Die Frage nach der Existenz genderspezifischer Unterschiede in Bezug auf Schmerzwahrnehmung, -interpretation und -verarbeitung ist seit mehreren Jahren Gegenstand zahlreicher klinischer und experimenteller Untersuchungen. Aus den vorliegenden, teilweise divergierenden Studienergebnissen lässt sich folgendes Resümee ziehen:
Die Prävalenz chronischer und neuropathischer Schmerzen ist bei Frauen größer als bei Männern.
Migräne und Kopfschmerzen treten im Kindesalter häufiger bei Buben als bei Mädchen auf. Diese Geschlechtsverteilung erfährt während der Pubertät eine Umkehrung, sodass bei geschlechtsreifen Frauen die Inzidenz von Migräne und Kopfschmerz deutlich höher als bei Männern ist. Eine mögliche Erklärung dafür könnte der Einfluss weiblicher Geschlechtshormone auf das Schmerzgeschehen sein. In einigen Studien finden sich Hinweise auf eine zyklusabhängige Variabilität der empfundenen Schmerzintensität bei Frauen. Experimentelle Daten zeigen, dass Frauen in der Menopause unter Hormonsubstitutionstherapie eine niedrigere Schmerzschwelle und -toleranz aufweisen als Frauen ohne Hormonersatz. In einer Studie mit transsexuellen Patienten entwickelte ein Drittel der östrogen/antiandrogen behandelten Patientinnen chronische Schmerzen, während es bei der Hälfte der mit Testosteron behandelten Patienten zu einer signifikanten Verbesserung der schon vor der Hormontherapie bestehenden chronischen Schmerzen kam. Weiters können Geschlechtshormone auch durch ihre konzentrationsabhängige proinflammatorische Wirkung Einfluss auf die Nozizeption nehmen.
Rezente experimentelle Studien zeigen mehrheitlich eine geringere Schmerzschwelle und -toleranz gegenüber mechanischen, thermischen und elektrischen Stimuli bei weiblichen Probanden.
Mithilfe von Positronenemissionstomographie (PET) und funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) konnte gezeigt werden, dass es in Abhängigkeit vom Schmerzstimulus bei Männern und Frauen zur Aktivierung unterschiedlicher kortikaler und subkortikaler Gehirnareale kommt. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass offensichtlich eine genderspezifisch unterschiedliche Verarbeitung nozizeptiver Reize stattfindet.
Genderbedingt kann es, wie zahlreiche Studien belegen, zu Unterschieden in der therapeutischen Versorgung kommen. Bekannt ist, dass aufgrund der von Männern und Frauen unterschiedlich präsentierten kardialen Ischämieschmerzsymptomatik Männer rascher einer kardialen Diagnostik zugeführt werden und in einem größeren Ausmaß als Frauen interventionelle Therapiemaßnahmen erhalten. Nach herzchirurgischen Eingriffen werden Frauen häufiger Sedativa, Männern hingegen häufiger Analgetika verordnet.
Die psychogene Beeinflussbarkeit der Schmerzwahrnehmung zeigt ebenfalls Unterschiede: Die empfundene Schmerzstärke kann bei Männern durch Videospiele, bei Frauen durch körperliche Betätigung herabgesetzt werden.
Psychosoziale und kulturelle Faktoren beeinflussen über das männliche und weibliche Rollenverhalten Schmerzperzeption und -verarbeitung. Frauen werden von beiden Geschlechtern als schmerzempfindlicher und -intoleranter eingestuft. Die Bereitschaft, über Schmerz zu sprechen, wird bei Frauen höher eingestuft als bei Männern. In experimentellen Studien geben Männer oftmals eine niedrigere Schmerzstärke sowie eine höhere Schmerzschwelle und -toleranz an, wenn der Studienleiter weiblich ist. Die Antworten der weiblichen Probanden bleiben vom Geschlecht des Studienleiters jedoch unbeeinflusst. Diesem Umstand muss bei der Auswertung von Studien Rechnung getragen werden.
Frauen weisen bessere Copingstrategien auf. Sie neigen aber mehr zum Katastrophisieren als Männer.
Die Inzidenz von Ängstlichkeit und Depression ist bei weiblichen Schmerzpatienten höher als bei männlichen.
Die Studienlage bezüglich eines genderspezifischen Unterschiedes von Opioidempfindlichkeit und -verträglichkeit ist sehr uneinheitlich. Postmenopausal weisen Frauen eine geringere Dichte von μ-Opioidrezeptoren als Männer auf. Weitere Forschung auf diesem Gebiet ist erforderlich, um die Opioidtherapie geschlechtsspezifisch selektiver und effektiver gestalten zu können.
Geschlechtsspezifische Unterschiede des Gesamtkörperfett- gehaltes, der Aktivität der Leberenzyme und der hepatischen Membrantransportsysteme können die Pharmakokinetik und Pharmakodynamik von Arzneimitteln beeinflussen. Ebenso kann die gastrointestinale Medikamentenresorption bei Frauen zyklusabhängig verändert sein. Diese Faktoren müssen bei der Beurteilung von An – algetika in Bezug auf Dosierung und Nebenwirkungen unbedingt berücksichtigt werden.
Wesentlich ist es nun zu evaluieren, ob eine auf den vorhandenen Daten basierende genderspezifische Adaptierung der medikamentösen und nicht-medikamentösen Schmerztherapie imstande ist, die Effizienz der analgetischen Therapie zu verbessern und die Nebenwirkungsrate zu senken.
Die Verabreichung von Analgetika und allen anderen Arzneimitteln in der Schwangerschaft darf nur in genauer Kenntnis ihres teratogenen Potenzials sowie ihres Einflusses auf Organwachstum und -funktion erfolgen. Daneben müssen auch mögliche Auswirkungen der medikamentösen Therapie auf den Schwangerschaftsverlauf und den Geburtsvorgang berücksichtigt werden.
Nichtopioide
Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) Es liegen keine Hinweise für eine Embryotoxizität dieser Substanzgruppe vor. NSAR reduzieren die fetale Nierenfunktion und damit auch die Bildung von Fruchtwasser, woraus sich ein Oligohydramnion entwickeln kann. Bedingt durch die Prostaglandinsynthesehemmung kann es ab der 28. Schwangerschaftswoche zu einem vorzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus Botalli (DAB) kommen, sodass NSAR ab diesem Zeitpunkt kontraindiziert sind. Bei notwendiger Behandlung mit NSAR in der Spätschwangerschaft muss der fetale Kreislauf regelmäßig sonographisch kontrolliert werden. Nach vorgeburtlicher Exposition mit NSAR wurden bei Neugeborenen gehäuft nekrotisierende Enterokolitiden beobachtet. Die Inzidenz intrakranieller Blutungen bei Frühgeborenen ist erhöht, wenn kurz vor der Entbindung eine maternale NSAR-Exposition stattgefunden hat.
Selektive COX-2-Inhibitoren Die Anwendung selektiver COX-2-Inhibitoren in der Schwangerschaft wird derzeit aufgrund der geringen Datenlage nicht empfohlen. Sie führen ebenso wie nicht-selektive COX-Hemmer zu einer Verschlechterung der kindlichen Nierenfunktion mit dem Risiko der Entwicklung einer Niereninsuffizienz und eines Oligohydramnions.
Metamizol Aufgrund der unklaren Datenlage bezüglich des Auftretens von kongenitalen Zwerchfellhernien sowie einer erhöhten Rate von Wilms-Tumoren und akuter Leukämie bei Kindern nach mütterlicher Metamizoleinnahme während der Schwangerschaft wird derzeit noch immer empfohlen, auf Metamizol in der Schwangerschaft zu verzichten.
Paracetamol Bisher hat Paracetamol als unbedenkliches Schmerzmedikament und Analgetikum der ersten Wahl in allen Phasen der Schwangerschaft gegolten. Diese Einstellung muss jedoch aufgrund der neuen Datenlage revidiert werden. Gebrauch von Paracetamol wird mit erhöhtem Auftreten von kindlichem Asthma in Zusammenhang gebracht.
Acetylsalicylsäure (ASS) Eine Low-Dose-Behandlung mit ASS bis max. 300 mg/d ist während der gesamten Schwangerschaft unbedenklich. Die analgetische, antipyretische und antiphlogistische Wirkung erfolgt über eine Hemmung der Prostaglandinsynthese und setzt erst bei Einzeldosen von 500 mg ein. Ab der 28. Schwangerschaftswoche kann es auch unter ASS-Therapie zu einer Verengung oder einem frühzeitigen Verschluss des DAB kommen, sodass ASS ab diesem Zeitpunkt nicht mehr eingesetzt werden sollte. Bei Frühgeborenen, nicht jedoch bei reifen Neugeborenen finden sich vermehrt intrakranielle Blutungen, wenn die Mutter innerhalb der letzten Schwangerschaftswoche hochdosiert ASS eingenommen hat.Das teratogene Potenzial von ASS scheint sehr gering zu sein.
Opioide
Opioide können in allen Phasen der Schwangerschaft zum Einsatz kommen. Bislang existiert kein Hinweis auf Embryotoxizität oder Teratogenität. Die Wirkung auf den Fetus bzw. das Neugeborene ist abhängig von Zeitpunkt und Dauer der mütterlichen Exposition, der plazentaren Transferrate, der kindlichen Metabolisierungs- und Ausscheidungsrate und dem Vorhandensein aktiver Metaboliten.
Beim perioperativen Einsatz von Opioiden muss vorübergehend mit einer eingeschränkten Variabilität der kindlichen Herzfrequenz und mit verminderten Kindesbewegungen gerechnet werden.
Die fetale Elimination des Opioids erfolgt vorwiegend durch plazentare Rückdiffusion bei abfallendem mütterlichem Plasmaspiegel und kaum über fetale Metabolisierung. Werden Opioide peripartal verabreicht, so muss aufgrund des raschen Angleichens von mütterlichen und kindlichen Plasmaspiegeln und einer noch unreifen kindlichen Metabolisierung und Ausscheidung mit einer postpartalen Beeinträchtigung des Neugeborenen gerechnet werden. Frühgeborene sind demzufolge besonders gefährdet, Atemdepression, Somnolenz und Trinkschwäche zu entwickeln.
Antidepressiva
12 bis 15 % aller schwangeren Frauen leiden unter einer Depression. Die bislang vorliegenden Studiendaten zeigen ein nur gering erhöhtes teratogenes Risiko.
Paroxetin und Fluoxetin weisen eine gering erhöhte Rate kardialer Fehlbildungen auf. Citalopram wird mit Neuralrohrdefekten in Verbindung gebracht. Serotonin-2-Wiederaufnahme-Hemmer wie Trazodon sind in tierexperimentellen Studien in hohen Dosen teratogen. Es wird daher empfohlen, auf ihre Anwendung vor allem im ersten Trimenon zu verzichten.
Die nicht-selektiven trizyklischen Antidepressiva mit dem Hauptvertreter Amitriptylin können im dritten Trimenon zur Harnretention beim Neugeborenen führen. Eine teratogene Wirkung konnte bislang nicht nachgewiesen werden.
Von der Therapie mit MAO-Hemmern wird abgeraten, da die vorhandenen Daten für eine Risikobewertung nicht ausreichen. Ihre Anwendung kann eine in der Schwangerschaft auftretende Hypertonie mit Plazentaperfusionsstörungen verstärken. Die Interaktionen mit Tokolytika und Narkotika stellen peripartal ein zusätzliches Risiko dar.
Werden Antidepressiva im dritten Trimenon eingesetzt, können Neugeborene ein neonatales Anpassungssyndrom mit folgenden Symptomen entwickeln: niedriger Apgar-Score, Reizbarkeit, Agitiertheit, Tremor, erhöhter Muskeltonus, Schlafstörung, Trinkschwäche, exzessives oder ausbleibendes bzw. schwaches Schreien, Atemnot und zerebrale Krampfbereitschaft.
Antikonvulsiva
Daten über den Einsatz von Antikonvulsiva in der Gravidität finden sich nur bezüglich deren Gabe bei Schwangeren, die an Epilepsie erkrankt sind. Etwa 1 % aller Schwangeren ist davon betroffen. Seit 1996 werden im EURAP (European Registry of Antiepileptic Drugs and Pregnancy) weltweit Daten von Schwangerschaften unter Antiepileptikatherapie gesammelt. Daten aus diesem Register und neue Studienergebnisse lassen folgende Zusammenfassung zu:
Über 90 % aller mit Antiepileptika behandelten Schwangeren bringen ein gesundes Kind zur Welt!
Schwangere Frauen mit antikonvulsiver Therapie haben jedoch ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko gegenüber gesunden Frauen, ein Kind mit großen Fehlbildungen zu gebären (4 bis 8 % versus 2,3 %). Polytherapie und höhere Medikamentendosen erhöhen das Risiko.
Unter den klassischen Antikonvulsiva scheint die Malformationsrate bei Valproinsäure am höchsten zu sein, während Carbamazepin die geringste Fehlbildungsrate aufweist.
Die neuen Antikonvulsiva Gabapentin und Pregabalin bilden keine potenziellen teratogenen Metaboliten. Sie besitzen keine Antifolatwirkung, wodurch Neuralrohrdefekte nicht zu erwarten sind. Aufgrund der geringen Datenlage ist eine abschließende Beurteilung der neuen Antiepileptika noch nicht möglich.
Triptane
Bislang konnte kein teratogenes Risiko nachgewiesen werden. Bei der Einnahme im zweiten und dritten Trimenon kann es zu einer leichten postpartalen Uteruskontraktionsschwäche mit erhöhtem peripartalem Blutverlust kommen.
Generell können folgende Empfehlungen gegeben werden:
Älteren Substanzen sollte gegenüber neueren der Vorzug gegeben werden, da aufgrund längerer Erfahrung mit diesen Substanzen eine teratogene Wirkung mit größerer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann.
Es sollte so niedrig wie therapeutisch vertretbar dosiert werden und so kurz wie möglich behandelt werden.
Eine Monotherapie ist zu bevorzugen.
Nicht-medikamentöse Behandlungsoptionen sollten in Erwägung gezogen werden.
Die Erkrankung selbst kann ein Risiko für die vorgeburtliche Entwicklung darstellen. Bekannt ist, dass auch schwere Belastungen wie Schmerzen oder psychische Konflikte den Schwangerschaftsverlauf gefährden können, sodass eine unterlassene therapeutische Intervention ein größeres Risiko für das Ungeborene darstellen kann als die Behandlung selbst.
Literatur bei der Verfasserin