Seit dem 19. Jahrhundert ist ein Syndrom mit Mund- und Augentrockenheit sowie Gelenkbeschwerden bekannt. Schon Mikulicz beschrieb eine Keratokonjunktivitis sicca in Assoziation mit Schwellung exokriner Drüsen. Zusammen mit der Autoimmunpankreatitis, Retroperitonealfibrose, der Riedel-Thyreoiditis und der sklerosierenden Cholangitis wird diese Krankheit heute den IgG4-assoziierten Erkrankungen zugeordnet.
1933 wurde das Sicca-Syndrom vom Ophthalmologen Henrik Sjögren systematisch beschrieben. Dabei handelt es sich um eine entzündliche lymphozytäre Infiltration von exokrinen Drüsen, vor allem der Parotiden, Mundbodenspeichel- und Tränendrüsen. Auch entzündliche Infiltrate in anderen exokrinen Drüsen, etwa im Vaginalbereich, der Trachea (Xerotrachea) oder der Haut (Xeroderma) kommen vor. Die daraus resultierende Symptomatik von Mundtrockenheit und Augentrockenheit wird primäres Sicca- oder Sjögren-Syndrom genannt; als sekundäres Sjögren-Syndrom wird die Krankheit bezeichnet, wenn eine andere (vor allem rheumatische) Grunderkrankung vorliegt, wie rheumatoide Arthritis, systemischer Lupus erythematodes oder primär biliäre Zirrhose. Generell wird das Sjögren- Syndrom zu den nicht organspezifischen Autoimmunkrankheiten gezählt und gehört dort in den großen Komplex der Kollagenosen. Das Sjögren-Syndrom kann auch extraglanduläre Manifestationen aufweisen, zu denen eine Gelenk-, Lungen-, Nierenoder ZNS-Beteiligung gehören. Mehrere andere immunologisch mediierte Erkrankungen wie Autoimmunthyreoiditis und primär biliäre Zirrhose sind häufig mit einem Sjögren-Syndrom vergesellschaftet.
Xerophthalmie: Aufgrund der quantitativ verminderten und qualitativ geänderten Tränenproduktion kommt es zu verfrühtem Abriss des Tränenfilms, der auch gemessen werden kann – tear break up time. Außerdem kann die Tränenmenge mit dem Schirmer-Test quantifiziert werden. Patienten beschreiben in der Frühphase ein intermittierend oder dauernd auftretendes Fremdkörpergefühl der Augen. Wegen des Verlustes der Hornhautschutzfunktion kann es im Verlauf zu erosiven oder ulzerierenden Hornhautläsionen kommen.
Xerostomie: Durch verminderten Speichelfluss kommt es zu Mundtrockenheit, die sich zuerst nachts, später aber auch tagsüber und beim Sprechen bemerkbar macht. In weiterer Folge können auch Schluckstörungen und durch die Speichelflussverminderung Parodontose/Parodontitis und Karies auftreten – mit dem Risiko eines frühzeitigen Zahnverlustes. Da besonders die oralen Symptome bei vielen anderen Erkrankungen vorkommen und auch häufig medikamentös induziert sein können, ist eine gezielte anamnestische Befragung und Diagnostik entscheidend, um Fehldiagnosen und Stigmatisierungen zu vermeiden (Tabelle 1). In Phasen der akuten Entzündung tritt eine ein- oder beidseitige Parotis- bzw. Mundbodenspeicheldrüsenschwellung auf.
Aufgrund von verminderter Schleimproduktion in der Vagina kann es auch zu Problemen beim Geschlechtsverkehr kommen.
Charakteristischerweise sind antinukleäre Antikörper (ANA) – homogenes oder Speckle-Muster – deutlich erhöht. Bei Bestimmung der ANA-Subgruppen finden sich in ca. 60–70 % Anti- Ro- und Anti-La-Antikörper. Oft liegt auch ein stark erhöhter Rheumafaktor vor. Auffallend sind oft deutlich erhöhte γ-Globuline, vor allem IgG als Ausdruck einer polyklonalen Aktivierung. In Abhängigkeit von der Akuität werden auch erhöhte Entzündungsparameter gemessen, es finden sich Zytopenien (Leuko- und Thrombopenie), manchmal auch eine Kryoglobulinämie.
Zur Diagnostik der Augentrockenheit dient der Schirmer-Test, bei dem direkt die Tränenmenge pro Zeiteinheit gemessen werden kann. Weiters wird der Bengal-Rosa-Test (Färbung von devitalen Hornhautteilen) und die so genannte tear break up time gemessen. Die Funktion der Speicheldrüsen wird nichtapparativ durch Messung des unstimulierten und stimulierten (Saxon-Test) Speichelflusses sowie apparativ mit der Speicheldrüsenszintigrafie quantifiziert. Die Speicheldrüsen selbst können mit Sonografie und MRT dargestellt werden. Größe und Morphologie geben Aufschluss über die Entzündung und narbige Veränderungen sowie über eventuelle Differenzialdiagnosen. Idealerweise sollte eine Biopsie der Speicheldrüsen erfolgen, wo die Anzahl von Keimzentren und die lymphozytäre Infiltration dargestellt wird. Andere Organmanifestationen werden durch entsprechende Untersuchungen, Bodyplethysmografie, Bronchoskopie, Haut- und Muskelbiopsien, Nervenleitgeschwindigkeit, Röntgen- und MRTUntersuchung genauer definiert. Als Diagnosehilfe dienen Europäisch-amerikanische Kriterien für das Vorliegen eines Sjögren-Syndroms (Tabelle 2).
Gelenkbeteiligung:Wegen einer nichterosiven Arthritis werden die Patienten häufig beim Rheumatologen vorstellig. Die Beschwerden sind meist im Handskelett lokalisiert. In weiterer Folge kommt es typischerweise nicht zu Deviationen und nur schmerzbedingt zu funktionellen Einschränkungen. Wenn eine erosive Arthritis auftritt, ist an ein sekundäres Sjögren-Syndrom im Rahmen einer chronischen Polyarthritis zu denken.
Gefäße: Häufig kommt es zu einer leukozytoklastischen Vaskulitis bzw. Vaskulitis kleinerer Gefäße und bei Kryoglobulinämie zu Ausbildung einer Purpura. Auch ein Raynaud-Syndrom ist bei Sjögren-Syndrom gehäuft festzustellen.
Lunge:Wie bei allen Kollagenosen, zu denen auch das Sjögren- Syndrom zählt, kommt es in seltenen Fällen zu einer Alveolitis und bei Chronifizierung zur Bildung einer Lungenfibrose, eventuell auch mit Ausbildung einer pulmonalen Hypertension. Manchmal kommt es zum Auftreten einer Bronchiolitis obliterans. Zusätzlich besteht aufgrund des mangelnden Speichelflusses und der Xerotrachea eine verminderte Schutzbarriere gegen das Eindringen von pathogenen Keimen. Dies kann zu gehäuftem Auftreten von Bronchitis und Pneumonien führen.
Nierenbeteiligung: In seltenen Fällen kommt es zu einer renalen Beteiligung im Sinne einer interstitiellen Nephritis mit Proteinurie und Hämaturie oder einer tubulären Schädigung mit renal tubulärer Azidose und entsprechenden Elektrolytverschiebungen. Selten findet sich eine glomeruläre Mitbeteiligung.
Neuromuskuläre Beteiligung: Vereinzelt treten muskuläre Symptome mit Erhöhung von Muskelenzymen (CK, Aldolase) auf. Axonale Polyneuropathie ist häufig mit Purpura assoziiert. Sensomotorische Neuropathien sind vor allem mit hoher Aktivität und Auftreten von Kryoglobulinämie sowie monoklonaler Gammopathie vergesellschaftet, während dies bei sensorischen Polyneuropathien häufiger nicht der Fall ist.
Ein apoplektischer Insult kann sowohl ischämischer Genese im Sinne eines sekundären Antiphospholipidsyndroms als auch vaskulitischer Genese sein. Gelegentlich kommt es zu multiplen skleroseähnlichen Symptomen und transverser Myelitis.
Lymphom: In ca. 10 % der Fälle kann es nach langjährigem Verlauf zur Ausbildung eines malignen B-Zell-Lymphoms kommen. Interessanterweise ist die Lymphominzidenz bei schon in der initialen Speicheldrüsenbiopsien festgestellten schwereren Entzündungen mit Keimzentren gehäuft (14 vs. 1 %). Weiters gelten hohe Krankheitsaktivität, gemischte Kryoglobulinämie, C4-Defizit und persistierende Parotisschwellung als Risikoparameter. Besondere Bedeutung haben die extraglandulären Manifestationen in der Beurteilung der Krankheitsaktivität.
Gehäuft tritt ein Sjögren-Syndrom bei chronischer Polyarthritis, SLE und Sklerodermie sowie bei assoziierten Overlap-Syndromen als sekundäres Sjögren-Syndrom auf. Seltener findet sich eine Verbindung mit Myositis oder Autoimmunthyreoiditis, Autoimmunhepatitis, primär biliärer Zirrhose, primär sklerosierender Cholangitis oder mit einem Antiphospholipidsyndrom.
Schwangerschaft
An eine Schwangerschaft sollte wie bei SLE wenn möglich nur im inaktiven Stadien der Erkrankung gedacht werden. Mit entsprechenden Kontrollmaßnahmen ab der 16. SSW sollte das eher seltene Auftreten eines kongenitalen AV-Blockes, vor allem bei Anti-Ro- und/oder Anti-La-Positivität detektierbar werden. Im Notfall kann schon intrauterin mit einer medikamentösen oder Herzschrittmachertherapie begonnen werden. Diese Therapie muss unter Umständen lebenslang fortgesetzt werden. Bei Anti- Ro- und/oder Anti-La-Positivität kann es außerdem zu einem neonatalen Lupus-Syndrom kommen, das postpartal reversibel ist. Gezielt wird nach einem assoziierten Antiphospholipidsyndrom gefahndet. Bei diesem Syndrom kann es zu Früh- oder Fehlgeburt mit untergewichtigen unreifen Kindern und zum intrauterinen Fruchttod kommen. Eine Therapie mit Thrombozytenaggregationshemmern und niedermolekularen Heparinen allein oder in Kombination sollte in Zusammenarbeit mit Gynäkologen und Gerinnungsspezialisten in Erwägung gezogen werden.
Die Erkrankung verläuft in einem hohen Prozentsatz benign, wobei die Sicca-Symptomatik die Lebensqualität stark verschlechtert. Zusätzlich kommt es dann oft zum Auftreten von fibromyalgiformen Beschwerden und teilweise bei der Berufsausübung oder in der Wahrnehmung der sozialen Pflichten stark behindernder Müdigkeit.
In den meisten Fällen sind Lokalmaßnahmen wie die Speichelproduktion anregende Maßnahmen (Zuckerln, Kaugummi, Glandosan- Spray, Sialinlösung) und Tränenersatz (Oculotect-Fluid, Hylo-Comod-Augentropfen, Vidisicc-Gel, Aquatears-Augengel …) wichtigste Therapieansätze. In schweren Fällen kann eine lokale Therapie mit Cyclosporin-Augentropfen versucht werden. Großes Augenmerk sollte auf Mund- und Zahnhygiene gelegt werden. Systemisch werden mit wechselndem Erfolg Pilocarpinhydrochlorid oder eine Therapie mit Chloroquinpräparaten eingesetzt.
Beim Auftreten von akuten Entzündungen der Parotis werden Steroide und NSAR verwendet. Diese Medikamente sind selbstverständlich auch bei Arthritis von Nutzen. Beim Auftreten von extraglandulären Manifestationen ist eine Basistherapie mit Methotrexat in der Dosis von 15 bis 25 mg/Woche unter Folsäureschutz indiziert. Es werden auch Immunsuppressiva wie Azathioprin, Leflunomid oder Cyclophosphamid verwendet. In letzter Zeit haben Studien mit Rituximab ermutigende Ergebnisse gebracht.