In den Industrieländern hat sich die Lebenserwartung in den letzten hundert Jahren fast verdoppelt und steigt nach wie vor jährlich um einige Monate an. Aktuell wird in Österreich Frauen eine Lebensdauer von 82,9 Jahren prognostiziert, Männer leben durchschnittlich 77,3 Jahre; entscheidend ist allerdings, dass das längere Leben mit guter Gesundheit assoziiert ist.
Dazu zwei Zahlen: Nach den statistischen Daten liegt derzeit die zu erwartende Lebensspanne ohne schwerwiegende körperliche Beeinträchtigung für eine 50-jährige Frau in Österreich bei etwa 15,66 Jahren, für einen Mann bei etwa 14,53 Jahren.
Die führenden Todesursachen in der wesentlichen Welt sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen (mit fast 50 %) und Krebs – erkrankungen (mit ca. 20 %), weitere Todesursachen sind Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems sowie der Atmungs- und Verdauungsorgane. Es handelt sich also zumeist um Zivilisationskrankheiten, die durch präventivmedizinische Maßnahmen beeinflussbar sind.
Dieser Umstand hat sich allerdings noch nicht bis in die Politik herumgesprochen! So werden in den Industriestaaten im Schnitt nur 2,9 % der Gesundheitsausgaben in Prävention und öffentliche Gesundheitsprogramme investiert. Dieser an sich schon niedrige Prozentsatz wird in Österreich mit 1,5 % noch deutlich unterboten, und das, obwohl sich durch sinnvolle präventivmedizinische Maßnahmen 25–30 % der (späteren) Gesundheitsausgaben vermeiden ließen; Investition in Prävention rechnet sich also in besonderem Ausmaß. Es ist demnach nicht nur ein humanitäres, sondern auch ein ökonomisches Paradoxon, dass unsere „Gesundheit“ noch immer von der Reparaturmedizin dominiert wird.
Die Grundpfeiler für Primärprävention müssen bereits in der Kindheit und Jugend durch gesunde Lebensführung gelegt werden, wobei ausreichende Bewegungsmöglichkeiten und ausgewogene Ernährung im Vordergrund stehen. Weiters ist es notwendig, möglichst frühzeitig bestimmte Gesundheitsrisiken zu erfassen und – im Sinne einer personalisierten Vorsorge – individualisierte Präventivkonzepte zu erstellen. In diesem Kontext ist es nicht zuletzt auch wichtig zu vermitteln, wie sehr Eigenverantwortung die eigene Lebensqualität positiv beeinflusst. Unsere Patientinnen davon zu überzeugen ist allerdings nicht ganz einfach, da sie einerseits zumeist (noch) beschwerdefrei sind und andererseits nicht selten ein ungesunder Lebensstil, wie z. B. Bewegungs- und Schlafmangel sowie ungesunde Ernährung, Voraussetzung für Erfolg und Karriere und damit gesellschaftliche Anerkennung sind. Die hohe Zahl an vermeidbaren chronischen Erkrankungen in Österreich wie ischämischer Herzkrankheit, Schlaganfall, Asthma bronchiale, Osteoporose und Diabetes mellitus zeigt allerdings deutlich, dass unser Gesundheitssystem viel zu wenig gesundheitsorientiert ausgerichtet ist. Insbesondere wird kaum auf Stärkung der individuellen Gesundheitskompetenz und auf die eigenverantwortliche Mitwirkung der Bevölkerung gesetzt.
Es gibt aber eine gute Nachricht, die allerdings auch nicht aus der Politik kommt: Der Wunsch nach Erhalt der Gesundheit wird von immer mehr Menschen artikuliert und daran hat die Frauenheilkunde besonderen Anteil. Nicht nur war die Gynäkologie die erste Fachrichtung, die zeigen konnte, dass durch Krebsvorsorgeuntersuchungen die karzinombedingte Mortalität zu reduzieren ist, sondern wir werden auch zunehmend von unseren Patientinnen mit Prob – lemen konfrontiert, die bisher nicht unmittelbar in unseren Fachbereich gefallen sind. Resultierend aus einer demographisch veränderten Gesellschaftsstruktur einerseits und einer differenzierteren Auseinandersetzung der Frauen mit ihren Beschwerden andererseits, sind wir primäre Ansprechpartner für eine Vielzahl von genderspezifischen Gesundheitsproblemen, wie z. B. Adipositas und Ernährung, Blutdruckproblemen, Osteoporose, aber auch Hautproblemen, depressiven Zustandsbildern, Burn-out- und Schlafstörungen geworden, um nur einige dieser Probleme zu nennen.
Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege! Viele von uns haben die Zeichen der Zeit bereits erkannt, nicht zuletzt sind über 650 – mehrheitlich jüngere – TagungsteilnehmerInnen am Wiener Menopause-/Anti-Aging- Kongress Anfang Dezember wohl Beweis dafür, welch großes Interesse an diesen Themen besteht; allerdings lässt sich daraus auch erkennen, wie wenig diese Inhalte bisher im Rahmen der Ausbildung vermittelt wurden, und ausnahmsweise ist die Politik daran schuldlos.