Diese synchron metastasierten Patientinnen haben entweder einen besonders aggressiven Tumor oder aber das Karzinom ist über einen längeren Zeitraum unentdeckt geblieben. In jedem Fall ist es eine systemische, tumorbiologisch adaptierte Therapie erste Wahl. In den letzten Jahren haben retrospektive Datenanalysen gezeigt, dass eine Operation in bestimmten Fällen einen Überlebensvorteil bringen könnte. Da bislang aber noch keine prospektiv-randomisierten, wissenschaftlichen Arbeiten zu diesem Thema publiziert wurden, bleibt die chirurgische Therapie Studienbedingungen vorbehalten.
In einer retrospektiven Analyse aus der national Cancer Data Base in den USA wurden 16.023 Patientinnen mit Stadium IV evaluiert, 42 % von ihnen wurden nicht operiert, die übrigen erhielten entweder eine partielle (38,3 %) oder eine totale Mastektomie (61,7 %). Insgesamt lag die 3-Jahres-Gesamtüberlebensrate der nicht-operierten Stadium-IV-Patientinnen bei 17,3 %, die der lokal R1-resezierten Patientinnen bei 26 % und bei lokal R0-resezierten Patientinnen bei 35 %. Das mittlere Überleben der nicht-operierten Patientinnen lag bei 19 Monaten, das der operierten Patientinnen bei 26 Monaten (partielle Mastektomie) bzw. 31 Monaten (totale Mastektomie). Der Zeitpunkt der Operation und genauere Daten der postoperativen Radiotherapie wurden allerdings nicht ausgewiesen, daher handelt es sich bei diesem Krankengut möglicherweise nicht durchwegs um synchron metastasierte Patientinnen. Außerdem gibt es keine statistischen Angaben zu den demografischen Daten zwischen operierten und nicht-operierten Patientinnen.
Eine retrospektive Analyse aus dem MD Anderson Cancer Center von 224 Patientinnen im Stadium IV mit operativer Sanierung des Primums zum Zeitpunkt bzw. 3 Monate vor Diagnose der Metastasen zeigte eine 46%ige Reduktion der Progression durch Operation. Die demografischen Daten ergaben jedoch Unterschiede im Nodalstatus, in der Anzahl der Metastasen, Lokalisation der Metastasen und im HER2-neu-Status sowie in Bezug auf die systemische Therapie. Damit konnte zwar nicht bewiesen werden, dass eine operative Sanierung des Primums tatsächlich im Stadium IV einen Vorteil bringt, jedoch lassen die Ergebnisse darauf schließen, dass die Operation per se das Metastasenwachstum nicht beschleunigt.
In einer retrospektiven Analyse aus Genf wurden 300 Stadium-IV-Patientinnen analysiert. Operierte Patientinnen mit negativem Resektionsrand hatten ein signifikant besseres Brustkrebs-spezifisches 5-Jahres-Überleben (27 %) verglichen mit operierten Patientinnen mit positivem Resektionsrand (20 %) bzw. nicht-operierten Patientinnen (12 %). Dies entsprach einer Risikoreduktion durch die Operation, an Brustkrebs zu versterben, um 50 %. Jedoch wurden auch in dieser Analyse Patientinnen mit metachroner Metastasierung inkludiert, außerdem zeigten in dieser Analyse die operierten Patientinnen signifikant bessere Prognoseparameter, was zu einer erschwerten Interpretation führt. Seit diesen Arbeiten gibt es weltweit Versuche, prospektive Studien mit im Stadium IV synchron metastasierten Mammakarzinompatientinnen aufzustellen. 6 davon sind derzeit auf clinicaltrial.gov gelistet, eine davon ist die österreichische ABCSG-28-Studie (POSYTIVE), auf die abschließend eingegangen werden soll.
Theorie 1: Das Primärkarzinom dürfte mit den Metastasen über Botenstoffe wie bFGF, TGF-b und anderen in Verbindung stehen. Diese Mediatoren dienen einerseits dazu, das Metastasenwachstum zu minimieren, andererseits aber auch die Bildung weiterer Metastasen zu verhindern. Die Rolle der einzelnen Substanzen scheint allerdings sehr heterogen zu sein und dürfte sich auch von Karzinom zu Karzinom unterscheiden. In Bezug auf das kolorektale Karzinom gibt es beispielsweise Berichte, dass Metastasen nach Resektion des Primärkarzinoms dramatisch an Größe zunahmen. Dies scheint beim Mammakarzinom aufgrund der zuvor aufgelisteten Datenlage allerdings anders zu sein. In einem anlässlich des ASCO 2008 präsentierten Abstracts wurden die Daten einer prospektiven Studie des Tata Memorial Hospital (Indien) präsentiert. In dieser Studie wurden die Ergebnisse von operativ behandelten, synchron metastasierten Mammakarzinompatientinnen mit Daten von Patientinnen verglichen, die einer systemischen Therapie unterzogen worden waren. Autoren berichteten, dass es in der ersten Zeit nach der Operation (6 Monaten) zu keinem dramatischen Tumorwachstum kam. Auch eine rezente Publikation der ATAC-Datenbank zeigte, dass Frauen im adjuvanten Setting nach Operation kein erhöhtes Risiko aufweisen, an einem Rezidiv zu erkranken. Damit wurde die Theorie der erhöhten systemischen Wachstumsfaktorenausschüttung nach Operation und deren negativer Einfluss auf das onkologische Ergebnis von einem anderen Standpunkt aus beleuchtet. Es wäre daher hypothetisch sogar möglich, dass durch Resektion des Primärkarzinoms die Ausschüttung von Wachstumsfaktoren verhindert und damit das Metastasenwachstum eingebremst wird.
Theorie 2: Vor einigen Jahren wurden Tumorstammzellen aus menschlichen Mammakarzinomen isoliert. Diese haben die Eigenschaft von Progenitorzellen, die sich weiter teilen und Mammakarzinomzellen bilden können. Scheinbar ist es nur diesen Zellen möglich, Metastasen zu bilden. Weiters zirkulieren sie auch wieder direkt zum Primärtumor zurück und begründen das von Larry Norton in „Nature“ publizierte „Self-Seeding“-Phänomen. Damit kann der Tumor weiter an Größe zunehmen und zentral nekrotisieren, während sich die Tumorstammzellen an die Oberfläche des Primärkarzinoms setzen und dessen Wachstum induzieren. Wird nun der Primärtumor mit seinen Stammzellen entfernt, könnte das eine wichtige Waffe im Kampf gegen das metastasierte Mammakarzinom sein. In diesem Zusammenhang sollten auch die Daten von Boughey et al. erwähnt werden, die Patientinnen mit familiärer Belastung (genetisch aber negativ) retrospektiv analysierten und Frauen mit Mammakarzinom und kontralateraler prophylaktischer Mastektomie (CPM) im Zuge der Mammakarzinom- OP mit Patientinnen ohne CPM verglichen haben. Die beiden Gruppen wurden im Nachhinein gematcht und waren daher bezüglich der meisten demografischen Daten ident. Interessanterweise konnte gezeigt werden, dass die CPM-Gruppe einen signifikanten Überlebensvorteil aufwies, der auch in einer multivariaten Analyse nachgewiesen werden konnte. Der Grund dafür war eine signifikante Reduktion der Fernmetastasen durch CPM.
Ziel der Studie ist die Evaluierung des Einflusses der Operation des Primärtumors bei Patientinnen mit synchron metastasiertem, invasiven Mammakarzinom auf das Gesamtüberleben. Weiters soll die Hypothese, dass die Operation des Primärtumors sowohl Stammzellen als auch Wachstumsfaktoren im peripheren Blut reduziert, in einem experimentellen Ansatz überprüft werden.
Studiendesign (siehe Abb.): Die Patientinnen werden in 2 Gruppen randomisiert. Gruppe A wird sofort operiert und Gruppe B nicht. Beide Gruppen erhalten die für das Stadium und die Tumorbiologie zielgerechte systemische Therapie und werden alle 3 Monate nachuntersucht. Die Randomisierung erfolgt nach mehreren Stratifikationskriterien, eine davon ist die geplante systemische Therapie. Als primärer Endpunkt gilt das Gesamtüberleben.
Stand: Derzeit sind 15 Zentren in ganz Österreich an der Studie beteiligt. Seit einem Jahr ist die Studie an 2 Zentren in Wien geöffnet, seit Herbst 2011 an allen 15 Zentren. Besonders wichtig sind zentrumsnahe Partnerkrankenhäuser, die selber nicht randomisiert sind, aber durch enge Zusammenarbeit Patientinnen gemeinsam betreuen. Damit kann es in Österreich erstmals gelingen, diese sehr wichtige, von der Karzinogenese her unglaublich spannende Studie in den nächsten 5 Jahren fertigzustellen. Möglicherweise könnten einige Patientinnen durch eine einfache Operation eine bis zu 50%ige Verbesserung im Gesamtüberleben erfahren. Zusätzlich wäre der Weg für weitere spannende Therapieansätze eröffnet.