Seit mehreren Jahren hat die Qualität der Zulassung von neuartigen Wirkstoffen, unter besonderer Berücksichtigung der Nutzen-Risiko-Abwägung, deutlich zugenommen. Gründe dafür waren einerseits wissenschaftliche Fortschritte und die verbesserte Testung von Arzneimitteln, andererseits der Wechsel von nationalen Zulassungen (also von dezentralen Verfahren) zur zentralen europäischen Zulassung bei der EMA* (vormals EMEA) in London. Vor 15 Jahren hat dieses zentrale Verfahren begonnen, vorerst verpflichtend nur für biotechnologisch hergestellte Medikamente. Inzwischen sind zahlreiche weitere Indikationen nur mehr über eine zentrale Zulassung zu bekommen und de facto werden heutzutage fast alle neuartigen Wirkstoffe über die EMA/ London eingereicht.
Die wissenschaftliche Entscheidung trifft das CHMP (Committee for Human Medicinal Products), dieses besteht aus 27 Mitgliedern aus den EU-Staaten, zusätzlich 5 kooptierten Mitgliedern mit besonderer Fachexpertise und 2 assoziierten Mitgliedern (Island und Norwegen, die nicht stimmberechtigt sind). Für jedes neu eingereichte Präparat werden 2 Länder als Rapporteure bestimmt, die innerhalb von 80 Tagen jeweils eine kritische Bewertung verfassen müssen. Diese Bewertungen haben einen Umfang von 100 bis 300 Seiten und ergehen an alle CHMP-Mitglieder, mit dem Ersuchen um Kommentare (von Zustimmung bis Kritik). Das CHMP erstellt im Weiteren an die Einreicherfirma eine Liste von offenen Fragen, die innerhalb von 3 Monaten beantwortet werden müssen. Das Prinzip der zwei unabhängigen Rapporteursberichte ist ein Garant, dass die vorliegenden Daten kompetent und kritisch durchleuchtet werden. Nachdem die Einreicherfirma die an sie gestellten Fragen beantwortet hat, zeichnet sich langsam ab – und zwar ergänzt durch eine neuerliche Bewertung von Seiten der zwei Rapporteure, durch zusätzliche Kommentare und durch oft stundenlange Diskussionen im Plenum des CHMP –, in welche Richtung die Bewertung geht. Ist eine negative Bewertung absehbar (diese erfolgt in ca. 10–20 % der Ansuchen), hat die Einreicherfirma das Recht auf mündliche Präsentation (in der Dauer von 30 Minuten), diese wird durch eine nachfolgende Diskussion im CHMP ergänzt. Der nächste Schritt ist die endgültige Meinungsbildung, entweder durch Consensus (positiv oder negativ) oder durch Abstimmung. Die wissenschaftlichen Grundlagen für die jeweilige Entscheidung werden im EPAR (European Public Assessment Report – auf der Homepage der EMA abrufbar) – veröffentlicht, ergänzt durch das Abstimmungsresultat und die Gegenargumente. Da also auch positive Entscheidungen durchaus kontroversiell sein können, ist es wichtig, eine kritische Analyse durchzuführen und auch Minderheitspositionen zu präsentieren.
In den letzten Jahren wird außerdem vermehrt eine Inspektion der Studiendurchführung vor Ort vorgenommen. Dies hat dazu geführt, dass in einzelnen Fällen die Verlässlichkeit der Studiendaten angezweifelt wurde!
Die vierteljährlich erscheinende „Pharmainformation“** diskutiert seit 25 Jahren grundsätzliche Fragen zum Arzneimittelmarkt einschließlich der Rolle der pharmazeutischen Industrie, wobei es einerseits Ziel der Info ist, nicht gegen Medikamente, sondern für das gute Medikament zu sein und andererseits Medikamente mit fraglichem oder negativem Risiko-Nutzen-Verhältnis offen zu kritisieren.
Patientennutzen als Priorität: Dazu ist insbesondere anzumerken, dass die pharmazeutische Industrie in den letzten Jahren im besonderen Maße unter den Druck der Aktionäre, die einträgliche Renditen einfordern, gekommen ist und dieser Druck zu durchaus negativen Phänomenen führen kann. Deshalb wurden auch von führenden wissenschaftlichen Zeitschriften, wie z. B. dem „New England Journal of Medicine“ oder „Lancet“, Gegenmaßnahmen initiiert: So werden Arzneimittel-Studien bereits vor Studienbeginn registriert, weiters besteht die Möglichkeit der Einsichtnahme auch in negative Studienergebnisse, und nicht zuletzt erfolgt immer häufiger eine Bewertung von Studien in Bezug auf deren ethische, methodische und wissenschaftliche Korrektheit. AutorenInnen von wissenschaftlichen Publikationen müssen außerdem eventuelle finanzielle Zuwendungen von Seiten der Industrie bekannt geben; die Herausgeber der wichtigsten medizinischen Zeitschriften haben sich bereits auf ein einheitliches Schema zur Deklarierung von Interessenkonflikten („uniform conflict disclosures“) geeinigt (NEJM 2010; 363:188). Und nicht zuletzt wurde in den USA begonnen, im Rahmen des neuen Gesetzes zur Gesundheitsreform (ab 2013), die pharmazeutische Industrie zu verpflichten, alle Geldflüsse an Wissenschaftler und ÄrztInnen offenzulegen.
Die pharmazeutische Industrie ist noch aus einem anderen Grund derzeit in mehrfacher Weise ganz besonders gefordert:
In vielen Indikationsbereichen ist es schwierig, neue, innovative Substanzen zu finden, dies gilt insbesondere für Erkrankungen mit besonders hoher Prävalenz (z. B. Hypertension, Magenbeschwerden etc.). Gleichzeitig werden die „Blockbus – ters“ zunehmend durch Generika ersetzt. Aus diesem Grund wird nun versucht, vor allem auf dem Gebiet der Krebstherapie (wo der „medical need“ besonders stark ist) zu reüssieren, der relative Anteil von Krebstherapeutika ist in den letzten Jahren entsprechend auch deutlich angestiegen. Dies hat einerseits zu wesentlichen Durchbrüchen geführt, andererseits werden aber auch Substanzen propagiert, die nur einen marginalen Benefit bieten (wie z. B. ein „progression free survival“ von 4 Wochen), ohne dass es tatsächlich zu einer Verlängerung des „overall survival“ kommt; die Frage nach der klinischen Relevanz, aber noch mehr nach dem Nutzen für die PatientInnen ist berechtigt. Gleichzeitig werden für diese Pharmaka Höchstpreise verlangt. Der Grund dafür ist die Tatsache, dass es mit einer limitierten Zahl von PatientInnen (verglichen mit einer Hochdruck- oder Diabetestherapie) schwierig ist, die vom Aktienmarkt geforderte Gewinnerhaltung bzw. -steigerung zu erzielen. In diesem Kontext hat bereits eine politische Diskussion begonnen, und zwar, ob der Preis eines Medikaments allein nach der Gewinnoptimierung festzusetzen sei oder ob der Wert des Nutzens für die PatientInnen in die Preisgebarung einzubeziehen ist.
Im Übrigen ist gerade die in der „Pharmainformation“ vorgenommene vergleichende Besprechung der Arzneimittel (neu versus alt) wichtig. Scheininnovationen, wie z. B. optische Isomere, können zwar zugelassen werden, bieten aber keinerlei Vorteile und sind meist wegen höherer Preise nicht zweckmäßig. Und nicht zuletzt haben neu zugelassene Medikamente oft ein noch weitgehend unbekanntes Risikopotenzial und sind daher als Alternative zu bereits bewährten Präparaten nur mit Zurückhaltung einzusetzen. Dies sind nur einige Beispiele, die zeigen, wie wichtig eine kritische Bewertung von Arzneimitteln ist.
Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege!
Zweifellos hat die EMA während der 15 Jahre ihres Bestehens wesentliche Erfolge im Bezug auf die Qualitätsverbesserung von Arzneimittel-Zulassungen erzielt. Und die 25 Jahre „Pharmainformation“ haben den von diesem Medium angestrebten Zweck, nämlich den ÄrztInnen unabhängige und kritische Argumente zu liefern, um die Entscheidung, welche Arzneimittel verschrieben werden, zu erleichtern, in all den Jahren vollinhaltlich erfüllt.
Es sind deshalb zwei Geburtstage, die es vorbehaltlos zu feiern gilt. Wir gratulieren!
* EMA (European Medical Agency) London, zentrale Agentur für die EU-Zulassung von Arzneimittel.
** „Pharmainformation“: unabhängige Information für ÄrztInnen; Herausgeber, Medieninhaber: Verlagshaus für Ärzte GmbH, 1010 Wien