Einwand 1 – “Die meisten Infektionskrankheiten sind doch verschwunden und Impfungen deswegen nicht mehr nötig”: Tatsächlich kommt es nicht mehr in dem Maße zu Infektionen wie noch vor 100 Jahren; ja man könnte z. B. sagen, dass es die Diphtherie nicht mehr gibt. Warum also ein Kind gegen Diphtherie impfen lassen?
Ein gutes Argument dagegen ist die Situation in Russland, wo es bis in die 1980er Jahre reichlich Diphtherie gab. Dann wurde die Diphtherie-Impfung eingeführt, und es traten kaum noch Fälle auf. In der Folge wurden wegen angeblicher Kontraindikationen zunehmend weniger Kinder geimpft, was bis zum Zusammenbruch der UdSSR keine Auswirkungen zeigte. Danach kam es nicht nur zu Bevölkerungsverschiebungen, sondern die Russen beendeten auch “ihren” Afghanistan-Krieg und die Soldaten, von denen einige toxigene Keimträger waren, kehrten zurück. Die Folge war eine explosionsartige Ausbreitung der Diphtherie mit 140.000 Infizierten und 4.000 Todesfällen. Das zeigte deutlich, dass die Krankheit tatsächlich nicht verschwunden war – im Gegenteil, sie konnte sich sehr schnell wieder in einer nicht geimpften Population ausbreiten. Die Diphtherie gab es also nur anscheinend nicht mehr, eben weil geimpft worden war, sie tauchte bedingt durch die geringe Durchimpfungsrate wieder auf.
Oder ein anderes Beispiel: Eine aktuelle Meldung erreicht uns dieser Tage aus Tadschikistan: 12 Jahre nach dem letzten Fall von Polio wird die WHO-Region Europa nun durch einen Polio-Ausbruch in Tadschikistan bedroht. In sehr kurzer Zeit traten 458 laborbestätigte Infektionen auf. Dieser massive Ausbruch wurde in kürzester Zeit durch Massenimpfungen gestoppt. Dazu ist ergänzend anzuführen, dass das Poliovirus im Darm von Reisenden mühelos große Strecken überwindet, somit auch bislang Polio-freie Gebiete so lange gefährdet bleiben, bis der Polioübertragung in den verbleibenden endemischen Ländern Einhalt geboten ist. Der Polio-Ausbruch in Tadschikistan hat nun deutlich die Notwendigkeit vor Augen geführt, einen hohen Immunisierungsstand in der Bevölkerung aufrechtzuerhalten, bis die Übertragungskette der Kinderlähmung weltweit unterbrochen ist.
Einwand 2 – “Besser als gegen Kinderkrankheiten zu impfen ist es sie durchzumachen”: Bestimmte weltanschauliche Gruppen, aber häufig auch ärztliche Homöopathen sehen in “Kinderkrankheiten” einen Sinn. Diese förderten die Entwicklung des Kindes – dies wird immer wieder behauptet, ohne je auch nur einen Studienbeleg zu bieten. Faktum ist, dass in Industrieländern mit Intensivmedizin eines von 1.000 masernkranken Kindern stirbt. 90% der Maserntodesfälle betrifft Kinder unter 5 Jahren. Bei einer Infektion im Alter von über 5 Jahren steigt lediglich die Enzephalitisrate an.
Ein Beispiel: Im Jahr der Fußballmeisterschaft 2006 gab es in Deutschland eine Masernepidemie. Es wurden insgesamt 2.307 Masernfälle gemeldet, 344 Erkrankte mussten stationär aufgenommen werden. Im Einzelnen gab es 45 Fälle von Mittelohrentzündung, 51 Fälle von Masernpneumonie, 7 Fälle von Enzephalitis, einen Fall von Meningitis und 2 Todesfälle. 89% der Erkrankten waren nicht geimpft, weitere 5% hatten nur eine Impfung, wobei bekannt ist, dass dies nur zu 95-97% vor einer Infektion schützt. Ein weiteres Beispiel: 2008 gab es in Österreich einen Masernausbruch ausgehend von einer Rudolf-Steiner-Schule mit insgesamt 443 Fällen, im Vergleich dazu 193 Fälle von Masern in Gesamtamerika (mit 903 Mio. Einwohnern). Es ist eine Tatsache, dass ohne Impfung die Mehrzahl der Kinder an Kinderkrankheiten wie Masern (98% bis zum 15 Lj.!), Mumps, Röteln oder Keuchhusten erkranken würde. Diese Infektionen führen zwar im Allgemeinen nicht zu schweren Erkrankungen, es gibt aber häufig Komplikationen, die nicht zu vernachlässigen sind. So sind z. B. Masern-Infektionen mit einer Reihe von Komplikationen assoziiert; dies sind zu je 5% Pneumonie und AOM, zu bis 7% Fieberkrämpfe und immerhin erleiden 1-2 von 1.000 Erkrankten eine Enzephalitis. Daher sollte man darauf drängen, Krankheiten wie Masern, Mumps, Röteln und Keuchhusten durch Impfen zu eliminieren, wie es in Gesamtamerika, Australien und Schweden z. B. mit Masern schon passiert ist; in der USA sind überdies auch Röteln bereits eliminiert.
Einwand 3 – “Impfungen haben oft schwere Nebenwirkungen und stellen eine Gesundheitsgefährdung dar”: In diesem Zusammenhang sei eine Umfrage bei Krankenhauspersonal zitiert, die ergeben hat, dass sich 40% der Befragten nicht gegen Influenza impfen lassen, weil sie Angst vor Nebenwirkungen haben. Auch findet man im Internet wesentlich mehr Seiten, die über vermeintliche Folgeschäden von Impfungen berichten, als Informationen über positive Impfaspekte. Dies hat zum Teil historische Gründe, wobei von den Impfgegnern immer wieder die 1978 abgeschaffte Pockenimpfung als negatives Beispiel angeführt wird. Tatsächlich hatte der Pocken-Impfstoff der 1. Generation beträchtliche Nebenwirkungen.
Natürlich haben auch heute Impfungen manchmal Nebenwirkungen, dabei kann es sich um eine lokale Reizung an der Einstichstelle handeln, wie z. B. eine Rötung oder eine Schwellung mit leichten Schmerzen, es können systemische Reaktionen auftreten, wie leichtes Fieber, Kopfschmerzen, Übelkeit, oder Abgeschlagenheit, und nicht zuletzt kann es nach einer Impfung mit einem Lebendimpfstoff zu einer abgeschwächten Erkrankung kommen, so z. B. zu Impfmasern (ca. 6%). Weiters ist anzuführen, dass auch gegen nicht aktive Wirkstoffe wie Konservierungsmittel oder Stabilisatoren, die in den Impfstoffen enthalten sind, allergische Reaktionen auftreten können. Daher ist vor einer Impfung abzuklären, ob eine Allergie gegen einen bestimmten Inhaltsstoff vorliegt. In den meisten Fällen können jedoch bei korrekter Injektionstechnik auch allergische Patienten geimpft werden. In diesen Kontext ist anzuführen, dass eine Penicillinallergie niemals eine Kontraindikation zum Impfen ist, da die Verwendung von Penicillin (und Streptomycin) im Herstellungsprozess von Impfstoffen seit Jahrzehnten verboten ist. In extrem seltenen Fällen können Impfungen auch bestimmte Formen von Enzephalitis (z. B. nach Masernimpfung, wenn ursächlich < 1:1 Mio.), Meningitis (nach Mumpsimpfung < 1:250.000), arthritische Beschwerden (nach Rötelnimpfung, häufig bei Erwachsenen) oder eine Thrombopenie (nach Masernimpfung 1:30.000) auslösen. Eine gewisse Information bezüglich der tatsächlichen Impfnebenwirkungen gibt eine placebokontrollierte Studie zur Influenza-Impfung (Tab.).
Abschließend ist festzustellen, dass durch den Erfolg der Impfungen bestimmte Krankheiten nicht mehr existieren. Kaum jemand kennt noch ein retardiertes Kind nach Masernenzephalitis, die durch Poliomyelitis Verkrüppelten sind aus dem Straßenbild verschwunden. Durch den Rückgang der impfpräventablen Infektionen kann aber fatalerweise die Impfbereitschaft sinken. Gleichzeitig kann jetzt aber ein schreiendes Kind von den Eltern in Internetforen zur Impfkatastrophe erklärt werden.
Allerdings ist trotz aller Impfskepsis die Durchimpfungsrate bei Kindern in Österreich insgesamt nach wie vor hoch bzw. sie steigt sogar leicht an. Dieser Umstand zeigt, dass Impfungen prinzipiell für wichtig erachtet werden. Ungenügend sind allerdings die Impfquoten bei Jugendlichen, wobei insbesondere die HPV-Impfung (humane Papillomaviren) für Mädchen und Frauen nur sehr zögerlich angenommen wird. Bei Erwachsenen fehlen häufig außerdem die Impfungen gegen Influenza und Pneumokokken. Die gegenüber der WHO eingegangene Verpflichtung einer Influenza-Durchimpfungsrate von 75% bei Personen > 65 a bis 2010 hat Österreich bei weitem verfehlt. Weiters lassen sich viel zu selten Frauen mit Kinderwunsch gegen Influenza impfen, dabei hat die H1N1-Pandemie gezeigt, dass Schwangere ein erheblich höheres Risiko haben, schwer an Influenza zu erkranken.
Was kann man tun, um die Impfraten zu erhöhen? Zunächst einmal sollten die Zielgruppen immer wieder an die Notwendigkeit des Impfens erinnert werden. Außerdem sollte generell mehr Aufklärung über die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Impfungen betrieben werden. Und schließlich ist es wichtig, die Ausbildung der ÄrztInnen auf diesem Gebiet zu verbessern, denn nur wenn diese eine entsprechende Expertise haben, können sie ihre PatientInnen gut beraten. Und letztlich müssen die öffentlich empfohlenen Impfungen kostenfrei angeboten werden – einerseits, da sie insgesamt kostensparend sind, und andererseits, um damit die auf diesem Gebiet herrschende Zweiklassenmedizin zu beseitigen.
Literatur beim Verfasser