Wir haben die derzeitige Präsidentin der OEGGG, Univ.-Doz. Dr. Gunda Pristauz-Telsnigg, Medizinische Universität Graz, zu den besonderen Herausforderungen im Bereich der Frauenheilkunde und Geburtshilfe durch die COVID-19-Pandemie befragt und um ein Update zu den aktuellen Projekten der Fachgesellschaft gebeten.
Univ.-Doz. Dr. Gunda Pristauz-Telsnigg: Grundsätzlich ist zu sagen, dass auf die COVID-19-Pandemie niemand vorbereitet war. Wir verfügen über keine Vergleichsdaten oder Erfahrungswerte, deshalb sollten nachträgliche Analysen mit Bedacht erfolgen. Trotzdem ist eine Aufarbeitung der Erfahrungen und Daten notwendig, um Maßnahmen in der Zukunft besser adaptieren oder bei neuen Entwicklungen besser reagieren zu können. Auch in der Gynäkologie und Geburtshilfe muss man zwischen dem niedergelassenen und dem Spitalsbereich unterscheiden. Prinzipiell war der Umgang mit der COVID-19-Bedrohung bei dringlichen Krankheitsbildern oder Geburten, die einer akuten Intervention bedürfen, ein anderer als bei Therapien, die durchaus aufschiebbar sind, etwa bei einem Uterus myomatosus. Im niedergelassenen Bereich gab es zu Beginn des Lockdowns Probleme mit der Schutzausrüstung bzw. -masken. Hier müsste man sich für die Zukunft besser vorbereiten. Im Gegensatz dazu waren wir in den Spitälern in dieser Hinsicht gut ausgerüstet. Im onkologischen Bereich – wir haben versucht, die Therapien soweit möglich weiterzuführen – zeigen österreichische Daten einen Rückgang der Malignominzidenz während der COVID-19-Maßnahmen – bis zu 50 % etwa bei Mamma- oder Zervixkarzinom –, was sicher darauf zurückzuführen ist, dass die Patieninnen nicht ins Krankenhaus bzw. zu den Screeningprogrammen gekommen sind. Aktuell sehen wir als Folge davon einen Ausschlag des Pendels in die Gegenrichtung mit einer Häufung an neu diagnostizierten Fällen, leider manchmal auch in fortgeschrittenen Stadien.
In der Geburtshilfe war das Hauptproblem die Zugangsbeschränkung für Väter bei den Geburten, die sehr kontroversiell diskutiert worden ist und auch für Unmut bei unseren Patientinnen gesorgt hat. Die Kommunikation zwischen Gesundheitsbehörden, ÄrztInnen, Pflege und Angehörigen war eine sehr herausfordernde, wobei wir als ÄrztInnen bei den vorgegebenen Maßnahmen etwas zwischen den Fronten gestanden sind und oft auch zwischen Patientinnen und Angehörigen vermitteln mussten.
Bei uns auf der Station durften die Väter bei der Geburt dabei sein, auf der Wochenbettstation jedoch nicht. Bei Kinderwunschbehandlungen wurden in der heißen Phase laufende Protokolle – nach Möglichkeit telefonisch betreut – weitergeführt, jedoch keine neuen Stimulationsbehandlungen begonnen.
Die OEGGG hat als Fachgesellschaft sehr schnell reagiert und Empfehlungen bzw. Leitfäden zum frauenärztlichen Handeln in dieser völlig neuen Situation herausgegeben.
Wir wollten unsere KollegInnen trotz der schwierigen äußeren Bedingungen mit aktuellem Wissen versorgen und haben uns deshalb entschlossen, eine Herbsttagung zu veranstalten. Nach dem Motto „Neue Situationen erfordern neue Wege“ haben wir uns vor dem Hintergrund der Unsicherheit zur zukünftigen Entwicklung der Pandemie gleich für eine virtuelle Veranstaltungsform entschieden, und zwar in einem innovativen Durchführungskonzept: Da eine Häufung von Webinar-Veranstaltungen im Herbst zu erwarten war, haben wir die Terminpräferenzen unserer KollegInnen abgefragt und den größten Zuspruch für Fortbildungstermine an jedem Mittwochabend im September erhalten – mit State-of-the-Art-Vorträgen und anschließender Live-Diskussion, bei der sich die virtuell Teilnehmenden einloggen und live Fragen stellen können. Wir freuen uns schon auf den Start dieses innovativen Programms (siehe Kasten).
Als wissenschaftliche Fachgesellschaft führen wir immer auch Umfragen unter unseren Mitgliedern – derzeit über 1.600 – zu ihrer Zufriedenheit mit unserer Arbeit durch und bitten sie dabei um ihre Verbesserungsvorschläge. An erster Stelle steht bei diesen Feedbacks immer der Wunsch nach der Versorgung mit aktuellen Leitlinien. Dem versuchen wir schon seit einigen Jahren gerecht zu werden und führen mit der deutschen Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AMWF), der deutschen (DGGG) und der schweizerischen Fachgesellschaft (SGGG) ein gemeinsames Programm durch, in dem Leitlinien konsensuell für alle deutschsprachigen Ländern herausgegeben werden – bei manchen Leitlinien, die dann von den anderen Ländern übernommen werden, als OEGGG auch federführend. Das Besondere und Bestechende daran ist, dass damit das Rad so nicht dreimal neu erfunden werden muss.
Das Zweite, das für uns momentan prioritär ist und wofür wir uns auch schon lange einsetzen, ist die Ausbildung der jungen KollegInnen: Die medizinische Entwicklung schreitet in den letzten Jahren mit enormem Tempo voran und es ist notwendig, darauf in bestimmten Bereichen mit Neuerungen und Spezialisierungen zu antworten. Wir können unseren jungen KollegInnen mit der 6-jährigen Fachausbildung zwar eine gute Allgemeinausbildung geben, aber es bleibt dabei nicht genügend Zeit für eine Spezialisierung, die unser Fach aber dringender denn je braucht: etwa in gynäkologischer Onkologie oder gynäkologischer Endokrinologie. Aber auch eine Subspezialisierung in fetomaternaler Medizin, für die wir uns gerade stark machen: 20 % der Patientinnen der geburtshilflichen Abteilungen haben ja komplexe Krankheitsbilder und benötigen kompetente Spezialisten. Präeklampsien oder schwere Autoimmunerkrankungen etwa sind im derzeitigen allgemeinen Ausbildungsumfang nicht zufriedenstellend abzubilden, deshalb setzen wir uns bei der ÖÄK um eine Subspezialisierung ein, auch mit internationaler Blickrichtung auf das EBCOG (European Board & College of Obstetrics and Gynecology), das in seinen Programmen eine solche integriert hat.
Nach wie vor arbeiten wir an der Erhöhung der deutlich verbesserungsbedürftigen HPV-Durchimpfungsrate. Die OEGGG wird demnächst Projekte starten, um die Awareness auch auf Seiten der Frauen zu erhöhen. Auch nach mittlerweile vielen Jahren der Verfügbarkeit der HPV-Impfung gibt es immer noch viel zu viele Frauen, die nicht um die Möglichkeit einer Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs wissen bzw. zu wenige oder irreführende Informationen dazu haben. Und es gibt bei uns noch immer zu viele Jugendliche, die wir wegen HPV-assoziierter Veränderungen am Muttermund konisieren müssen.
Ein Anliegen, das mir auch persönlich sehr am Herzen liegt, ist die Verbesserung der Pränataldiagnostik. Frauen müssen sich derzeit dazu an Spezialabteilungen in den Krankenhäusern wenden, die teilweise voll bzw. überlastet sind. Pränataldiagnostik kostet auch einiges – unsere Idealvorstellung, für die wir uns einsetzen, wäre ein Organscreening in der 20. Schwangerschaftswoche, kostenfrei für alle Schwangeren. Das ist natürlich kein einfaches Unterfangen, da die Krankenversicherungen ein Organscreening nicht als Krankenbehandlung sehen, weil es ja eine Vorsorgeuntersuchung ist.
Die österreichischen GynäkologInnen führen ja schon seit Langem Schwangerschaftsabbrüche in diversen Instituten oder Krankenhäusern durch. Die alternative Option eines medikamentösen Abbruchs gibt es seit 1999, allerdings beschränkt auf definierte Krankenanstalten. Jetzt wurde dem Antrag der Herstellerfirma von Mifepriston (Mifegyne®) beim österreichischen Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) stattgegeben, die eingeschränkte Zulassung des Medikaments von 1999 auf alle GynäkologInnen, also auch den niedergelassenen Bereich zu erweitern. Die OEGGG begrüßt das natürlich grundsätzlich, weil gerade Frauen im ländlichen Bereich bisher benachteiligt waren, da eine nur sehr begrenzte Anzahl an Stellen zur Verfügung stand, welche die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs angeboten haben – mit teilweise langen Anfahrtswegen und Wartezeiten. Nun ist also eine flächendeckendes Leistungsangebot vorhanden, mit einem – auch mit aktuellem Blick auf Krisensituationen wie die Corona-Pandemie – deutlich leichteren Zugang. Die Patientinnen können nun den Schwangerschaftsabbruch bei ihren betreuenden ÄrztInnen des Vertrauens durchführen und müssen nicht wie bisher an eine andere Stelle überwiesen werden. Wir haben absolut keine Bedenken, das die niedergelassenen KollegInnen nicht sämtliche Qualitätsstandards einhalten und garantieren können und genauso gut durchführen werden wie die KollegInnen, die das bisher in den Instituten gemacht haben. Die OEGGG hat auch kürzlich dazu Empfehlung zum Behandlungsablauf und zur Nachbetreuung publiziert.