Dr. Helmut Ritschl
FH Joanneum
Das Metaversum wird in der Regel der Spieleindustrie zugeordnet und ist hier auch eine Art Vision, in der sämtliche neue Technologien vereint werden, wie künstliche Intelligenz, Augmented Reality, Virtual Reality, Blockchain-Technologie oder Internet of Things (IOT). Dabei handelt es sich um eine Art virtuelle Spiegelwelt mit Grundstücken, Gebäuden, Städten und Unternehmen. Der reale Mensch – im medizinischen Bereich zum Beispiel ein:e Patient:in oder Ärzt:in – bewegt sich im Metaversum als Avatar. Dieser digitale Zwilling verfolgt unterschiedliche Rollen und Ziele. Dabei können medizinische Szenarien mittels großer Datenmengen simuliert werden, seltene klinische Anwendungsfälle diskutiert und komplexe medizinische Abläufe im Vorfeld von Operationen oder anderen Interventionen trainiert werden.
Ge Wang und seine Forscher-Kolleg:innen vom Department of Biomedical Engineering, Rensselaer Polytechnic Institute, Troy, NY, USA, sprechen in ihrer Ende 2022 in der Zeitschrift Nature veröffentlichten Publikation in diesem Zusammenhang von einem MeTAI-Metaversum (Medical Technologies and Artificial Intelligence Metaversum).1 Ziel ist es unter anderem, Entwicklungsprozesse in der Medizin zu erleichtern, die Bewertung von Prototypen zu vereinfachen, den Erfahrungsaustausch zwischen Expert:innen zu fördern oder Schulungen leichter zugänglich zu machen. Proponent:innen des MeTAI-Metaversums trauen diesem sogar eine Verbesserung der Versorgungsqualität, Patientenzufriedenheit und Ressourceneffizienz im Gesundheitswesen zu2(Abb. 1).
Aufgrund der weltweiten ökonomischen Entwicklung rund um Metaverse-Plattformen, den Herausforderungen der SARS-CoV-2-Pandemie und Fortschritten im Bereich Quantencomputing, KI und Technologien der Immersion, wie Virtual Reality und Augmented Reality, gehen Expert:innen davon aus, dass sich ein Metaversum der Medizin in naher Zukunft etablieren wird.
Schätzungen zufolge beträgt der globale Metaverse-Markt im Jahr 2022 65,5 Mrd. US-Dollar, für das Jahr 2023 wird er auf 82 Mrd. US-Dollar und 2030 auf 936,6 Mrd. US-Dollargeschätzt.3 Ein bekannter Player ist Meta (früher Facebook).
Vor allem Quantencomputing soll diesbezüglich einen echten Entwicklungsschub bewirken.
Quantencomputer schaffen eine Rechenleistung, welche die bisherige Computertechnologie schlicht in den Schatten stellt, und dies könnte sich dramatisch auf die Prozesse der Medikamentenentwicklung, Präzisionsmedizin, Gen-Sequenzierung, Bildverarbeitung, Strahlentherapie und der Kryptografie auswirken. Quantencomputer beschleunigen etwa die Identifikation von Molekülarten für neue Medikamente und ermöglichen die Simulation von Wechselwirkungen und Nebenwirkungen, welche die bisherige Computertechnologie nur näherungsweise ermöglicht.4 In der Betrachtung der weltweiten Marktentwicklung von Quantum Computing ist ein Anstieg in den kommenden 7 Jahren um den Faktor 10 von ca. 900 Mio. US-Dollar (2023) auf 9 Mrd. US-Dollar (2030) zu erwarten.5
Die Analyse von Gesundheitsdaten durch den Vergleich tausender Krankenakten durch maschinelles Lernen ermöglicht eine bessere Diagnosegenauigkeit, eine optimierte klinische Entscheidungsfindung und eine Verbesserung von Vorhersagen und Risikoabschätzungen. Dies ermöglicht im Idealfall eine bessere Verteilung der Ressourcen im Gesundheitswesen sowie eine Optimierung von Logistikprozessen.6 Auch hier entwickelt sich der Markt für KI-Anwendungen im Gesundheitswesen sehr positiv, geschätzt wird bis auf 188 Mrd. US-Dollar bis 2030.7
Technologien der Immersion beschäftigen sich mit dem Erweitern bzw. mit der Umgestaltung der Realität. Dies erfolgt bei Augmented Reality (AR) durch Einblendung von digitalen Objekten und Informationen in die reale Raumstruktur und bei Virtual Reality (VR) durch Einbringung einer virtuellen Raumstruktur in eine reale Umgebung. Unterschiedliche Endgeräte, wie Mobiltelefone oder Head-mounted Displays (HMD) ermöglichen unterschiedliche Spielformen der Immersion. Immersionstechnologien werden häufig in der Chirurgie, Urologie, Nephrologie und Neurowissenschaften sowohl in der Ausbildung als auch in der medizinischen Praxis zur Operationsplanung oder Operationsunterstützung angewendet.8 Ein Beispiel ist eine Leber-OP-Planungssoftware, die es dem OP-Team ermöglicht, den Eingriff basierend auf 3D-Leber-Modellen und 2D-Bilddatensätzen kollaborativ an unterschiedlichen Orten zu simulieren. Damit können zum Beispiel Sicherheitsabstände zum Tumor detailliert geplant werden.9
Österreich kann im Bereich der Medizininformatik spannende Forschungsprojekte vorweisen, die auch im medizinischen Metaversum Anwendung finden. Ein Beispiel ist das Projekt nARvibrain zur Verbesserung der Hirntumordiagnostik und -behandlung. Mittels computergestützter Technologie soll das analoge Wissen der Neurochirurg:innen mit digitalen Funktionen verschmelzen. Der Eckpfeiler ist die Entwicklung einer ganzheitlichen digitalen Patientendarstellung, repräsentiert durch alle relevanten strukturellen und funktionellen Bilddaten, Testergebnisse und Simulationsergebnisse (Abb. 2). Davon sollen sowohl Mediziner:innen in ihrer täglichen klinischen Praxis als auch Studierende im Rahmen ihrer medizinischen Ausbildung und nicht zuletzt die Patient:innen selbst profitieren.
Glaubt man den Indizien, dann stehen die Ampeln für ein medizinisches Metaversum zumindest auf einem hellen Grün. In welcher konkreten Ausprägung solch ein MeTAI-Metaversum erschaffen wird, lässt sich noch nicht abschätzen; auch nicht, wer die Big Player sein werden– Apple, Alphabet (Google), Amazon, Facebook (Meta), Microsoft – oder noch unbekannte Unternehmen. Wichtig erscheint, dass Ärzt:innen und Stakeholder:innen im Gesundheitswesen diese Entwicklungen aktiv mitgestalten, indem sie die Prinzipien der Menschenrechte und Patientenrechte, der medizinischen Ethik und des Datenschutzes in die Regulierung der virtuellen Realitäten einbringen. Ziel soll es sein, dass die Gesellschaft und damit die Menschen von diesen technologischen Errungenschaften profitieren können.