SPECTRUM Dermatologie: Frau Doz.in Arzberger, lassen Sie uns mit einer kurzen Begriffsdefinition starten: Was ist Teledermatologie?
Doz.in Arzberger: Der Begriff Teledermatologie umfasst die Beurteilung, Diagnose und Behandlung von Hauterkrankungen auf Entfernung, unter Verwendung von Bildern und/oder Videos. Grundsätzlich unterscheidet man zwei Ansätze: die Real-Time-Teledermatologie und die Store-and-Forward-Teledermatologie. Bei Ersterer sind Patient:in und Ärzt:in über einen Video-Call verbunden, sodass die Diagnose und eventuell auch eine Therapieempfehlung direkt erfolgen kann. Bei Zweiterer beurteilen Dermatolog:innen von Patient:innen oder Kolleg:innen übermittelte Bilder zeitversetzt, wichtige klinische Informationen werden mitgeliefert. Vorteile dieses Ansatzes: Man kann sich die Bilder in Ruhe anschauen, und die Bildqualität ist meist besser als bei Videoaufnahmen. Ein Nachteil ist, dass man fehlende Informationen nicht so leicht nachfragen kann.
„Derzeit wird das teledermatologische Netzwerk unter meiner Leitung auf die gesamte Steiermark ausgerollt: Mit dabei sind 120 niedergelassene Ärzt:innen, davon 14 Dermatolog:innen.“
Die aktuelle S2k-Leitlinie Teledermatologie1 enthält Empfehlungen zur Teledermatologie bei Psoriasis, atopischer Dermatitis, Hautkrebs sowie chronischen und akuten Wunden. Wofür kann Teledermatologie in diesen Indikationen sinnvoll eingesetzt werden?
Bei Psoriasis und atopischer Dermatitis kommt die Teledermatologie vornehmlich zur Therapie- und Verlaufskontrolle zum Einsatz. Die Diagnose wird in der Regel Face-to-Face gestellt, wobei eine teledermatologische Diagnosestellung bzw. -bestätigung bei Verfügbarkeit auflichtmikroskopischer Bilder durchaus möglich wäre.
Bei chronischen Wunden ist eine ärztliche Erstabklärung unverzichtbar, um einschätzen zu können, ob es sich um ein arterielles oder venöses Ulkus handelt, ob eine Polyneuropathie vorliegt, und in welchem Gesamtzustand sich die Patient:innen befinden. Anschließend kann man eine Therapie verschreiben, die dann in regelmäßigen Abständen kontrolliert wird. Diese Therapiekontrollen, und ggf. auch Therapieadaptierungen, können sehr gut teledermatologisch durchgeführt werden.
Zuverlässig ist die Teledermatologie auch bei der Diagnose von Hautkrebs, sprich der Beurteilung von nichtmelanozytären und melanozytären Läsionen (benigne vs. maligne). Voraussetzung sind qualitativ hochwertige auflichtmikroskopische Bilder.
Die Hautklinik der Universität Graz hat einen starken Fokus auf Teledermatologie. Welche Angebote gibt es hier?
Teledermatologische Versorgung wird an der Grazer Hautklinik immer wieder im Rahmen von Studien angeboten und untersucht; erfolgreich durchgeführte Studien gab und gibt es z. B. in den Indikationen Psoriasis, Ulkus und Akne. Gemeinsam mit der Hautklinik führe ich auch ein Projekt für Hautkrebsvorsorgeuntersuchungen in Firmen durch, bei der 3-D-Ganzkörper- und dermatoskopische Aufnahmen von einem Studenten/einer Studentin vor Ort durchgeführt werden. Diese werden dann remote von einem Experten/einer Expertin beurteilt und die Ergebnisse mit meiner Face-to-Face-Untersuchung verglichen. Die ersten Ergebnisse sind hier vielversprechend. Die Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie ist zudem als tertiäre Struktur in das Teledermatologie-Projekt Steiermark eingebunden. Generell wird aber eine Dezentralisierung des teledermatologischen Netzwerkes angestrebt, d. h., wir möchten die Teledermatologie in den niedergelassenen Bereich bringen.
Gibt es bereits konkrete Pläne zum Roll-out der Teledermatologie im niedergelassenen Bereich?
Das bereits erwähnte Teledermatologie-Projekt Steiermark hat seinen Anfang vor ca. 5 Jahren genommen, als ich im Bezirk Liezen, einer Region mit wenig Dermatolog:innen, meine Ordination eröffnete. Ich lernte allgemeinmedizinische Kolleg:innen kennen, wir tauschten die Telefonnummern aus, und dann ging es rund: Ich bekam ein Bild nach dem anderen zugeschickt, über die verschiedensten Kanäle, der Bedarf war enorm. Von meiner Forschungsarbeit an der Grazer Hautklinik wusste ich, dass Teledermatologie prinzipiell gut und zuverlässig funktioniert und mit Unterstützung des Gesundheitsfonds Steiermark, der Ärztekammer Steiermark, der MedUni Graz, der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) und der Firma e-derm-consult konnten wir ein Pilotprojekt im niedergelassenen Bereich starten: Teilnehmende Hausärzt:innen hatten die Möglichkeit, Bilder von klinischen Fällen, die sie selbst nicht behandeln konnten, an Dr. Manfred Tritscher (Schladming) oder mich zu schicken. Wir beurteilten die Bilder, stellten eine Diagnose und machten einen Therapievorschlag. Das ursprünglich auf 2 Jahre ausgelegte Projekt war ein großer Erfolg, wurde um 2 Jahre verlängert und ausgeweitet. Im Moment wird das Projekt, finanziert vom Land Steiermark und der ÖGK, unter meiner Leitung auf die gesamte Steiermark ausgerollt: Mit dabei sind 120 niedergelassene Ärzt:innen, davon 14 Dermatolog:innen.
In Tirol ist das gleiche Projekt, das wir nun in der Steiermark ausrollen, seit genau einem Jahr flächendeckend etabliert. In Summe beteiligen sich hier 20 Ärzt:innen, darunter 3 Dermatologen.
Wie genau funktioniert die Kommunikation zwischen den Hausärzt:innen, die ein Anfrage schicken, und den Expert:innen, die sie beantworten?
Innerhalb dieses Projektes gibt es 5 Antwortmöglichkeiten für die Expert:innen: (1) Es ist keine Therapie indiziert; die bisherige Erfahrung zeigt, dass dies auf ungefähr 20 % der Anfragen zutrifft. (2) Der Hausarzt/die Hausärztin soll behandeln, d. h., die Therapieempfehlung des Experten/der Expertin umsetzen; dies trifft auf ca. 60 % der Fälle zu. (3) Der Patient/die Patientin benötigt sofort einen Termin beim Facharzt/bei der Fachärztin für Dermatologie; dies trifft auf ca. 4 % aller Fälle zu, z. B. wenn ein bösartiger Tumor oder eine blasenbildende Erkrankung vorliegt. (4) Der Patient/die Patientin soll innerhalb von 3 Monaten einen Dermatologen/eine Dermatologin konsultieren; dies betrifft gut 10 % der Fälle, z. B. Patient:innen mit sehr vielen Muttermalen, die einer fachärztlichen Kontrolle bedürfen. (5) Der Patient/die Patientin ist ein Fall für die Hautklinik; hier handelt es sich meist um Patient:innen mit operationsbedürftigen Tumoren im Gesicht. Die Bilder werden elektronisch an die Hautklinik der Universität Graz übermittelt, und die Patient:innen erhalten direkt einen Aufnahmetermin zur operativen Sanierung des Tumors. Dadurch sparen sich die oft betagten Patient:innen mindestens eine, manchmal auch zwei Fahrten in die Ambulanz, die im Bezirk Liezen oft über 100 km betragen können, und auch für das Gesundheitswesen ist dieses Vorgehen ressourcenschonend. Neben diesen 5Antwortmöglichkeiten gibt es eine weitere, nämlich, dass die Bildqualität schlecht ist und keine Beurteilung zulässt und daher neue oder weitere Bilder geschickt werden sollen.
In Ihrer Wahlarztordination bieten Sie die Möglichkeit an, dass Patient:innen direkt teledermatologische Anfragen stellen. Wie gut funktioniert das?
Das Angebot wird gut angenommen, nicht zuletzt weil ich derzeit keine neuen Patient:innen mehr aufnehmen kann und sie so zumindest die Möglichkeit haben, mir eine teledermatologische Anfrage zu schicken. Die Patient:innen schicken mir Bilder, die von ihnen selbst oder von jemandem aus ihrem Umfeld gemacht wurden, zusammen mit einem komplettierten Fragebogen, der die wichtigsten Informationen zur Krankengeschichte enthält. In den meisten Fällen betreffen die Anfragen entzündliche Hauterkrankungen, bei 30–40 % geht es um die Abklärung von Hauttumoren.
Wenn eine gefährliche Diagnose im Raum steht, bestelle ich die Patient:innen natürlich ein – auch wenn ich eigentlich keine neuen Patient:innen mehr aufnehmen kann. Im Rest der Fälle kann ich die Patient:innen beruhigen oder eine Therapieempfehlung geben. Die Patient:innen erhalten einen Online-Befund, den sie ihrem Hausarzt/ihrer Hausärztin zeigen können, sowie eine Rechnung, die sie bei der Krankenkasse einreichen können.
In der Ordination verwende ich das datengeschützte Online-Kommunikationsportal „doctor2patient.at“, das eine sichere Kommunikation zu Patientenfragen ohne Anwesenheit der Patient:innen in der Ordination garantiert. Man braucht dafür keine App oder spezielle Software, nur ein internetfähiges Gerät. Praktisch für eventuelle Rückfragen ist die integrierte Chatfunktion. Entwickelt wurde „doctor2patient“ von e-derm-consult, einem auf teledermatologische Lösungen spezialisierten Unternehmen mit Sitz in Graz.
„Das Schöne an unserem Projekt ist die Regionalität: Bestehende Strukturen bleiben erhalten, sie werden nur teledermatologisch aufgewertet.“
Welche Tipps haben Sie für Kolleg:innen, die teledermatologisch tätig werden möchten?
Hautärzt:innen, die auch teledermatologisch arbeiten möchten, empfehle ich zuerst eine gute Absicherung. Die teledermatologische Tätigkeit muss in die Haftpflichtversicherung aufgenommen werden, das lässt sich aber in der Regel mit einem „Einzeiler“ an die Versicherung regeln. Mein zweiter Tipp: Kritisch bleiben. Wenn Bildqualität oder Bildausschnitt suboptimal sind und keine eindeutige Beurteilung zulassen, sollten neue Bilder angefordert oder der Patient/die Patientin einbestellt werden. Man haftet für das, was man empfiehlt. Mein dritter Tipp: Trauen Sie sich, versuchen Sie es einfach! Teledermatologie funktioniert gut und ist sicher, das kann ich aus meiner langjährigen Erfahrung und Mitarbeit an zahlreichen Studien sagen.
In welchen Bereichen sehen Sie besonderes Potenzial für die Teledermatologie?
Teledermatologie kann die dermatologische Patientenversorgung verbessern, das gilt besonders in ländlichen Regionen mit zu wenig niedergelassenen Hautärzt:innen. Das Schöne an unserem Projekt ist die Regionalität: Patientenströme werden nicht verändert, bestehende Strukturen bleiben erhalten, sie werden nur teledermatologisch aufgewertet. Wir haben damit keinen Bedarf geschaffen, sondern eine Versorgungslücke geschlossen. Das Projekt wirkt als Triage-System, in dem Sinne, dass Patient:innen bei Bedarf rasch einen Facharzt- oder Spitalstermin bekommen. Ein weiterer Vorteil unseres Netzwerkes: Die teledermatologische Beurteilung wird von Ärzt:innen durchgeführt, ohne zwischengeschalteten Algorithmus oder Einsatz künstlicher Intelligenz (KI). Die sinnvolle Kombination von Teledermatologie und KI sehe ich als große Chance, aber auch Herausforderung der Zukunft.
Danke für das Gespräch!