Erst seit kurzer Zeit gilt der Faktor „weibliches Geschlecht“ als besonders starker unabhängiger Risikofaktor für das Auftreten von Übelkeit und Erbrechen unter Chemotherapie. Neben dem weiblichen Geschlecht sind v. a. noch weitere unabhängige Risikofaktoren für Übelkeit und Erbrechen identifiziert worden, nämlich die Emetogenität der zum Einsatz kommenden Substanzen, Brustkrebs, Alter < 50 Jahren, Behandlungsdauer > 3 Monate, antizipatorisches Erbrechen, vorausgegangene Operation und vorausgegangene Chemotherapie. Auch eine antizipatorisch-psychische Komponente spielt eine nicht unwesentliche Rolle.
Unterschiedliche effektivität der antiemetischen Therapie in Abhängigkeit vom Geschlecht? Metoclopramid und 5-HT3- Rezeptorantagonisten der ersten Generation +/– Dexamethason sind bei Frauen signifikant weniger wirksam als bei Männern. In einer Studie mit 1.044 Patienten bei hochemetogener Chemotherapie mit Cisplatin profitierten Frauen von einer zusätzlichen Behandlung mit dem NK1-Antagonisten Aprepitant überproportional stärker als Männer. Dies galt in Hinblick auf das Erbrechen, nicht aber für die Übelkeit (Hesketh et al., 2006). Eine weitere, am ESMO-Kongress 2010 präsentierte Studie von Kubota hat gezeigt, dass bei Frauen mit Cisplatin- oder AC/EC-Chemotherapie die Übelkeit durch die Anwendung von Palonosetron, einem 5-HT3-Rezeptorantagonisten der 3. Generation, günstiger beeinflusst werden kann als durch Granisetron (Kubota, ESMO 2010).
Risikofaktoren und ihre klinische Gewichtung: Um Nebenwirkungen von Chemotherapien möglichst zu reduzieren, ist abseits der bereits besprochenen genderspezifischen Aspekte eine ganze Reihe weiterer Faktoren im Vorfeld abzuklären. Ist die Patientin prämenopausal, ist das Risiko signifikant höher als bei einer Patientin über 50 Jahre (Levin et al., 2009). Generell gilt: Je jünger die Patientin, desto höher die Gefahr von Emesis und Nausea unter Chemotherapie.
Klinische Konsequenzen für den klinischen Alltag: Auf Basis dieser Erkenntnisse kommt der anamnestischen Befragung der Frauen vor Beginn einer Chemotherapie eine wesentliche Rolle zu. Je mehr Informationen zu den oben genannten Faktoren im Vorfeld erhoben werden können, desto exakter können Chemo- und antiemetische Therapie geplant und individuell eingesetzt werden. Im Vorfeld einer Chemotherapie sollte jede Patientin identifiziert werden, bei der mit verstärkter Übelkeit und Erbrechen gerechnet werden muss. Diese Patientin sollte nach dem individuellen „Assessment“ eine adäquate, den internationalen Leitlinien entsprechende antiemetische Therapie erhalten.
Chemotherapien mit hohem Risiko für Emesis und Nausea: Alle 3 aktuellen antiemetischen Leitlinien empfehlen zur Prävention akuter Übelkeit und akuten Erbrechens bei Chemotherapie ein 3-faches Kombinationsschema. Dieses soll aus • Einzeldosen eines 5-HT3-Rezeptor-Antagonisten • Dexamethason und • Aprepitant vor Beginn der Chemotherapie bestehen, wobei entsprechend einer der 3 Leitlinien (NCCN) als 5-HT3-Rezeptorantagonist Palonosetron der Vorzug gegeben werden sollte.
Chemotherapien mit moderatem Risiko für Emesis und Nausea: Obwohl eine Chemotherapie mit Anthrazyklinen plus Cyclophosphamid v. a. bei Brustkrebspatientinnen an sich nur ein moderates Risiko für Emesis und Nausea darstellt, ist sie dennoch mit einem besonders hohen Risiko für Übelkeit und Erbrechen verbunden (NCCN). Um dieses Risiko zu reduzieren, wird z. B. in den MASCC/ESMO-Leitlinien bewusst eine Dreierkombination, bestehend aus Einzeldosen eines 5-HT3-Rezeptor-Antagonisten plus Dexamethason und Aprepitant, vor Beginn der Chemotherapie empfohlen.
Bei einer moderat emetogenen Chemotherapie ohne Anthrazykline und Cyclophosphamid empfehlen die Guidelines eine präferenzielle Gabe von Palonosetron plus Dexamethason. Basis für diese Empfehlung war vor allem die überlegene Wirksamkeit von Palonosetron in der verzögerten Phase gegenüber 5-HT3-Rezeptorantagonisten der 1. Generation (Saito et al., 2009; Kubota, 2010).
Therapien beim Versagen der primären antiemetischen Therapie („Salvage“-Therapien): Kommt es trotz optimaler, leitliniengerechter antiemetischer Therapie zu Übelkeit und Erbrechen, stehen nur noch sehr begrenzte therapeutische Möglichkeiten zur Verfügung.
ZUSAMMENFASSUNG: Frauen leiden unter Chemotherapie aus bislang noch unbekannten Gründen signifikant häufiger an Übelkeit und Erbrechen als Männer. Selbst moderate und minimal emetogene Behandlungen führen häufig zu Emesis und Nausea.
Bislang hat man sich in der Risikoabschätzung mehr oder minder „nur“ auf die Emetogenität des applizierten Chemotherapieschemas bezogen. Die Experten fordern in Ergänzung unter Berücksichtigung von patientenbezogenen individuellen Faktoren ein globales Assessment, was eine exaktere Risikofeststellung erlaubt.
Die speziellen Aspekte der Prophylaxe und Behandlung von Übelkeit und Erbrechen bei Patientinnen unter Chemotherapie erfordern besondere Maßnahmen: