll ist und Angehörige von Gesundheitsberufen in ihrer täglichen Arbeit nachhaltig entlastet werden. Was es nicht bedeutet, ist etwa den persönlichen Kontakt zwischen Patient:innen und Hausärzt:innen in Frage zu stellen.
DigitalDoctor: Was steckt hinter dem Konzept „digital vor ambulant vor stationär“, und wie soll es konkret funktionieren?
Johannes Rauch: Nach dem Leitsatz „digital vor ambulant vor stationär“ bauen wir digitale Angebote für die Patient:innen aus, der niedergelassene Bereich wird nachhaltig gestärkt, und Strukturreformen werden zur Entlastung der Spitäler umgesetzt. Dafür stellen wir jährlich 1,1 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung. Am Ende des Tages geht es darum, dass die Patient:innen bestmöglich ohne lange Wartezeiten dort versorgt werden, wo sie die passende Behandlung erhalten, unabhängig von Zeit und Ort.
DigitalDoctor: Wie soll das im Detail aussehen?
Johannes Rauch: Konkret bedeutet das, dass die Gesundheitshotline 1450 stark ausgebaut und zur ersten Anlaufstelle bei gesundheitlichen Fragen wird. Erstabklärungen sollen bei Beschwerden auch über Video-Beratungen über 1450 möglich sein. Das spart Patient:innen Zeit und entlastet damit Notrufdienste und Spitalsambulanzen. Außerdem soll ein Terminmanagement in 1450 integriert werden, damit Patient:innen unkompliziert Arzttermine vereinbaren können.
DigitalDoctor: Wie soll die Umsetzung der digitalen Vernetzung mit den Spitälern in den Ländern funktionieren? Während der Pandemie kamen die Daten aus den Ländern ja ganz unterschiedlich, teilweise spät und nicht immer vollständig. Welche Hausaufgaben haben die Länder hier zu machen? Wie wollen Sie sicherstellen, dass es funktioniert?
Johannes Rauch: Grundsätzlich werden zahlreiche gesundheitsbezogene Daten innerhalb des österreichischen Gesundheitssystems erfasst, befinden sich jedoch in unterschiedlichen Datensilos. Im Sinne der Patient:innen und ihrer bestmöglichen medizinischen Versorgung muss es den Entscheidungsträger:innen im österreichischen Gesundheitssystem möglich sein, datenbasierte und treffsichere Maßnahmen im Gesundheitssystem zu setzen. Dabei leistet das Gesundheitsministerium auch Forderungen des Rechnungshofes Folge, die Datenlage im Gesundheitssystem zu verbessern. Im Zuge der Gesundheitsreform wurde daher die Schaffung eines Datenauswertungstools festgelegt, das eine Verknüpfung von beziehungsweise Zugriff auf die Daten unter strengen datenschutzrechtlichen Standards für Bund, Länder und Sozialversicherung ermöglichen soll, die jeweils Daten einspeisen. Dieses System wird nun aufgebaut.
DigitalDoctor: Sie sagen, dass 1450 eine zentrale erste Anlaufstelle sein soll. Auch hier gibt es aber verschiedene Lösungen in den Bundesländern. Kann das funktionieren? Sollte das nicht vereinheitlicht werden?
Johannes Rauch: Während der Pandemie hat 1450 in ganz Österreich als „Corona-Hotline“ eine große Bekanntheit erreicht. Bereits vergangenes Jahr wurde mit neuem Design und einer österreichweiten Kampagne 1450 wieder als Wegweiser bei gesundheitlichen Fragen positioniert. Der geplante Ausbau von 1450 nimmt eine zentrale Rolle in der aktuellen Zielsteuerungsperiode ein. Bundesländer und Sozialversicherung sind hier also stark eingebunden.
DigitalDoctor: Das Thema Digitalisierung ist laut Analysen kein Altersthema, sondern ein Bildungsthema. Mehr als eine Million Menschen in Österreich sind funktionale Analphabeten. Laut dem neuen Gesundheitsbericht 2022 Ihres Ministeriums verfügen nur 53 % der Menschen über ausreichende Gesundheitskompetenz. Wie wollen Sie sicherstellen, dass man alle Menschen bei der Entwicklung wirklich im Boot hat?
Johannes Rauch: Digitale Kompetenzen sind grundsätzlich eine wesentliche Voraussetzung für die sozialen, gesellschaftlichen und politischen Teilhabechancen aller Altersgruppen. Die Stärkung der digitalen Kompetenzen in der gesamten Bevölkerung ist daher ein wichtiger Teil der E-Health-Strategie. Wenn wir erfolgreiche Digitalisierungsmaßnahmen umsetzen möchten, müssen wir jene Menschen, die diese benutzen sollen, einbinden. Das gilt für Patient:innen und Gesundheitsberufe gleichermaßen. Dafür soll die Vermittlung von digitalen Kompetenzen bei Aus- und Weiterbildungen im Gesundheitsbereich etabliert werden. Tatsächlich ist es ja so, dass wenn etwa Pflegepersonal bei Dokumentationsarbeiten entlastet wird, mehr Zeit für die persönliche Betreuung von Patient:innen bleibt. Gleichzeitig soll bis 2030 ein flächendeckender Zugang zu Angeboten im Bereich digitaler Gesundheitskompetenz für die gesamte Bevölkerung sichergestellt werden. Die aktive Teilnahme am digitalen Wandel soll aber keinesfalls eine Zwangsbeglückung darstellen. Daher besteht ja nach wie vor die Möglichkeit, sich zum Beispiel Rezepte oder Auszüge aus dem Impfregister ausdrucken zu lassen.
DigitalDoctor: Viele Ärzt:innen sind in Sachen Digitalisierung skeptisch: entweder aus Datenschutzgründen, weil sie Sorge vor Transparenz haben, oder einfach, weil sie keine Ressourcen haben, sich damit zu beschäftigen. Wie wollen Sie die Ärzteschaft hier ins Boot holen?
Johannes Rauch: Gerade Digitalisierungsmaßnamen im Gesundheitsbereich werden nur von der Bevölkerung angenommen, wenn das Vertrauen in die Sicherheit und die transparente Verwendung der eigenen Daten stets gegeben ist. Das muss immer die oberste Priorität sein und ist in der E-Health-Strategie und den ELGA-Grundsätzen klar verankert. Die Digitalisierung kann Angehörige von Gesundheitsberufen auf viele Arten entlasten, etwa wenn es um Dokumentations- oder Verwaltungsaufgaben geht. Aber auch von der verpflichtenden Diagnosecodierung profitieren alle: Gesundheitspersonal kann so die Krankengeschichte besser beurteilen und Patient:innen bestmöglich behandeln. Ich als Patient bin Herr meiner Daten und habe jederzeit Zugriff auf sämtliche Befunde oder Röntgenbilder.