Die rheumatischen Krankheiten „verschonen kein Gebilde unseres Organismus, vom Scheitel bis zur Ferse, indem sie bald als Kopf-, Zahn- oder Ohrenweh bald unter der Gestalt von Augenentzündung, Lenden- und Hüftschmerz erscheinen“1. Diese Beschreibung aus dem Jahr 1810 passt zur Internet-Weisheit von 2018, die Fieber, Gewichtsverlust, Gelenkschmerzen, Nebenhöhlenentzündung und blutiges Sputum bei der im Titel genannten Diagnose aufführt. Die unspezifischen Krankheitszeichen machen Sorgen, Ängste und führen zu Vermutungen. Übersichtsuntersuchungen und die Verfolgung der Leitsymptome führen zu gezielteren Blutuntersuchungen und bildgebenden Tests.
Wenn eine Gewebegewinnung gelingt, liegt der Ball beim Histopathologen. Ein solcher war Friedrich Wegener, der einen 38-jährigen Lastwagenfahrer mit Sattelnase, Taubheit und Ulzerationen im Mund und im Magen untersuchte und viele nekrotische Granulome (Raumforderungen) und eine generalisierte Gefäßentzündung beschrieb.2, 3 Eine unerklärliche infektiöse Sepsis gehörte zu den Erklärungsversuchen dieser Zeit, es wurden aber bisher noch nie zuordenbare Mikroorganismen gefunden. Der Name des Pathologen sollte wegen seiner Nazi-Aktivitäten verpönt werden.4 Jetzt wird der Name ANCA-assoziierte granulomatöse Polyangiitis (GPA) benützt. Die GPA kann sich vielerorts manifestieren.5 Augen und Nebenhöhlen, Luftwege und Lunge und die Niere sind von dieser sehr seltenen Erkrankung betroffen und sollten auch bei unspezifischer Symptomatik untersucht werden.
Granulome: Beide Gewebsreaktionen, Granulombildung und Vaskulitis, können notabene bei Infektionen vorkommen. Die Beschreibung von Granulomen führt zu langen klinischen und bildgebenden Differenzialdiagnose-Ketten, z. B. im Kopfbereich6 (Tab. 1 und 2). Granulome können auch durch Tbc, Lepra, Syphilis oder Sarkoidose entstehen. Granulom (Körnchen, Knödelchen) steht für eine Ansammlung von mononukleären Entzündungszellen, Makrophagen und Riesenzellen, einer enkapsulierenden Fibrose und manchmal Nekrosen.
Vaskulitis: Die Beschreibung der (von Leukozyten besiedelten und zerstörten) Wand von Blutgefäßen definiert die Vaskulitis, auch hier ist zunächst eine Infektion zu bedenken (Syphilis, Lepra, Fleckfieber, HCV, Rickettsien [Fleckfieber]).7 Bei der Expertenkonferenz für Vaskulitis spielen neben Angiologen, Nephrologen, Rheumatologen auch Chirurgen mit, hier gilt es, operable Vaskulitiden großer Gefäße gegen die Granulomatose mit Angiitis abzugrenzen. Auch bei Letzterer müssen Therapieentscheidungen rasch fallen, um ein Organversagen zu verhindern, Unbehandelte können eine Mortalität von 80 % haben. Die Chapel-Hill-Konsensus-Einteilung für Vaskulitiden wird periodisch erneuert8; ein wesentlicher Punkt ist dabei die Größe der befallenen Blutgefäße.
ANCA: Eine große, aber klinisch nicht immer leicht interpretierbare Hilfe kommt bei der Diagnostik (und sehr vielleicht auch beim Langzeitmanagement der Therapie) der Kleingefäßvaskulitiden dem Antikörpernachweis gegen körpereigene Zellbestandteile von Leukozyten (ANCA) zu.9 Per Zufall von einem australischen Arzt entdeckt, ist der ANCA-Test spezifisch (Immunfluoreszenz c-ANCA oder p-ANCA, Proteine PR3 [Proteinase 3] oder MPO [Myeloperoxidase]; bei GPA, eosinophiler GPA, mikro-PAN), aber für die Diagnose nicht obligat.
Die ANCA-assoziierten Vaskulitiden zeigen als Hinweis auf die Pathogenität der ANCA eine zelluläre Aufnahme von Kernbestandteilen von apoptotischen oder nekrotischen Neutrophilen im perivaskulären Gewebe sowie eine fibrinoide Nekrose der Gefäßwand. Im Gegensatz zum Lupus erythematosus ist die Apoptose als Prozess generell bei den Vaskulitiden vermindert.10 Die Expression von PR3 auf den apoptotischen Zellen fördert bei der GPA die Entzündung.11–13 Eine epigenetische Regulation der Expression der Gene für MPO und PR3 dürfte bei der Entstehung dieser Krankheiten wesentlich sein und möglicherweise sogar einen therapeutischen Ansatzpunkt darstellen.14, 15
B- und T-Lymphozyten: Erkenntnisse in der Pathophysiologie der GPA lenken die Aufmerksamkeit eher auf die Stadien des Krankheitsverlaufs. Zuerst kommt die Bildung von Granulomen mit Überexpression von gamma-IFN und Ausbildung von TH1-Memory-T-Lymphozyten.16 Umwelteinflüsse, Stimulierung durch Bakterienantigene (z. B. Staphylokokkus aureus) führen zur Perpetuation der B-Zell-Aktivierung, Augmentierung der ANCA-Produktion und schließlich zur Vaskulitis.17 Fallgruben wie die IgG4-mediierten Erkrankungen gibt es immer.18
Die heutige Behandlung der GPA (Granulomatose mit Polyangiitis) ist eine breite Immunsuppression durch Glukokortikoide, langjährige Immunmodulation mit Azathioprin oder Mycophenolat, stoßartige Induktion einer Remission mit Cyclophosphamid- oder mit B-Lymphozyten-Depletion (z. B. Anti-CD20-Antikörper).19–21 Ein Cochrane-Review bestätigte allen genannten Strategien und einem zusätzlichen Plasmatausch bei foudroyantem Verlauf eine Wirksamkeit.22 Die oft geübte Anti-Staphylokokken-Strategie mit Cotrimoxazol wurde bei GPA nicht bestätigt. Im individuellen Betroffensein ist es Teil der ärztlichen Kunst, das Risiko von Infektionen bei Diagnose und während der jahrelangen Kontrollphasen zu respektieren und zu minimieren.21, 23, 24
Die zunehmende Kenntnis der Pathophysiologie (bis hin zur epigenetischen Regulation von Autoantigenexpression) und ein klinisch anwendbares Verständnis der Systembiologie wird neue Therapeutika generieren. Methotrexat, Leflunomid, Azathioprin, Mycophenolat, Cyclophosphamid, Signaltransduktionshemmer und ein gezielter Eingriff mit rekombinanten Biologika schaffen meist eine Remissionsinduktion bei GPA. Hohe Achtsamkeit gegenüber einem Rückfall ist immer noch notwendig und Teil einer erfolgreichen Krankheitsbewältigung.
Übermorgen könnte es ja doch noch einen erkennbaren infektiösen Trigger geben (siehe Helicobacter); auf ein Vakzin warten wir (wie auch noch immer für die Borreliose, die Malaria und den Alzheimer). Die Instrumente der Immunsuppression werden immer feiner und gezielter. Die (Epi-)Genetik zeitigt klinisch verwertbare Patientenmerkmale und wird die Empfänglichkeit des individuellen Patienten für Wirkung und Infektionen anzeigen.25 Die Systemvaskulitiden wie die GPA sind sehr selten. Dennoch sollte man in der medizinischen Versorgungsplanung eigene Excellence-Center für Vaskulitiden und ähnliche potenziell letale Erkrankungen vorsehen, die mit „harmlosen“ Symptomen beginnen (vom Schwindel zur Pachymeningitis, vom Gelenkschmerz zur Kaverne, vom Schnupfen zum Nierenversagen). Der vom Internet und den schwer abzuschaffenden Eponymen geplagte Hypochonder bedarf der ärztlichen Beruhigung.