UIM 08|2023
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Seit etwa dem Jahr 2008 hat sich die Technologie der kontinuierlichen Glukosemessung im subkutanen Gewebe (rtCGM) so verbessert, das die Möglichkeit der Steuerung einer Insulinpumpe gegeben war, was zur Entwicklung der Idee eines Closed-Loop-Systems führte. Heute werden diese Systeme als Automated-Insulin-Delivery-(AID-)Systeme bezeichnet. In den letzten 15 Jahren konnte in vielen Studien gezeigt werden, wie sich die Stoffwechsellage bei Patient:innen mit Typ-1-Diabetes mit dieser Technik verbessert – insbesondere der nächtliche Glukoseverlauf.1
Daher wird nun statt der herkömmlichen sensorgestützten Insulinpumpentherapie gleich mit einem AID-System begonnen.
Die derzeitigen AID-Systeme sind sogenannte hybride Versionen, da die Mahlzeiteneingabe seitens der Patient:innen erforderlich ist. Die Betroffenen müssen daher eine Abschätzung der zugeführten Kohlenhydrat-, Fett- und Eiweißmengen durchführen können. Im Gegensatz zu den letzten Jahren ist nun die Auswahl der zugelassenen und CE-markierten AID-Systeme schon um einiges größer.
Die Algorithmen der Insulindosierung in den Applikationen werden immer komplexer und können auf diese Weise die Insulinverabreichung immer mehr der physiologischen Sekretion nachahmen.
Die künstliche Intelligenz dieser Systeme nutzt Real-Time-Continuous-Glucose-Monitoring-(rtCGM-)Daten und erstellt aus diesen eine Verlaufsprognose. Die Insulindosierung erfolgt anhand der Verlaufsprognose. Daher kann das Medium der Gewebszuckermessung trotz der ca. 15 Minuten Zeitverzögerung zur Blutglukose als Steuerung verwendet werden.
Das rtCGM-System misst die Glukose im Gewebe und liefert die Werte in der Regel alle 1 oder 5 Minuten an den Algorithmus in der Pumpe oder am Smartphone. Dieser Algorithmus berechnet den Insulinbedarf und gibt die Anweisung, zusätzliches Insulin zu geben oder die Insulinzufuhr zu unterbrechen, an die Insulinpumpe weiter.
Manche Systeme erstellen sich die Pumpeneinstellungsparameter wie Basalrate (Insulindosis, die stündlich von der Pumpe abgegeben wird), Insulin Sensitivity Factor (ISF; Parameter, der angibt, um wieviel eine Einheit Insulin die Glukose absenkt), Kohlenhydratfaktor (Faktor, der festlegt, wieviel Insulin für 10 g Kohlenhydrate für die Mahlzeiten benötigt werden) selbst. Dieser Prozess wird als Autotuning bezeichnet. Systeme mit Autotuning-Funktion orientieren sich an der Tagesgesamtdosis des Insulins (Total Daily Insulin Dose, TDD). Diese Insulinmenge wird beim Start eines Systems von den Nutzer:innen eingegeben oder wird vom System über mehrere Tage entwickelt.
Algorithmen können unterschiedliche Funktionswege aufweisen, auch in den programmierten Applikationen sind verschiedene Kombinationen realisiert.
Folgende AID-Systeme sind international verfügbar (die mit „A” gekennzeichneten auch in Österreich); in Klammer ist die jeweilige Funktionsweise des Algorithmus angegeben:
Alle in Europa zugelassenen Systeme haben ein Autotuning-Programm. Ohne Autotuning müssen die Parameter wie der Insulin Sensitivity Factor oder der Kohlenhydratfaktor seitens der Patient:innen oder der betreuenden Diabetolog:innen eingestellt werden und für Sondersituationen wie Sport oder bei Infekten angepasst werden. Diese Änderungen sind im Alltag der Patient:innen schwierig und nicht zielführend.
Die Systeme ohne CE-Zulassung werden als Open-Source-AID-Systeme bezeichnet und können von den Nutzer:innen selbst erstellt werden. Die Bewegung „Don’t wait“ hat eine eigene Plattform unter www.loopandlearn.org, auf der alle Systeme benannt sind.
Medtronic MiniMed™ 780G: Autotuning über die vergangenen 4–6 Tage, Autoboli 4-mal/h, mind. 48 h Aufwärmphase vor Start des Automodus, Anpassungsmöglichkeiten des Systems: Zielwert 100/110/120 mg/dl, Insulinwirkdauer 2–3 Stunden
Ypsomed YpsoPump Cam APS FX: Autotuning innerhalb von 2 Tagen, Insulinwirkdauer voreingestellt mit 5 h, Start sofort mit der Eingabe der Gesamttagesdosis des Insulins und des Körpergewichts. Anpassungsmöglichkeiten des Systems: Zielbereich voreingestellt mit 104 mg/dl, jedoch einstellbar von 80–200 mg/dl, „Boost“-Modus (0–13 h) +35%, „Ease off“-Modus (0–24 h) –35 %, Insulinwirkdauer im Boluskalkulator für die Mahlzeiten mit 2–5 h einzustellen, der Kohlenhydratfaktor des Insulins muss eingestellt werden.
Insulet Omnipod®5 (ab 2025): Start sofort mit Gesamttagesdosis des Insulins, durch das Autotuning nach 3 Tagen stabilerer Verlauf, Anpassungsmöglichkeiten des Systems: Zielbereich von 110–150 mg/dl einstellbar, und die Insulinwirkdauer lässt sich anpassen.
Die Open-Source-AID-Systeme sind immer auf dem aktuell neuesten Stand der möglichen Technik. Da die oft Jahre andauernden Zulassungsverfahren fehlen, können sehr kurzfristig Änderungen im Algorithmus erfolgen.
Als Beispiel wird nun hier das am weitesten ausgestattete System IAPS von einem schwedischen Programmierer beschrieben.
IAPS V2.2.2
Die gewünschten Ziele im Ambulatory Glucose Profil (AGP) mit Werten < 1 % unter 54% mg/dl, < 4 % unter 70 mg/dl und ≥ 70% im Zielbereich 70–180 mg/dl können mit allen AID-Systemen erreicht werden.
Daten von 50 Patient:innen aus dem Alltag in Österreich2 zeigen auch nach 2 Jahren eine fortbestehende stabile Stoffwechsellage (AGP: mittlere Glukose: 135 mg, CV: 35 %, < 0,8 % unter 54 % mg/dl, 4 % unter 70 mg/dl, 78 % im Zielbereich 70–180 mg/dl, 17 % über 180 mg/dl und 3,7 % über 250 mg/dl).
Der nächste Schritt für die folgenden Jahre ist die Entwicklung der sogenannten Fully-Closed-Loop-Systeme. Bei diesen soll das gewünschte Glukoseziel nun ohne Mahlzeiteneingaben seitens der Patient:innen erreicht werden. Dies stellt eine besondere Herausforderung an das System dar, da es durch die Insulingaben in das subkutane Fettgewebe immer zu einer Zeitverspätung der Insulinwirkung kommt. Das verspätete Anfluten des Insulins in der Leber im Verhältnis zu den resorbierten Kohlenhydraten aus dem Magen-Darm-Trakt führt zu einem rasanten Anstieg der Glukose. Daher ist es derzeit noch fraglich, ob die allgemein gewünschte Zeit im Zielbereich 70–180 mg/dl mit über 70 % zu erreichen sein wird.