Die klassische Rhetorik nach Aristoteles bedient sich der Grundpfeiler Ethos, Pathos und Logos für eine Rede mit Überzeugungskraft.
Ethos bezieht Überzeugungskraft aus der Integrität der Sprecherin: Justizministerin Bandion-Ortner präsentiert einen Gesetzesentwurf, wonach ÄrztInnen nicht mehr haften sollten, wenn sie im Rahmen der Schwangerschaftsbetreuung eine fetale Auffälligkeit übersehen sollten, ausgenommen einer solchen, deren Erkennung in der Schwangerschaft oder peripartal eine therapeutische Konsequenz hätte, denn dann ließen sich sehr wohl eine Haftung und ein Schaden durch Nichterkennung konstruieren. Das Schadensersatzrecht bezieht sich folgerichtig immer auf den Schadensverursacher und ein solcher liegt nicht vor, wenn beispielsweise eine nicht behandelbare genetische Erkrankung übersehen wird. Der Gesetzesentwurf hat nicht die primäre Intention, ÄrztInnen aus der Haftung zu entlassen und zu privilegieren. Vielmehr handelt es sich um den Wunsch der Höchstgerichte und derer Senatspräsidenten, bestehende Rechtsunsicherheiten, die sich aus teilweise widersprüchlichen OGH-Urteilen ergeben, zu beseitigen. Weiters ist es aus nachvollziehbaren Gründen ein Anliegen, jene Ungerechtigkeit aus der Welt zu schaffen, die sich zwangsläufig ergibt, wenn behinderte Kinder „leer ausgehen“, weil deren Mütter trotz bekannter Anomalien sich zur Fortführung der Schwangerschaft entschlossen haben, während klagewillige Mütter unter der Vorgabe, sie hätten die Schwangerschaft beendet, wenn sie von der Behinderung Kenntnis gehabt hätten, große Summen bis hin zum gesamten Unterhalt zugesprochen bekommen. Dies beeinträchtige die Würde behinderter Menschen.
Deshalb ist mit der Gesetzesänderung auch die Etablierung eines Unterstützungsfonds geplant, der die soziale Leistung aus öffentlicher Hand und für alle behindert Geborenen vorsieht.
Die Begutachtungsfrist für den Gesetzesentwurf läuft bis zum 23. Februar 2011.
Pathos erreicht man mit gewagten Metaphern: In der gleichen ORF Sendung weist Prof. Husslein darauf hin, dass Haftung und Schadenersatz wirksamer wären als ärztliches Ethos und kein Instrument der Qualitätssicherung wäre besser als die persönliche Haftung. Der Wegfall dieses Druckmittels zur Gewährleistung einer hohen oder höchsten Qualität würde dazu führen, dass Ärztinnen schlampig oder zumindest nicht sorgfältig genug arbeiten würden. Dieser Meinung schließen sich in der Folge mehrere Pränataldiagnostiker an, die dem Gesetzesentwurf nur mit einer Frage entgegnen: „Warum sollen unsorgfältige ÄrztInnen ein Privileg genießen“, schließlich müsse ja ein Dachdecker auch für den Schaden haften, wenn ihm ein Ziegel aus der Hand gleitet (fahrlässig, grob fahrlässig oder vorsätzlich?).
Logos bezieht Überzeugungskraft aus der Beweisführung: Tags darauf schalten sich Berufsverband und Ärztekammer in die Diskussion ein, später auch noch die Ethikkommission. Der Ärztekammerpräsident verurteilt die Äußerungen von Prof. Husslein aufs Schärfste, der BÖG nimmt einen Termin im Justizministerium wahr und befürwortet den Gesetzesentwurf, der in der Ärzteschaft nicht gerade auf Ablehnung stößt. Ich will nicht bestreiten, dass Druck und Zwang immer schon Katalysatoren für übermenschliche Leistungen waren, sonst gäbe es auch keine Pyramiden, keine Sixtinische Kapelle und keine Chinesische Mauer.
Standpunkte dürfen in einer Demokratie unterschiedlich sein, der Diskurs darf hart sein und am Ende sieht die Welt im Lichte der Objektivität doch anders aus: Die drohende Qualitätsverschlechterung in der Pränataldiagnostik kommt weder morgen noch übermorgen. Sie ist schon da, zumindest wenn man bereit ist, die großen Zusammenhänge zu sehen.
Pränataldiagnostik für alle? Von einem Organscreening kann keine Rede mehr sein, zu gering ist die Beteiligungsrate, weil sich aus Haftungsgründen die Mehrheit der Spitäler zurückgezogen hat, diese Leistung zu erbringen. Wer es sich leisten kann, bekommt Pränataldiagnostik auf höchstem Niveau, aber das war vorher auch so, als die Welt noch heil schien. Durch den Wegfall einer flächendeckenden pränataldiagnostischen Versorgung (zugegeben: auf Stufe-1-Niveau) hat bereits ein Rückschritt und ein Minderheitenprogramm für Zahlungskräftige und Ängstliche stattgefunden, wovon freilich Privatinstitute profitieren. SozialpolitikerInnen (deren Kommentare waren bislang enttäuschend) sind aufgefordert, den Gordischen Knoten der Zweiklassenmedizin zu lösen und Familien mit behinderten Kindern jene Hilfe und gesellschaftliche Geborgenheit zuteil werden zu lassen, die endlich Mut macht, schicksalhafte Ereignisse besser annehmen zu können.