Aus dem Umstand der Geburt eines Kindes könne niemand Schadenersatz geltend machen, so steht es im Gesetzesentwurf der ehemaligen Justizminis – terin Mag. Claudia Bandion-Ortner, der in den letzten Monaten für hitzige Debatten und manche mediale Schlacht gesorgt hatte. Mittlerweile liegen zu diesem Gesetzesentwurf an die 60 Stellungnahmen unterschiedlicher Interessenvertreter und Institutionen vor. Im Groben korrelieren Zustimmung bzw. Ablehnung mit dem jeweiligen ideologischen Hintergrund, darüber hinaus wird der Entwurf aber auch aus rechtlichen und formalen Überlegungen bemängelt. Vom OGH wird er als weder verfassungskonform noch sachgerecht beurteilt, wie die Moderatorin Dr. Irmgard Bayer aus der Stellungnahme zitiert.
Welche Überlegungen haben zu dem Gesetzesentwurf geführt? Die derzeitige Situation ist vor dem Hintergrund verschiedener höchstgerichtlicher Urteile für Gynäkologen alles andere als befriedigend, beschreibt der Leiter der Zivilrechtssektion im Justizministerium, Sektionschef Dr. Georg Kathrein, die Ausgangssituation: So muss im Falle eines Fehlers ein enormes Haftungsrisiko befürchtet werden, gleichzeitig ist den Wünschen der Eltern Rechnung zu tragen, Klarheit über den Zustand ihres Kindes zu erlangen. Und politisch spielt die Frage hinein, wie die embryopathische Indikation zu beurteilen ist. Insgesamt ortet Kathrein derzeit ein großes Unbehagen. Der Haftungsdruck und alle damit verbundenen Fragen der Aufklärung etc. sind dabei aber nur ein Aspekt.
Zweiter Aspekt des derzeitigen Unbehagens sei der gesellschaftliche Umgang mit Behinderung, der dadurch zum Ausdruck kommt, dass aus dem Umstand eines behindert geborenen (und hart formuliert: nicht abgetriebenen) Kindes Schadenersatz eingeklagt werden kann. Dr. Klaus Voget, Präsident des Österreichischen Zivil-Invalidenverbandes und selbst Richter, erkennt in den höchstgerichtlichen Urteilen zu „wrongful birth“ und „wrongful conception“ eine offenbar unterschiedliche gesellschaftliche Wertung von gesunden und behinderten Kindern. (In jenem Falle, als es trotz Vasektomie zu einer Schwangerschaft kam, über deren Möglichkeit der Arzt nicht ausreichend aufgeklärt hatte, wurde die Klage schon mit der Begründung abgewiesen, dass aus der Geburt eines gesunden Kindes nie ein Schadenersatzanspruch geltend gemacht werden könne.).
Wie sich die derzeitige Situation in der Pränataldiagostik aus ärztlicher Sicht darstellt, wurde von den beiden Ärzten am Podium sehr unterschiedlich beurteilt. Kurz gefasst: Der Angst vor dem Haftungsrisiko und vor dem Abgleiten in eine reine Defensivmedizin auf der einen Seite steht die dringende Forderung nach mehr Qualitätssicherung gegenüber. Der Obmann der Bundesfachgruppe Gynäkologie und Geburtshilfe der ÖÄK, Dr. Gerhard Hochmaier, glaubt, dass Leistungen mit hohem Haftungsrisiko bald nicht mehr oder zu keinem sozial verträglichen Tarif mehr angeboten würden. Er fürchtet, dass sich Ärzte, allein um sich abzusichern, genötigt sehen, verstärkt in Richtung Abtreibung aufzuklären und zu beraten: „Es ist Aufgabe der Ärzte zu helfen und nicht, eine Such- und Zerstörungsmission zu führen.“
Univ.-Prof. Dr. Martin Häusler, Ultraschallexperte an der Univ.-Klinik für Frauenheilkunde, Graz, sieht die Schwierigkeit in der derzeit fehlenden Qualitätssicherung. „Allfällige Schadenersatzklagen können nur dann vermieden werden, wenn schwerste Fehlbildungen erkannt und nicht übersehen werden.“ Um sie erkennen zu können, muss Ultraschall auf hohem Niveau durchgeführt werden. Aber dazu müssten einmal Ausbildungsstandards und Qualitätskriterien festgelegt sein. De iure darf in Österreich jedoch immer noch jeder Gynäkologe pränatale Ultraschalluntersuchungen anbieten – ohne spezielle Qualifikationen und ohne eine bestimmte Ausbildung nachweisen zu müssen. Ultraschall-Standards sind zwar von den Fachgesellschaften publiziert, aber sie sind nicht zwingend vorgeschrieben. Häusler spricht sich daher vehement gegen eine Haftungsfreistellung der Pränataldiagnostik aus. Eine Beibehaltung des Schadenersatzrechtes sei notwendig, um gegen schwarze Schafe, die es „wie in jeder anderen Berufsgruppe gibt“, vorgehen zu können. „Die drohende Schadenersatzforderung ist letztlich der 3. Bildungsweg“ – zumal in der Ausbildung und innerhalb der Berufsgruppe Standards nur ungenügend gesetzt sind. Ein erster Schritt in Richtung Ultraschall-Ausbildung wurde vor kurzem mit einem verpflichtenden 2-tägigen Kurs für Fachärzte in Ausbildung vereinbart.
Ebenfalls gegen eine Haftungsfreistellung hat sich bereits Anfang des Jahres die Bioethikkommission ausgesprochen, wie die Vorsitzende Dr. Christiane Druml erläutert. Eine Gruppe von Fachärzten punktuell aus der Arzthaftung zu entlassen, sei gleichheitswidrig. „Eine Haftungsfreistellung würde die Sorgfaltspflicht in der Pränataldiagostik zu Pflichten zweiter Klasse degradieren.“ Druml fürchtet damit einen grundlegenden Vertrauensverlust in der Arzt-Patienten- Beziehung: „Schadenersatzrecht ist immer auch eine präventive Maßnahme.“
Ein Vorwurf, der dem Gesetzesentwurf der ehemaligen Justizministerin immer wieder gemacht wurde und der letztlich aber auch über lange Strecken die öffentliche Diskussion charakterisierte, war die laufende Vermengung von rechtlichen und ethischen Überlegungen bzw. Werturteilen. Univ.-Prof. Dr. Ulrich Körtner, Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin und selbst Ethiker und Theologe, betont daher, dass rechtsimmanente von ethischen Betrachtungen zu trennen sind. Rechtliche Fragen müssen auch auf rechtlicher Basis diskutiert werden. Auch er verweist auf den Gleichheitsgrundsatz und warnt davor, das Schadenersatzrecht außer Kraft zu setzen. Er räumt aber ein, dass durch die Entwicklungen der Pränataldiagnostik wie generell der modernen Medizin nicht nur Probleme gelöst, sondern auch neue Probleme und Dilemmata erzeugt werden.
Im Groben waren es folgende rechtliche Fragen, die von den Diskutanten immer wieder angesprochen wurden. Zum einen der Gleichheitsgrundsatz, wenn eine Berufsgruppe punktuell vom Zivilrecht ausgenommen wird. Und daraus folgend die Frage, welche Rechtsicherheit die Patientin dann im Behandlungsvertrag habe. Ebenfalls der Gleichheitsgrundsatz wird berührt, wenn in derzeitiger Spruchpraxis bei der Geburt eines gesunden Kindes trotz eines Fehlers kein Schadenersatz zugesprochen wird.
Ein Schwangerschaftsabbruch ist nach derzeitigem Recht – unter den bekannten Voraussetzungen – zwar straffrei, aber nach wie vor rechtswidrig. Immer wieder wird diskutiert, ob ein Schadenersatzanspruch bei falscher oder fehlerhafter Pränataldiagnose überhaupt rechtmäßig sein kann, wenn sich als Konsequenz an die Diagnose eine zwar straffreie, aber rechtswidrige Handlung – nämlich der Abbruch – angeschlossen hätte. Diesen Bedenken hält Körtner entgegen, dass er keine Sittenwidrigkeit erkennen könne, wenn Grundlage des Behandlungsvertrages die Beratung sei und daraus ein Haftungsanspruch geltend gemacht werde.
Der Fondslösung, wie sie derzeit in einem Kompromissentwurf der Österreichischen Gesellschaft für Prä- und Perinatale Medizin (ÖGPPM) propagiert wird, konnten alle Diskutanten Positives abgewinnen. Ein Fonds hätte – eine ausreichende Dotierung vorausgesetzt – den Vorteil, dass Eltern zumindest nicht persönlich klagen müssten. Allerdings müsste sich der Fonds, wie Körtner betont, auch am Arzt regressieren können. Diskutiert wurde ferner, wer durch solch einen Fonds geschützt werden sollte, alle behindert Geborenen unabhängig davon, ob ein Fehler passiert ist? Oder auch gesund Geborene im Falle einer „wrongful conception“ oder etwa im Falle von Mehrlingsschwangerschaften wegen zu hoher IVF-Implantationszahl? Offen ist die Frage, mit welchem Geld der Fonds gespeist werden könnte. Denkbar wären hier u. a. Modelle wie bei der Arbeitsunfallversicherung.
Kathrein bremst Erwartungen, dass ein Fonds die Lösung aller offenen Probleme sein könne. – Und er räumt ein, dass man dem Justizministerium vorwerfen könnte, zu schnell einen Gesetzesentwurf präsentiert zu haben. Der Problemkreis „Pränataldiagnostik“ erfordere ein Maßnahmenpaket, das die Zuständigkeiten des Justizministeriums übersteige und einer ausreichenden Diskussion bedürfe.
„Hier ist wahrscheinlich noch einmal der Gesetzgeber gefragt, hier sind die Ärzte und die ärztliche Selbstregulierung gefragt und hier ist wahrscheinlich ein ausführlicherer Diskussionsprozess gefragt“.
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