In der Ära Kreisky als Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz – passt ja auch irgendwie zusammen – aus der Taufe gehoben, fokussierte das Ministerium damals visionär schwerpunktlich auf Prävention:
• Als Beispiele für damals initiierte Umweltschutzmaßnahmen seien die Mülltrennung und die Sanierung der österreichischen Seen genannt (vor allem die Kärntner Seen stellten damals bereits eine Gesundheitsgefährdung dar).
• In der Medizin wurde in den 1970er-Jahren unter anderem das Vorsorgeprogramm für Männer und Frauen eingeführt und erstmals ein Spitalsstrukturplan für Österreich erstellt. Als nachhaltigste präventivmedizinische Maßnahme wurde das Schwerpunktprogramm Perinatologie mit dem „Herzstück“ Mutter-Kind-Pass inauguriert.
Das alles ging naturgemäß nicht ohne die Überwindung von beträchtlichen Widerständen. Die Sanierung der Seen wurde (ursprünglich) als zu teuer angesehen, die Landesfürsten waren dagegen. Die Seen wurden trotzdem saniert und alle sind heute stolz darauf und waren „von Anfang an dabei“! Vergessen sind auch die Schwierigkeiten bei Einführung des Mutter-Kind-Passes: Die Ärztekammer legte ihren Ärzten aus politischen Gründen nahe, den Mutter-Kind-Pass einfach zu ignorieren und nicht auszufüllen. Nun, wir wissen, wie es weiter ging, der Mutter-Kind-Pass gilt nach wie vor als die Erfolgsstory des Gesundheitsministeriums.
Einige der damaligen Projekte gelangen allerdings nur teilweise bzw. überhaupt nicht. Zum Beispiel wurde die Vorsorgeuntersuchung auch damals nicht in zufrieden stellendem Maße angenommen und der vor kurzem unter großem Medieninteresse vorgestellte Spitalsstrukturplan unterscheidet sich auch nach knapp 40 Jahren nur marginal von der damaligen Urfassung.
Baustelle Vorsorge: Überhaupt ist seit damals recht wenig geschehen: Besonders frustrierend sind in diesem Kontext die immer wiederkehrenden Lippenbekenntnisse der Gesundheitspolitiker zum Thema Vorsorge. Bei jeder Ansprache und Pressekonferenz wird unter großem Beifall der Paradigmenwechsel von der kurativen Medizin zur Präventivmedizin artikuliert, tatsächlich schaut es allerdings völlig anders aus!
Dazu einige Beispiele:
• Die Vorsorge wurde durch die Vorsorge-Neu ersetzt und deutlich „abgeschlankt“. Sie wurde dadurch auch nicht attraktiver.
• Der Impfausschuss des Obersten Sanitätsrates wurde mit Beendigung seiner turnusmäßigen Tätigkeitsperiode (Jahresende 2010) aufgelöst und (vorerst) nicht mehr neu bestellt.
• Besonders fragwürdig ist die Tätigkeit der gesundheitspolitisch Verantwortlichen in Bezug auf die Prävention in der Onkologie: Das Dickdarm-Screening ist ein Flop. Das vorgeschlagene Mammakarzinom-Screening ist nicht nur Frauen-feindlich, weil u. a. zeitaufwändig und psychisch belastend, sondern auch gesundheitspolitisch bedenklich, da die vorgeschlagene EU-konforme Lösung tatsächlich eine Nivellierung nach unten darstellt. Tatsächlich gab es zur Evaluierung verschiedener anderer Screeningstrategien Pilotversuche in Tirol, Salzburg und Wien, die Ergebnisse dieser erfolgreichen Untersuchungen wurden jedoch im Rundordner abgelegt.
Im negativen Sinn besonders eindrucksvoll und „unehrlich“ sind die Umstände in Bezug auf die primäre Prävention des Zervixkarzinoms durch HPV-Impfung:
LBI-HTI-Studie: Kurz nach Einführung der HPV-Impfung in Österreich (erstes Land in Europa!) beauftragte die damalige Gesundheitsministerin das Ludwig-Boltzmann-Institut (LBI) für Health Technology Assessment (HTA), eine Studie zur gesundheitsökonomischen Bewertung der Impfung durchzuführen. Tatsächlich war es dem LBI möglich, innerhalb von nur 3 Monaten einen negativen Bericht abzuliefern, wobei allerdings nur auf den „bestellten“ Endpunkt invasives Zervixkarzinom eingegangen wurde. So „unwesentliche“ Faktoren wie z. B. pathologische Pap-Abstriche (ca. 60.000/a), Karzinomvorstufen und Konisationen (ca. 6.000/a) und z. B. auch die Folgen von Konisationen in Bezug auf Frühgeburtlichkeit wurden ebenso in der Berechnung negiert, wie z. B. auch die Auswirkungen der Impfung auf die Prävalenz von Kondylomen. Tatsächlich war die negative gesundheitsökonomische Bilanz der HTA-Studie für das Ministerium willkommener Anlass, die HPV-Impfung finanziell nicht zu unterstützen (außer Finnland ist Österreich das einzige Land in Europa!).
Und nun der Frauengesundheitsbericht 2010/2011, der am Tag vor dem Weltfrauentag voll Stolz von unserem Bundesminister präsentiert wurde und die aktuelle Grundlage für zukünftige Strategien in der Frauengesundheitspolitik darstellen soll. Insbesondere wird auch in diesem Kontext einmal mehr auf die Notwendigkeit der Prävention hingewiesen, um den Frauen ein möglichst hohes und umfassendes Maß an Gesundheit zu gewährleisten.Wie schaut es allerdings tatsächlich aus?
Im Kapitel 4 des Frauengesundheitsberichtes wird in Bezug auf die HPV-Impfung festgehalten, dass, „wenn auch der Impfstoff vor der Zulassung an über 20.000 Frauen getestet worden war und weltweit bereits viele Millionen Einheiten verimpft wurden, die langfristige Verträglichkeit noch nicht abschließend beurteilt werden kann. Das europäische Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) ruft seine Mitglieder auf, die Impfung nur unter kontrollierten Studienbedingungen einzuführen.“
Nun, ich habe mir die Mühe gemacht, den Wahrheitswert dieser wohl absurden Behauptung zu überprüfen und den ECDC-Bericht („Guidance for the Introduction of HPV Vaccines in EU Countries“) zu lesen. Wie zu erwarten, kann diese Empfehlung in keiner Weise aus dem Bericht abgeleitet werden. Um dieses Missverständnis aufzuklären, wurde dazu Prof. Paolo Bonani (Full Professor of Hygiene and Epidemiology, University of Florence, Public Health Department), der an der Erstellung des ECDC-Berichtes maßgeblich beteiligt war, mit den Aussagen im Frauengesundheitsbericht konfrontiert und es wurden an ihn drei Fragen gestellt:
Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege,
so viel zur Ehrlichkeit und den Inhalten der österreichischen Gesundheitspolitik. Wenn das Gesundheitsbudget derzeit Maßnahmen der Prävention nicht zulässt – nur etwas über 1 % des gesamten Gesundheitsbudgets wird für Vorsorge ausgegeben (der Anteil ist im letzten Jahr sogar gesunken) –, so wäre es wohl Aufgabe der Politik, dies zu ändern, und nicht Halbwahrheiten und Unwahrheiten (beispielhaft LBIBericht und Frauengesundheitsbericht) zu verbreiten. Auch die Ausrede fehlender Kompetenz zieht nicht wirklich. Vor 40 Jahren war es nicht anders, allerdings wurde damals statt Krankheitspolitik Gesundheitspolitik betrieben, und es wurden trotz fehlender Kompetenz wichtige Projekte durchgezogen (s. o.).
Wir können gespannt sein auf die Reden zum Anlass von „40 Jahre Gesundheitsministerium“.