Den aktuellen Wissensstand zur Betreuung von HIV-betroffenen Paaren fassen die aktuelle Leitlinie der Deutschen und der Österreichischen AIDS-Gesellschaft zur Diagnostik und Therapie HIV-betroffener Paare mit Kinderwunsch (2010) und die aktuellen Deutsch-österreichischen Empfehlungen zur HIV-Therapie in der Schwangerschaft und bei HIV-exponierten Neugeborenen (2008) zusammen. Auch die generelle Leitlinie der Deutschen und der Österreichischen AIDS-Gesellschaft zur antiretroviralen Therapie der HIV-Infektion wurde 2008 aktualisiert.
Die zentrale Herausforderung besteht darin, HIV-infizierten Frauen bzw. für Frauen von HIV-infizierten Männern Möglichkeiten aufzuzeigen, den Kinderwunsch zu erfüllen, ohne den Partner einer Infektion auszusetzen. Ganz entscheidend im Rahmen der Beratung sind Informationen über die antiretrovirale Behandlung (ART) während der Schwangerschaft, weiters die Transmissions-Prophylaxe, die mögliche Auswirkung der ART auf das Kind und den Stillverzicht. Aus den bisher vorliegenden Daten zur Schwangerschaft HIV-positiver Frauen ergeben sich keine Hinweise, dass Schwangerschaft und Geburt den Verlauf einer HIV-Infektion ungünstig beeinflussen. Es sollte allerdings auf das erhöhte Komplikationsrisiko einer Schwangerschaft bei bestehender HIV-Infektion hingewiesen werden. Dies betrifft in erster Linie eine erhöhte Frühgeburtlichkeit, aber auch Nebenwirkungen einer ART, wie z. B. eine erhöhte Lebertoxizität. Darüber sollte das Paar im Beratungsgespräch informiert werden.
Durch bestmögliche Prävention, die eine adäquate antiretrovirale Kombinationstherapie bzw. eine Prophylaxe der Schwangeren, eine elektive Sectio vor Beginn der Wehen, eine antiretrovirale Postexpositionsprophylaxe des Neugeborenen und Stillverzicht umfasst, kann die Transmissionsrate auf unter 2% gesenkt werden. Ohne Intervention wird sie auf bis zu 40% geschätzt. Eine geringe Viruslast (< 1.000 Kopien/ml) sowie eine stabile CD4-Zellzahl in den letzten 6 Monaten, verbleibende antiretrovirale Therapieoptionen und das Fehlen gravierender somatischer Komorbiditäten (wie z. B. chronische HBV- und HCV-Infektion, Diabetes mellitus, Anfallsleiden) verringern das Transmissionsrisiko. Die antiretrovirale Therapie der Mutter nützt Mutter und Kind. Es ist allerdings zu erwägen, dass die Kinder intrauterin und postpartal gegenüber einer ART exponiert werden. Die Langzeitrisiken dieser Exposition sind derzeit (z. B. Folgen einer mitochondrialen Toxizität der ART) noch nicht abzuschätzen, da bisher nur geringe Erfahrungen vorliegen. Informationen über teratogene Auswirkungen einer ART in der Schwangerschaft liefert das Antiretroviral Pregnancy Registry anhand von über 10.000 Schwangerschaften, eine erhöhte Fehlbildungsrate konnte bisher nicht nachgewiesen werden.
Um von Beginn an die bestmögliche Betreuung anbieten zu können, sollte gemäß deutsch-österreichischen Empfehlungen jeder Schwangeren ein HIV-Antikörpertest (Such- und Bestätigungstest – ELISA und Western-Blot) und eine kompetente fachliche Beratung angeboten werden. Mit 1. Jänner 2010 wurde der Mutter-Kind-Pass in Österreich um einen Labortest auf HIV erweitert. Die Durchführung des HIV-Tests ist an die ausdrückliche Zustimmung der werdenden Mutter gebunden. Die persönlichen und medizinischen Konsequenzen eines positiven Testergebnisses sollten besprochen werden. Bei positivem Testergebnis ist ein in der Behandlung der HIV-Infektion erfahrener Pädiater zur Beratung über das Transmissionsrisiko, nötige Kontrolluntersuchungen und den möglichen Verlauf der HIV-Infektion beim Kind hinzuziehen.
Derzeit gibt es keine Hinweise darauf, dass eine Schwangerschaft oder Geburt den Verlauf einer HIV-Infektion ungünstig beeinflusst. Umgekehrt besteht allerdings bei HIV-infizierten Frauen ein großes Risiko für Komplikationen in der Schwangerschaft: So liegt die Frühgeburtsrate bei Frauen unter HAART (Highly Active Antiretroviral Therapy) bei 24,9%. In einer deutschen Untersuchung wurde bei 98,3% der HIV-infizierten Schwangeren die Geburtsbeendigung durch Kaiserschnitt vorgenommen. Bei 55% der Frauen wurden Komplikationen dokumentiert. Diese Zahlen untermauern die Bedeutung einer kompetenten Betreuung von HIV-infizierten Schwangeren unter Einbindung von HIV-Zentren.
Grundsätzlich ergeben sich aus dem Kinderwunsch HIV-betroffener Paare drei Konstellationen mit unterschiedlicher Problematik:
Die unterschiedlichen Ausgangssituationen erfordern eine differenzierte Vorgangsweise, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit ist Grundvoraussetzung.
Bei nicht eingeschränkter Fertilität: HIV-infizierte Frauen mit HIV-negativen Partnern haben die Möglichkeit der Selbstinsemination. Dafür wird zum Zeitpunkt der Ovulation nach dem Geschlechtsverkehr das spermizidfreie Kondom umgedreht in die Vagina eingeführt. Alternativ kann das Sperma mit einer Portiokappe oder einer Spritze vaginal appliziert werden. Bei Problemen mit der Selbstinsemination stellt eine intrauterine Insemination (IUI) eine Option dar.
Im Januar 2008 veröffentlichte die Eidgenössische Kommission für AIDS-Fragen (EKAF) eine Stellungnahme zum Transmissionsrisiko bei nicht nachweisbarer Viruslast, die seitdem auch die Beratung beim Kinderwunsch von Menschen mit HIV erheblich beeinflusst. Unter folgenden Voraussetzungen schließt die EKAF ein Restrisiko für eine Transmission aus statistischen Gründen nicht aus, hält dieses aber für vernachlässigbar klein:
Mit Blick auf die Kinderwunschbehandlung wird festgehalten, dass die Insemination mit aufbereitetem Sperma bei vollständig supprimierter Viruslast nicht mehr indiziert ist, wenn sie nur erfolgt, um eine HIV-Transmission zu verhindern.
Die Diskussion um das EKAF-Statement wird international kontrovers geführt. Kritiker weisen auf die limitierte Datenlage zum Transmissionsrisiko bei Geschlechtsverkehr ohne Kondom hin. Studien zur Assoziation zwischen der Viruslast im Sperma und im Blut zeigen einen hohen Zusammenhang. Die Datenlage ist allerdings bisher ebenfalls begrenzt, ebenso wie jene zum ungeschützten Geschlechtsverkehr bei Paaren mit Kinderwunsch.
Bei eingeschränkter Fertilität: Bei eingeschränkter Fertilität sollte eine gezielte Fertilitätsdiagnostik durchgeführt werden. Tatsächlich gibt es Hinweise auf eine erhöhte Rate von Fertilitätsstörungen bei HIV-infizierten Frauen und Männern, so einerseits eine unerwartet hohe Prävalenz an Tubenokklusionen (27,8%) und andererseits Spermienabnormitäten (83,4%). Die Kinderwunschbehandlung ist bei HIV-infizierten Paaren international anerkannt. Ziel der Maßnahmen ist eine Einlingsschwangerschaft, da Mehrlingsschwangerschaften vor allem durch ein erhöhtes Frühgeburtsrisiko das Risiko für eine vertikale Transmission erhöhen. Die HIV-Infektion begründet keinen Ausschluss von der Kostenübernahme für eine assistierte Reproduktion, d. h. der österreichische IVF-Fonds übernimmt auch bei HIV-Infizierten ca. 70% der Behandlungskosten.
Antiretrovirale Therapie: Die risikoadaptierte ART bzw. die antiretrovirale Prophylaxe während der Schwangerschaft wird vom betreuenden HIV-Spezialisten, dem Frauenarzt, dem Geburtshelfer und dem Kinderarzt gemeinsam mit der Schwangeren (und ihrem Partner) festgelegt, wobei auch laufende Therapien bzw. die Prophylaxe opportunistischer Infektionen berücksichtigt werden müssen. Änderungen des therapeutischen Managements während der Schwangerschaft sollten nur nach Absprache mit dem HIV-Zentrum erfolgen. Die Schwangere ist insbesondere über die Symptomatik möglicher Nebenwirkungen der ART aufzuklären und darauf hinzuweisen, dass bei entsprechenden Beschwerden Kontakt mit dem behandelnden Arzt aufzunehmen ist. Dies gilt im Übrigen auch für die Einnahme auch nicht-verschreibungspflichtiger Medikamente. Methadon-substituierte und drogenabhängige Frauen müssen ausführlich über Interaktionen zwischen Drogen und antiretroviraler Prophylaxe/Therapie informiert werden.
Ein besonderes Problem in Hinblick auf die ART bereitet therapieresistentes Schwangerschaftserbrechen. Um eine Resistenzbildung zu vermeiden, ist es in diesen Fällen nötig, alle antiretroviralen Medikamente gleichzeitig abzusetzen. Allerdings sind nicht-nukleosidale Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI) aufgrund ihrer langen Halbwertszeiten auch noch bis zu 3-4 Wochen nach Absetzen in therapeutischer Konzentration nachweisbar. Die daraus resultierende, vorübergehende funktionelle Monotherapie ist mit einem hohen Risiko einer Resistenzentwicklung gegen NNRTI verbunden. Bei Sistieren des Schwangerschaftserbrechens können alle Medikamente wieder gleichzeitig eingesetzt werden.
Laborkontrollen: Empfohlen wird eine monatliche Kontrolle des Blutbildes besonders auch wegen der Möglichkeit von Zidovudin-assoziierter Anämien und Thrombozytopenien. Bei einem Hämoglobin-(Hb)-Abfall < 10 mg/dl ist in Abstimmung mit dem HIV-Behandler zu entscheiden, ob bei engmaschiger Kontrolle abgewartet werden kann oder ob die Therapie geändert werden muss.
Besonders unter Therapie mit Proteaseinhibitoren (PI) ist, da die Diabetesinzidenz unter dieser Therapie verdreifacht ist, eine Untersuchung auf Schwangerschaftsdiabetes (oraler Glukosetoleranztest zwischen SSW 23+0 und SSW 27+7) zu empfehlen. Die Bestimmung des Laktatspiegels, der Leberwerte, Amylase, Lipase und LDH sollte zu Beginn der Schwangerschaft, nach Absetzen einer Therapie oder Prophylaxe, bei Verdacht auf Laktatazidose (Übelkeit, starkes Erbrechen, Bauchschmerzen, Müdigkeit, erhöhte Leberwerte) und vor allem im 3. Trimenon erfolgen. Die immunologischen und virologischen Parameter (Lymphozytensubpopulationen, HIV-Viruslast) sollten monatlich, mindestens aber alle 2 Monate kontrolliert werden, wobei die letzte Bestimmung der Viruslast 2-4 Wochen vor Geburt zu erfolgen hat, damit das Ergebnis spätestens zur Geburt vorliegt. So kann bei erhöhter Viruslast noch mit einer erweiterten antiretroviralen Prophylaxe für das Kind reagiert werden.
Gynäkologische Kontrollen: Da genitale Infektionen mit Chlamydien und Trichomonaden sowie bakterielle Vaginose das HIV-Transmissionsrisiko vor allen durch vorzeitige Wehen erhöhen, sind die folgenden Untersuchungen obligat: pH-Bestimmung des Vaginalsekrets, Nativpräparat, mikrobiologische Kultur, STD-Diagnostik, Toxoplasmosescreening zu Beginn der Schwangerschaft sowie bei negativen Titerwerten im 2. und 3. Trimenon zum Ausschluss einer Reaktivierung bzw. Neuinfektion sowie eine vollständige Hepatitis-Serologie. Auch Harnwegsinfekte müssen ausgeschlossen werden.
Vulväre, vaginale und zervikale Dysplasien (bei bis zu 30% der HIV-Infizierten) können durch die HIV-induzierte Immunsuppression schneller zu einem Karzinom progredieren. Daher sind zu Beginn der Schwangerschaft zusätzlich zur Zervixzytologie (PAP) eine HPV-Typisierung und eine kolposkopische Untersuchung indiziert. Bei unauffälligem HPV-Befund ist eine Kontrolluntersuchung nach Beendigung der Schwangerschaft ausreichend. Auffälligkeiten müssen weiter abgeklärt und insbesondere muss auch die Perinealregion inspiziert werden.
Kontrollen des Fetus: Zwischen SSW 10+6 und 13+6 ist die Messung der Nackentransparenz sowie in der SSW 19+6 bis 22+6 ein sonographischer Fehlbildungsausschuss obligat. Eine invasive pränatale Diagnostik sollte wegen der Kontaminationsgefahr des Fruchtwassers nur bei strengster Indikationsstellung, nach Möglichkeit unter Berücksichtigung der Viruslast und nur unter antiretroviraler Therapie bzw. Prophylaxe durchgeführt werden. Bei Indikation zur invasiven pränatalen Diagnostik und unbekanntem HIV-Status der Mutter sollte immer ein HIV-Test angeboten werden. 6-8 Wochen postpartal sollte im Rahmen der postpartal durchgeführten gynäkologischen Routineuntersuchung eine ausführliche kontrazeptive Beratung erfolgen.
Gemäß den im Jahr 2010 publizierten Therapieempfehlungen ist eine Gravidität eine Indikation zu einer antiretroviralen Kombinationstherapie unabhängig von der CD4-Zellzahl. Eine Komponente der antiretroviralen Kombinationstherapie in der Schwangerschaft sollte, außer bei Vorliegen spezifischer Resistenzmutationen oder Unverträglichkeit, Zidovudin sein.
Es wird weiters die primäre Sectio durch einen erfahrenen Geburtshelfer zwischen SSW 37+0 bis 37+6 empfohlen. Empfohlen wird eine prä- und intraoperative i. v. Gabe von Zidovudin beginnend 3 Stunden vor der Sectio (2 mg/kg als Ladedosis für 1 h, danach 1 mg/kg bis zur Entwicklung des Kindes), auch wenn Zidovudin bislang nicht Bestandteil des Therapieregimes war. Postnatal sollte das Kind Zidovudin über 4 Wochen p. o. (2 mg/kg alle 6 Stunden) oder 10 Tage i. v. (1,5 mg/kg alle 6 Stunden) erhalten. Da zukünftig mit vermehrtem Auftreten Zidovudin-resistenter HIV-Stämme zu rechnen ist, sollte vor der Therapie mit Zidovudin eine genotypische Resistenz ausgeschlossen werden. Bei sehr niedriger Viruslast unter antiretroviraler Therapie bzw. Prophylaxe ist allerdings der Benefit der primären Sectio zur Transmissionsprophylaxe umstritten.
Die Art der Transmissionsprophylaxe bei Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen ist von der Risikokonstellation abhängig. Bei komplikationslosen Mehrlingsschwangerschaften ist das Transmissionsrisiko bei einer Viruslast vor der Geburt > 3.000 Kopien/μl nicht erhöht, wohl aber bei 3.000-10.000 Kopien/μl. Ebenso erhöht ist das Risiko bei vorzeitigen Wehen, Frühgeburt in der SSW 36+6 bis SSW > 33+0. Ein sehr hohes Transmissionsrisiko besteht bei Aminoinfektionssyndrom (AIS), vorzeitigem Blasensprung und Geburt (vor der SSW 33+0) und einem Anstieg der Viruslast am Ende der Schwangerschaft auf > 10.000 HIV-Kopien/μl. Für alle diese Konstellationen bieten die Deutsch-österreichischen Empfehlungen einen Leitfaden. Diese beruhen auf der aktuellen Datenlage und auf den Erfahrungen aus der Praxis.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die heutigen Therapieoptionen Menschen mit HIV-Infektionen ermöglichen, ihren Wunsch nach einem eigenen Kind zu erfüllen. Auf Grund des Infektionsrisikos für den nicht-infizierten Partner, besonders aber auch für das Kind, benötigen HIV-betroffene Paare eine besonders individuelle Beratung und Betreuung unter Einbindung eines HIV-Zentrums.
Literatur bei der Verfasserin