Darmerkrankungen und Gelenke


Magen-Darm-Infektionen

Nach der Infektion mit enteropathischen Bakterien (Shigellen, Salmonellen, Yersinien, Campylobacter etc.) tritt bei bis zu 10 % der Patienten eine Arthritis auf. Diese ist meist eine Mono- oder Oligoarthritis der unteren Extremitäten (Hüfte, Knie, Sprunggelenke), es kann aber jede Gelenkregion betroffen sein. Typischerweise beginnt die Arthritis 1–2 Wochen nach der Enteritis, es sind aber auch Intervalle bis zu ca. 3 Monaten möglich. Die Gelenksymptome sind meist selbstlimitierend, chronische Verläufe sind aber mit 15–30 % nicht selten. Kreuzdarmbeingelenk- oder Wirbelsäulenentzündungen treten röntgenologisch in 6–9 % auf, allerdings sind destruktive Verläufe eher selten. 60–80 % der Patienten mit enteropathischer Arthritis sind HLA-B27-positiv (5–8 % in der kaukasischen Population), möglicherweise ist bei diesen Individuen auch der Schweregrad der Arthritis größer.

Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) und Gelenkbeteiligung

Bei 15–20 % der Patienten mit einer CED wie Morbus Crohn (MC) oder Colitis ulcerosa (CU) sind Gelenke betroffen. Typische Manifestationen sind Spondylitiden oder asymmetrische Arthritiden einzelner großer Gelenke, meist der unteren Extremitäten.

 

 

Zeitlicher Zusammenhang

Auf Basis des Zusammenhangs der Gelenksymptome mit der klinischen Aktivität der CED können zwei Formen unterschieden werden:
Typ I tritt parallel zu akuten Schüben der Darmerkrankung auf. Die Gelenkentzündungen remittieren folgerichtig gemeinsam mit der Darmentzündung. Bei dieser klinischen Verlaufsform sind auch Gelenkzerstörungen selten.
Im Unterschied dazu findet sich beim Typ II kein zeitlicher oder klinischer Zusammenhang mit der Aktivität der Darmentzündung. Bei dieser Form sind auch polyartikuläre Formen (Befall von mehr als fünf Gelenken) häufiger. Symptome der Arthritis bzw. Spondylitis können über lange Zeit bestehen, unabhängig von der Aktivität oder dem Ansprechen der CED auf die Therapie. Destruktive Verläufe an peripheren Gelenken und irreversible Veränderungen an der Wirbelsäule im Sinne einer ankylosierenden Spondylitis sind möglich. Generell können die rheumatischen Symptome den Darmbeschwerden mehrere Jahre vorausgehen. Auch Enthesitiden (schmerzhafte entzündliche Veränderungen der Sehnenansätze, wie z. B. an Ferse, Sternum, Trochanter etc.) kommen vor. Auch die Enthesitis kann wie die Arthritis der klinischen Manifestation längere Zeit vorausgehen.
Neben Arthritis und/oder Spondylitis können Uveitis, Skleritis, Erythema nodosum, Aphthen/Stomatitis und primär sklerosierende Cholangitis komplizierend hinzukommen.

Formen der CED

Morbus Crohn: 2–7 % der MC-Patienten weisen eine Wirbelsäulenbeteiligung und ca. 20 % eine Beteiligung peripherer Gelenke auf. Im Fall einer Stammskeletbeteiligung besteht ein Überwiegen männlicher Patienten von ca. 3 : 1, die peripheren Manifestationen sind bei beiden Geschlechtern gleich häufig. Die Hälfte der MC-Patienten mit Wirbelsäulenentzündung ist HLA-B27-positiv.

Colitis ulcerosa: Etwa 25 % der Patienten mit CU haben Wirbelsäulenbeschwerden. Bei ca. 60 % dieser Gruppe kann HLA-B27 nachgewiesen werden. Periphere Arthritis ist bei der CU seltener und bei ca 10 % der Patienten zu finden. Periphere Arthritis ist bei CED nicht mit HLA-B27-Trägerschaft assoziiert.


Sonderformen: Vermutlich um einiges seltener als die „klassischen“ CED Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sind die Sonderformen der Kollagencolitis, der lymphozytären Colitis und der mikroskopischen Colitis. Auch bei diesen handelt es sich um chronisch-entzündliche Erkrankungen der intestinalen Mukosa mit möglichen rheumatologischen Manifestationen: Assoziationen mit Autoimmunthyreoiditis, rezidivierender Uveitis, Polymyalgia rheumatica/Riesenzellarteriitis, Myasthenia gravis, Vitiligo, Sklerodermie, Sjögren-Syndrom, Lungenfibrose, systemischem Lupus erythematodes, Sarkoidose und chronischer Polyarthritis/rheumatoider Arthritis wurden beschrieben. Die Häufigkeit dieser Assoziationen wird mit 17–40 % angegeben. Eine periphere Arthritis findet sich in 7 % bis 10 % (ähnlich häufig wie bei CU, aber seltener als bei MC); auch Spondylarthritis wurde beschrieben.


Entzündlich-rheumatische Erkrankungen und chronische Darmentzündung

Entzündliche Wirbelsäulenerkrankungen treten familiär gehäuft auf. Ein großer Prozentsatz dieser Erkrankungen ist HLA-B27-assoziiert (bei ankylosierender Spondylitis/M. Bechterew bis über 90 %). Ebenso sind Hauterkrankungen wie Psoriasis bei dieser Gruppe von Patienten gehäuft zu finden. Hinzu kommen – vor allem im Darm – Schleimhautentzündungen. Coloskopisch können entzündliche, klinisch oft kaum symptomatische Läsionen bei 30–60 % der M. Bechterew-Patienten und bei bis zu 30 % der Psoriasisarthritis-Patienten gefunden werden. Möglicherweise ist die Störung der Darmbarriere von pathogenetischer Bedeutung für die Gelenkerkrankung.

Rheumatische Gefäßentzündungen

Entzündlich-rheumatische Systemerkrankungen können mit Gefäßentzündungen (Vaskulitis) assoziiert sein. Dies ist typischerweise bei den primären Vaskulitiden wie M. Wegener, M. Behçet, Churg-Strauss-Syndrom und anderen der Fall, aber auch die chronische Polyarthritis/rheumatoide Arthritis und der systemische Lupus erythematodes können mit Vaskulitiden der großen und kleinen Darmgefäße einhergehen. Dies kann die Funktion des Darms substanziell beeinträchtigen. Bei arteriellen Gefäßverschlüssen besteht die Gefahr von Blutung und Darmperforation. Da die Vaskulitis meist nicht auf die Darmgefäße beschränkt ist, können andere Manifestationen (Lunge, Niere, Gehirn) klinisch im Vordergrund stehen, die Darmbeteiligung sollte aber nicht übersehen werden.

Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) und Gastrointestinaltrakt

Die NSAR sind die weltweit meistverordnete Substanzklasse. An der Magen-Darm-Schleimhaut können sie aber schwere Nebenwirkungen haben: 70 % der Patienten zeigen (oft asymptomatische und nur endoskopisch identifizierbare) Schleimhautschäden. Magen- und (seltener) Duodenalulzera entstehen bei 10–25 % der NSAR-Einnehmenden. Auch Dünn- und Dickdarm können Ulzera und Blutungen als Folge einer NSAR-Einnahme entwickeln bzw. können NSAR eine Colitis aggravieren. Darüber hinaus geben etwa 30 % der Patienten unter NSAR-Therapie Bauchbeschwerden an. Endoskopisch werden Schleimhautdefekte bei diesen Patienten häufig, aber bei Weitem nicht immer gefunden. Andererseits können auch große Geschwüre asymptomatisch bleiben – Blutung oder Perforation können in diesen Fällen die Erstmanifestation sein. Bei entsprechender Risikokonstellation sollte eine Protonenpumpenhemmer-Prophylaxe zur NSAR-Einnahme verordnet werden.

Die „Biologika-Ära“

Die Entwicklung von biotechnologisch hergestellten, spezifisch gegen bestimmte Schritte in der Entzündungskaskade gerichteten Substanzen hat die Therapie chronisch-entzündlicher Erkrankungen in den letzten Jahren revolutioniert. Obwohl die meisten dieser Substanzen primär für die Therapie der chronischen Polyarthritis entwickelt wurden und werden, folgt doch regelhaft ihre Anwendung in anderen Indikationen wie den seronegativen Spondylarthropathien und auch den chronisch-entzündlichen Erkrankungen anderer Organe/Organsysteme. Derzeit sind für die Behandlung schwerer Formen der CED Infliximab und Adalimumab zugelassen. Interessanterweise scheint Etanercept (im Gegensatz zu den genannten Antikörpern ein Rezeptor-Konstrukt) bei CED ineffektiv, wohingegen Certolizumab-Pegol deutliche klinische Effekte zeigte. Letzteres ist allerdings für CED (noch) nicht zugelassen. Offenbar spielen sowohl bei der Pathogenese der CED als auch der entzündlich-rheumatischen Erkrankungen ähnliche Mechanismen eine Rolle, wenn auch mit subtilen Unterschieden.

Zusammenfassung

Häufig haben traditionellerweise verschiedene medizinische Spezialdisziplinen wie Rheumatologie und Gastroenterologie unterschiedliche Perspektiven, die gelegentlich verhindern, Gemeinsamkeiten der Krankheitsursachen, der Symptome und der Therapie zu erkennen. Mit verbessertem therapeutischem Repertoire, insbesondere in der Frühtherapie oder bei besonders schweren Verläufen, werden immer zahlreichere Gemeinsamkeiten zwischen diesen Fachgebieten deutlich. Umfassende medizinische Betreuung und frühzeitige Diagnostik sowie gezieltere und sicherere Therapien erfordern eine enge interdisziplinäre Kooperation zum Wohl der Patienten.