Horx: Die Technik ist plausibel und ja heute bereits in Arbeit. Interessant ist die „Soziotechnik“, also die Sache mit dem Score für das eigene Gesundheitsverhalten. Mit solchen brachialen Methoden würde maneinen noch größeren Aufstand entfachen als im Film. Aber der Film hat wirklich sehr plastisch und präzise ethische Dilemmata beschrieben, die sich heute bereits entfalten. Es gibt ja ein Paradox im Gesundheitssystem: Je besser und technischer die Behandlungsmethoden, desto teurer wird das Ganze. Je älter die Menschen werden – das ist ja auch ein Erfolg des Systems –, desto weniger kann man „Heilung“ erzielen. Für dieses Dilemma muss uns etwas einfallen, was das Gesundheitsverhalten der Gesellschaft verbessert. Aber nicht mit Zwang.
Heute befinden sich ja alle Systeme in der Wahrnehmung in der Krise. Aber vielleicht stoßen sie nur derzeit an ihre Möglichkeiten. Meistens wird das ja auf mangelndes Geld zurückgeführt, aber in Wahrheit geht es gar nicht so sehr darum. Es ist sehr viel Geld im österreichischen Gesundheitssystem. Aber das System ist tendenziell chaotisch, unüberschaubar, es hat zu viele Säulen und Varianten. Generell gehen wir heute in eine Gesundheitskrise hinein, weil zwar die Methoden im Krankenhaus, aber nicht die breite Volksgesundheit steigt. In den USA ist die Lebenserwartung in den letzten Jahren um über drei Jahre gesunken, in vielen europäischen Ländern stagniert sie.
Die WHO-Definition betrifft ja die allgemeine Lebensqualität, und die kann man nur mit Wertewandel, Engagement und einem neuen Gesundheitsbewusstsein verbessern. Das geht eben nur mit Hilfe der Gesamtgesellschaft. Da spielt die Bildung eine Rolle, aber auch Architektur, Alltagsrituale, Suchtverhalten…
Es gibt eine Menge einzelner Best-Practice-Beispiele, und wenn man die alle zusammenfügen würde, hätte man schon einen erheblichen Fortschritt. Das bürgerorientierte System Dänemarks schafft es, humane Digitalisierung und Hochklassemedizin mit großer Akzeptanz zu verbinden. Finnland hat eine der bewegungsaktivsten Bevölkerungen, nur 4 % der Finn:innen machen keinen Sport. Die Niederlande haben ein sehr ausgefeiltes „Einschreibesystem“, das seine Kund:innen ihr Leben lang über Hausärzt:innen „monitort“ und sehr vorbeugeintensiv ist. Israel hat die effizientesten High-Tech-Kliniken und gute Telemedizin, bei verträglichen Kosten. Man kann in allen Sektoren große Sprünge machen, wenn man von anderen lernt.
Man sollte nicht zu technikgläubig sein; ich glaube der „ewig beschleunigte Fortschritt“ ist ein bisschen ein Märchen. Die sensationellen Versprechungen der technischen Medizin sind oft nicht eingetreten. Bei Krebs laborieren wir immer noch mit grausamen Chemotherapien. Der Grund ist, dass diese Durchbruchstechniken wie Gentechnik immer auch ein System dahinter brauchen, welches das ganze skaliert und bezahlbar macht. Daran arbeitet jetzt BioNTech: molekulare Krebstherapie in großem Maßstab, für Millionen Patient:innen, zu haltbaren Preisen. Die wahre Innovation liegt hier eher im Organisationsdesign. Roboter im Operationssaal gibt es, aber sie eignen sich weder zur Kostensenkung noch für alle Operationen. Es bleiben Insellösungen. Viel wichtiger ist die Ganzheitlichkeit der Medizin, ihre Verbindung zur Gesellschaft.
Ich sehe wenig Erfolge für die KI im Krankenhaus oder im direkten Umgang mit Patient:innen, außer einiger Rationalisierung in der Verwaltung. Das ist ein Hype, und der Glaube, dass man Pflegekräfte durch Roboter ersetzen könnte, ist ein Alptraum. Digitalisierung hat viel Inselnutzen, aber erzeugt auch unaufhörlich Schnittstellen, die wieder geschlossen werden müssen. Man kann auch über-digitalisieren, das zeigt sich in den Schulen wie im Krankenhaus. Im Umgang mit Menschen ist KI eher problematisch, auch in der grundlegenden Diagnostik sehe ich keinen wahren Durchbruch. Natürlich ist es sinnvoll, Röntgen und MRT-Bilder mit KI „vorscannen“ zu lassen. Aber KI hat seine wirklich große Bedeutung in der Forschung, wo es darum geht, schneller Moleküle zu analysieren und Medikamente zu entwickeln.
Es wäre schon schön, wenn man weniger ausgestresste Ärzt:innen hätte, die nach der dritten Nachtschicht völlig fertig sind. Und dann würden auch mehr Medizinstudent:innen in die angewandte Medizin gehen und bleiben. Arztsein ist derzeit ein lebenslanger Hochleistungssport, es sei denn, man findet Nischen, was viele österreichische Ärzt:innen auch tun. Aber im breiten Gesundheitswesen müssen wir runter von den zu hohen Arbeitsbelastungen. Wie man das macht, ist eine heikle Sache, es ist eine Mischung von vielen Faktoren: Geld, bessere Arbeitsorganisation, Immigration. Medizin ist ein Begeisterungsberuf, kein Fließbandberuf, das müssen wir wieder herstellen. Fließbänder sind sowieso out.
Aufhören zu jammern. Das reicht eigentlich schon. Und dann frisch neu denken.