Angriff auf die Fristenlösung – Déjà-vu zum Schwangerschaftsabbruch

So wurde bei uns im Juni 2018 die Petition ­#fairändern initiiert, die entsprechend ihrer Homepage Bezug zur „regen Debatte zum Thema Abtreibung in Deutschland“ nimmt. Für Österreich wurde als grober Mangel festgestellt, dass „keine Verpflichtung zu Hinweisen auf rechtliche, finanzielle und psychosoziale Unterstützungsmöglichkeiten der Schwangeren besteht“ und, dass es „weder eine offizielle statistische Erfassung noch eine Motivforschung von Schwangerschaftsabbrüchen in Österreich“ gibt. Im Besonderen wird aber die Abschaffung der sog. „eugenischen“ Indikation, die den späten Schwangerschaftsabbruch ermöglicht, gefordert.

„Eugenische“ Indikation? Dazu ist festzustellen, dass der in diesem Kontext verwendete Begriff Eugenik (bewusst?!) irreführend verwendet wird, ist darunter doch ein („pseudo“-)wissenschaftliches Konzept zu verstehen, das sich mit Möglichkeiten beschäftigt, angeborene Eigenschaften des Menschen zu verbessern. Dazu der Vorstand der Wiener Universitätsklinik für Frauenheilkunde Univ.-Prof. Dr. Peter Husslein (Interview im „Falter“, 12. 3. 2019): „Es gibt keine eugenische Indikation. Das ist ein demagogischer Begriff, den diese Petition ganz bewusst verwendet. Eugenik bedeutet die Genetik der Bevölkerung zu ändern. Das haben die Nationalsozialisten propagiert. Der konkrete Begriff lautet medizinische Indikation.“In Österreich erlaubt § 97, Abs. 1, Z 2 des StGB den Spätabbruch, wenn eine „ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt“ sein werde.

Die Indikationen im Einzelnen:

  • Nicht anders abwendbare ernste Gefahr für das ­Leben der schwangeren Frau
  • Nicht anders abwendbarer schwerer Schaden für die körperliche oder seelische Gesundheit der Frau
  • Bestehen einer ernsten Gefahr, dass das Kind ­geistig oder körperlich schwer geschädigt sein wird.
  • Wenn die Schwangere zum Eintritt der Schwangerschaft selbst noch unter 14 Jahre alt war.

Die ersten beiden Indikationen werden medizinische Indikationen genannt, weil sie von einem medizinischen Befund der Frauen ausgehen, bei der dritten Indikation handelt es sich um Merkmale das Kind selbst betreffend; daher spricht man von embryopathischer Indikation.
In der Schweiz wird die embryopathische Indikation nicht speziell erwähnt, sondern fällt unter die medizinische Indikation. Nach Artikel 119, Z 1 des StGB ist der Schwangerschaftsabbruch straflos, „wenn er nach ärztlichem Urteil notwendig ist, damit der schwangeren Frau die Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung oder einer schweren seelischen Notlage abgewehrt werden kann“. Die Gefahr müsse umso größer sein, je fortgeschrittener die Schwangerschaft ist.
In Deutschland wird die Situation in der Gesetzgebung im § 218a StGB als medizinische Indikation subsumiert, „um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schweren Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden“. In einem solchen Fall ist die Beendigung der Schwangerschaft nicht rechtswidrig und zählt somit nicht zu den Straftaten gegen das Leben. Dadurch entfällt auch die zeitliche Begrenzung für den Schwangerschaftsabbruch.

Was wären die Folgen? Die Petition fairändern versucht nun, Spätabbrüche (ab der 3-Monats-Frist) strafbar zu stellen. Dazu Husslein weiter: „Dann würde sich die Zahl der Abtreibungen in Österreich in etwa verfünffachen. Das wissen diese Aktivisten entweder nicht, weil sie ahnungslos sind, oder es ist ihnen egal.“ Und weiter: „Im Rahmen des Ersttrimester-Screenings (das zwischen der 11. und 14. SSW durchgeführt wird) stellen sich rund drei Viertel der Verdachtsfälle auf Fehlbildung im Laufe der weiteren Schwangerschaft als falsch heraus. Wenn der Gesetzgeber die Möglichkeit der Spätabtreibung nimmt, werden viele Frauen, die mit einem solchen Verdacht konfrontiert sind, gleich eine Schwangerschaftsunterbrechung anstreben. Wer die medizinische Indikation streicht, macht sich deshalb verantwortlich für das schuldhafte Versterben von sehr vielen gesunden Feten. Die Petition hat jedoch in Wirklichkeit noch einen anderen Grund, nämlich das Ziel, den legalen Schwangerschaftsabbruch zu Fall zu bringen. Die Fokussierung auf die medizinische Indikation ist nur ein Hilfsmittel, mit dem sie erreichen wollen, dass die Fristenlösung in Österreich abgeschafft wird.
#fairändern wurde bislang (Stand: 28. 9. 2019) von knapp über 60.000 Menschen unterzeichnet.
Tatsache ist jedenfalls, dass aktuell weltweit Gegner des Schwangerschaftsabbruches versuchen, die Gesetze zu verschärfen. Organisierte Abtreibungsgegner haben z. B. in den USA inzwischen erreicht, dass 38 Bundesstaaten sog. „fetale Mordgesetze“ verabschiedet haben. Diese Gesetze ermöglichen, den Fetus als Opfer eines Verbrechens zu konstruieren, sein Recht entspricht dem einer lebenden Person. Die europaweite Bürgerinitiative „One of Us“ fordert u. a., dass die EU kein Geld mehr für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch in Entwicklungsländern bereitstellen solle.

Zum „Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche“ in Deutschland: Als der Bundestag im Februar 2019 die Neufassung des § 219a StGB beschloss, war das der vorläufige Endpunkt einer monatelangen Auseinandersetzung über das sog. „Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche“. Der § 219a sieht vor, dass, „wer Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, ankündigt, mit Freiheitsstrafen von bis zu 2 Jahren oder Geldstrafen bestraft wird“. Kritisiert wird von Seiten des Deutschen Berufsverbandes, dass dadurch auch sachliche Informationen über die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Arztpraxen oder andere ärztliche Einrichtungen strafbar sind. Die durchführenden Ärzte dürfen also die Patientin nicht allumfassend informieren, wobei der Gedanke zugrunde liegt, dass, wenn man es den Frauen schwermacht, an Informationen zu kommen, Abbrüche verhindert werden können.
Auf einer zentralen von der deutschen Bundesärztekammer geführten Liste wird nun Frauen die Möglichkeit eingeräumt, ohne umständliche Recherche Adressen von Praxen und Informationen über die angebotenen Methoden eines Schwangerschaftsabbruchs abrufen zu können. Doch wer sich davon ein mehr an Transparenz erhofft hatte, dürfte enttäuscht werden, gerade einmal 87 von geschätzten 1.200 Abtreibungspraxen in Deutschland sind bislang auf der Liste vertreten. Während die Kammer möglichst flächendeckend Ärztinnen und Ärzte bewegen möchte, ihre Daten auf dieser Plattform bekannt zu geben, scheint die Bereitschaft dafür offenbar gering zu sein. Eine zentral abrufbare Adressenliste würde, so die Argumentation, die Funktion eines Prangers entfalten und die Arztpraxen zur Zielscheibe für Abtreibungsgegner machen.

Wiener Gynäkologe mit eigener Liste: Während in Deutschland diskutiert wird, welche Informationen und in welcher Form online bereitgestellt werden dürfen, hat der Wiener Gynäkologe Christian Fiala schon vor 10 Jahren sein leicht auffindbares Portal ins Netz gestellt, auf dem Abtreibungspraxen aus ganz Europa gelistet sind – unter anderen 575 Praxen aus Deutschland. Darin sind neben den Adressen auch Informationen über Methoden und Kosten zu lesen. „Das Einverständnis der Kollegenschaft war aufgrund der Rechtslage in Deutschland (§ 219a!) nicht einzuholen“, so Fiala im Interview mit der „Welt“, denn nur wenn er selbst diese Liste ohne Rückfrage und ohne Erlaubnis der Ärzte betreibe, sind die betroffenen Ärzte aus dem juristischen Risiko, eine wirklich absurde Situation. Grundlage für sein Portal ist paradoxerweise die Liste der Abtreibungsgegner in Deutschland (babykaust.de) gewesen, die unter anderem eine Auflistung mehrerer 100 bekannter Kliniken und Ärzte verlinkt, die Abtreibungen anbieten. Fiala dazu: „Es ist schon eigenartig und peinlich, dass sich Frauen aus Deutschland auf einer Homepage in Österreich über die ärztliche Versorgung in ihrem Land informieren müssen.“