DigitalDoctor: Können Sie unseren Leser:innen kurz erläutern, was hinter dem Begriff Soft Robotics steckt?
Overvelde: Soft Robots sind, wie der Name sagt, Roboter, die aus weichem Material hergestellt wurden. Sie lassen sich mit den Händen zusammendrücken – ein bisschen wie organisches Gewebe. Hinter Soft Robotics steckt also der Versuch, die Natur zu imitieren. Wenn Sie zum Beispiel an Lebewesen denken, die im Wasser leben: Sie sind alle weich und verformbar und funktionieren trotzdem. Wir versuchen, diese Weichheit nachzuahmen und eine vergleichbare Funktionalität zu erreichen. Dies ist besonders dann wichtig, wenn wir Systeme herstellen wollen, die sich an Veränderungen in ihrer Umgebung anpassen können. Diese Systeme können aufgrund ihrer Flexibilität und Robustheit auch in komplexen, unbekannten Umgebungen und unter schwierigen Umständen operieren und benötigen dazu kein zentrales Feedback, wie zum Beispiel von visuellen Sensoren.
Wie ist das möglich, dass diese Roboter autonom und ohne zentrale Sensoren funktionieren?
Overvelde: Wir machen uns die Weichheit des Roboters zunutze, um die mechanischen Eigenschaften, also auch die Fähigkeit, auf äußere Impulse zu reagieren, direkt in das System einzubetten. Dies bedeutet nicht, dass wir gänzlich auf zentrale Sensoren verzichten, aber die grundlegenden Bewegungsabläufe ähneln zum Beispiel dem menschlichen Gang, der zu einem großen Teil durch unsere Gestalt, unsere Reflexe sowie durch die Regulierung mittels Propriozeptoren in den Bindegewebsfaszien ermöglicht wird, ohne dass unser bewusstes Wahrnehmen und Reagieren gefordert sind. Man könnte sagen, dass der Körper für uns denkt, dass die in den Körper eingebettete Intelligenz es uns ermöglicht, auf eine effiziente Art zu gehen, ohne dabei immer unser Gehirn zu benützen. Wir benutzen also die Weichheit und Anpassungsfähigkeit unserer Roboter, um diese Fähigkeit unseres Körpers nachzuahmen.
Welche Rolle spielt dabei künstliche Intelligenz?
Overvelde: Eine zentrale künstliche Intelligenz kann, muss aber nicht zum Einsatz kommen. Unsere Soft Robots ähneln oftmals eher primitiven Insekten oder Bakterien, die ihre Bewegungen zum Beispiel durch mechanisches Feedback und Anpassung an die Umgebung koordinieren. Im Bereich Soft Robotics designen wir meist einfache Systeme, die nichts mit den Maschinen aus dem Film „Terminator“ gemeinsam haben, sondern basale Aufgaben erfüllen, wie durch ein Rohr zu kriechen. Ein weiteres Beispiel sind weiche Roboter-Handschuhe, die in der Neurorehabilitation eingesetzt werden. Bei all diesen Systemen erfolgt die Interaktion mit der Umgebung über die mechanischen Komponenten selbst und nicht durch eine übergeordnete KI.
Letztlich könnten aber doch Soft Robots als Komponenten von durch künstliche Intelligenz gesteuerten komplexeren Robotern eingesetzt werden?
Overvelde: Die Verbindung der beiden Ansätze ist eine der nächsten Herausforderungen in diesem Bereich. Die Soft Robots entsprechen dabei dem Körper und seinen Möglichkeiten, wesentliche Aufgaben ohne die Steuerung einer zentralen Denkinstanz zu erfüllen. Künstlicher Intelligenz kommt wiederum die Rolle solch einer zentralen Denkinstanz zu. Tatsächlich brauche ich ja beides, um etwa einen Spaziergang durch die Stadt zu machen. Das Gehen erledigt der Körper im Wesentlichen eigenständig, aber das Gehirn muss die Richtung vorgeben und laufend Entscheidungen treffen, wo ich wann abbiege.
Auf Ihrer Website präsentieren Sie einen Soft Robot, der in der Tomatenernte eingesetzt werden kann. Dabei erfolgen die Bewegungen, indem die Arme des Roboters durch Druckänderungen entweder aufgeblasen werden oder erschlaffen. Ist das ein universales Prinzip der Soft Robotics, dieser Wechsel zwischen zwei Druckzuständen?
Overvelde: Nicht unbedingt. Der Bereich der Soft Robotics ist stark multidisziplinär geprägt, und es gibt dementsprechend ganz unterschiedliche Ansätze. Als Maschinenbauingenieur arbeite ich vorwiegend an mechanischen Lösungen, während zum Beispiel im Bereich der Materialwissenschaften zur Entwicklung von speziellen Werkstoffen geforscht wird. Dazu zählen etwa sogenannte Light-Responsive soft Actuators. Das sind Materialien, die Lichtreize in Bewegung umsetzen können. Andere Werkstoffe reagieren auf Hitze oder Feuchtigkeit in einer bestimmten Weise, die im Bereich der Soft Robotics eingesetzt werden kann.
Der Einsatz von Soft Robots im medizinischen Bereich ist ja sehr breit, er reicht von chirurgischen Anwendungen über Exoskelette bei Lähmungen bis hin zu kollaborativen Robotern. Welche Anwendungen aus Ihrem konkreten Forschungsfeld spielen hier eine wichtige Rolle?
Overvelde: Das sind zum einem sogenannte Soft Gripper, also weiche Greif-Roboter, die in der Chirurgie für den Umgang mit empfindlichen Strukturen eingesetzt werden können. Zum anderen sind das Systeme, die in der Neurorehabilitation zur Anwendung kommen, wie spezielle Handschuhe, mit denen Bewegungsabläufe trainiert werden können. Generell eignen sich Soft Robots aufgrund ihrer Flexibilität und Weichheit für zahlreiche Anwendungen im medizinischen Bereich, gerade wenn es darum geht, dass die Interaktion des Roboters mit dem Körper zu keinen Verletzungen führt. Natürlich geht die Weichheit auf Kosten der Kraft, sodass es in dieser Hinsicht gewisse Einschränkungen gibt. Im weitesten Sinn fallen auch sich selbst entfaltende Origami-Stents in diesen Bereich. Letztlich ist es nicht so wichtig, ob es als „soft“ bezeichnet wird oder nicht, es kommt vielmehr darauf an, was du damit tun kannst.