Carl Freiherr von Rokitansky und die 2. Wiener Medizinische Schule: Wir schreiben das Jahr 1804: Carl Freiherr von Rokitansky (1804–1878, Abb. 1A) wird in Königgrätz, damalig im Osten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, geboren und studiert Philosophie und Medizin in Prag, übersiedelt 1824 nach Wien und leitet im Zuge extensiver Studien der mak roskopischen und mikroskopischen Anatomie gemeinsam mit dem Internisten Josef von Skoda und dem Dermatologen Ferdinand von Hebra die Gründung der 2. Wiener Medizinische Schule ein. Unter Rokitanskys weltbekannten Publikationen reiht sich auf den ersten Blick unscheinbar „Ueber Uterusdrüsen-Neubildung in Uterus- und Ovarial-Sarcomen“ ein, welche im Jahr 1860 in der „Zeitschrift der kaiserlich-könig – lichen Gesellschaft der Ärzte zu Wien“ (Abb. 1B) erscheint. Rokitansky bemerkt: „Unter den Bindegewebstumoren, an denen der Uterus erkrankt, gibt es welche, in deren Zusammensetzung drüsenartige Schläuche eingehen“ und beschreibt damit erstmals die mikroskopische Anatomie der Adenomyosis uteri und im Weiteren der Ovarialendometriose: „Diese Neubildungen finden sich auch im Ovarialgewebe und können dort zu Cys tenbildung führen.“
Berlin 1886 – Friedrich von Recklingshausen: Rokitanskys Ausführungen bleiben jedoch weitgehend unbeachtet – möglicherweise auch auf Grund der Tatsache, dass sie primär deskriptiver Natur sind und Rokitansky die Genese und Ursachen der Erkrankung unbeantwortet lässt. 26 Jahre vergehen, bis sich der bekannte Berliner Pathologe Friedrich von Recklingshausen abermals mit der Thematik auseinandersetzt und 1886 eine Abhandlung über „Adenomyome und Cystadenome des Uterus und der Tuba“ in der „Wiener Klinischen Wochenschrift“ publiziert. Von Recklingshausen vermutet die Entstehung der Tumoren aus dem Gewebe des mesonephritischem bzw. Wolff’schen Ganges und beschreibt „auffällige Aehnlichkeiten der Struktur und des Wachstumsmusters von Drüsenschläuchen in Adenomyomen und der primitiven Drüsen des Wolff`schen Ganges“. Er untermauert seine Theorie mit der primären Lokalisation von Adenomyomen in der Uterushinterwand und führt diese auf die Topographie des Wolff’schen Ganges zurück. Die Theorie von Recklingshausens findet zahlreiche prominente Anhänger, darunter die österreichischen Pathologen und Gynäkologen Herff, Pick und Nebesky sowie den Deutschen Pathologen Aschoff und den damals noch weitgehend unbekannten Gynäkologen Pfannenstiel, welcher im Rahmen eines Fachkongresses in Leipzig 1897 den Fall eines „walnussgrossen Adenomyoms der Uterushinterwand“ vorstellt. Gegenthesen wie die Entstehung des Adenomyoms aus dem Müller’schen Gang (Kossmann, Berlin 1886) blieben weitgehend unbeachtet.
Thomas Cullen und die John Hopkins Society: 36 Jahre nach der Erstbeschreibung durch Rokitansky beginnen auch in Übersee ernsthafte Bestrebungen, die Genese der Adenomyose und Endometriose zu erforschen. Im März des Jahres 1895 präsentiert der in Baltimore arbeitende Kanadische Pathologe Thomas Cullen „Views on the Pathogenesis of Adenomyomata“ den Mitgliedern der John Hopkins Medical Society. Cullen beschreibt in seiner Arbeit den klinischen Verlauf dreier Patientinnen mit „severe pain in the lower part of the abdomen and painful and profuse menstruation which lasts for more than 2 weeks. This is characterized by a considerable amount of clotted blood and a sensation of weight and pain in the region of the rectum“. Der folgende operative Eingriff welcher kurzerhand als „opening of the abdomen and amputation of the uterus low down at the cervix“ vermerkt ist, führt zu einer deutlichen Besserung der genannten Symptome. Cullen vermutet durch die topographischen Nähe des Endometriums und dessen fließenden Übergang in das Adenomyom den Ursprung der Erkrankung in der ute – rinen Mukosa und begründet damit die „Mucosal Theory“ (Abb. 2 A, B).
Die Serosa-Metaplasie-Theorie: Iwanoff und Renisch 1898: Nur wenige Jahre nach den Publikationen von Recklingshausens finden sich immer mehr Argumente gegen die embryologisch orientierte Theorie der Gruppe um von Recklingshausen. Im Jahr 1898 publiziert der russische Gynäkologe Iwanoff seine Beobachtungen zur Genese des Adenomyoms in der „Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie“ und vermutet den Ursprung des heterotopen Drüsengewebes in der metaplastischen uterinen Serosa, „deren Üebergang sich direkt in die adenomyotischen Drüsen nachweisen lässt“. Iwanoff wird durch den deutschen Gynäkologen Renisch unterstützt, welcher 1912 erstmals die chirurgische Therapie der rektovaginalen Endometriose mittels Darmresektion beschreibt. In seinem Artikel „Ein Beitrag zur Adenomyositis uteri et recti“ berichtet Renisch den Kasus einer „sterilen Ehe“ einer 31-jährigen Patientin, welche zusätzlich unter „intensiver Dysmenorrhoe und Rückenschmerzen leidet“. Nach Palpation eines „apfelgrossen Tumors, welcher zwischen Uterus, Scheide und Rectum fixiert ist“, führt Renisch eine „Laparotomie, um die Masse zu entfernen“, durch, bei der er den Douglas-Raum „vollständig okkludiert“ vorfindet, um schließlich Uterus und vordere Rektumwand zu exstirpieren, welche er „mit einigen Stichen verschliesst“. Der weitere klinische Verlauf der Patientin gestaltet sich günstig und die detaillierte mikroskopische Aufarbeitung des Präparats liefert die Erstbeschreibung der tief infiltrierenden Rektumendometriose (Abb. 4 A, B), deren chi – rurgische Therapie 1918 im Buch „Fibroids and Allied Tumors“ eine weitere detaillierte Beschreibung durch den englischen Gynäkologen Cuthbert Lockyer findet.
Robert Meyer – die Theorie der epithelialen Heterotopie: „Tissue Injury and Repair“ (TIAR): Unter den bis dato genannten Persönlichkeiten, welche die Erforschung der Adenomyose und Endometriose wesentlich geprägt haben, sticht Robert Meyer (Abb. 3) als besonders offener und kreativer Geist hervor. Meyer, geboren 1864 in Hannover, beginnt nach dem Abschluss des Medizinstudiums in Leipzig und Strassburg als Landarzt zu arbeiten. Meyer beschließt jedoch mit 30 Jahren, seine akademische Karriere fortzusetzen, und wird schließlich nach langjähriger wissenschaftlicher Tätigkeit als Gynäkopathologe Professor am Pathologischen Institut der Charite Berlin. Meyer verfolgt über Jahre eigene sowie die Forschungstätigkeiten seiner Kollegen Recklingshausen und Aschoff, um schließlich 1903 eine einzigartige Zusammenfassung und Hypothese zur Entstehung der Adenomyose und Endometriose zu publizieren – „Eine unbekannte Art von Adenomyom des Uterus mit einer kritischen Besprechung der Urnierenhypothese v. Recklinghausens“.
Meyer begründet die bis heute aktuelle Theorie der epithelialen Heterotopie durch lokal entzündlich-irritative Prozesse und vermutet eine Dislokation uteriner Mukosa bzw. Endometriums als Effekt lokaler entzündlich-regenerativer Prozesse im Sinne der auch heute aktuell diskutierten TIAR-Theorie („tissue injury and repair“) von Leyendecker et al. Meyer postuliert, dass ein Zustand rezidivierender lokal-entzündlicher Veränderungen das organdestruktive Wachstum des heterotopen Epithels bzw. des endometriotischen Gewebes fördert und so die Entstehung tief infiltrierender Endometriose erklären könne. Überliefert sind bis heute Meyers überragende analytische Fähigkeiten sowie die Passion, mit welcher er sich dem Fachgebiet der gynäkologischen Pathologie hingab. Robert Meyer starb 1947 in Berlin.
AM SCHLUSS: Was bleibt, ist nicht nur das Fachwissen, auf dem unsere heutige klinische und wissenschaftliche Tätigkeit aufbaut, sondern auch die notwendige Ehrfurcht vor diesen Persönlichkeiten, welche alle unikal für die damalige Zeit und zu teilweise widrigen Bedingungen Wissenschaft und Fürsorge um ihre Patienten in den Mittelpunkt ihres Handelns gestellt haben. Die bis heute erhaltenen Publikationen und teils ungewöhnlich persönlich gehaltenen Berichte legen davon Zeugnis ab.
Inwieweit sich die grundlegenden chirurgischen Prinzipien der radikalen Endometriosechirurgie über 90 Jahre verändert haben, mögen die Leser an Hand der Aufnahme eines noch heute im Charing Cross Hospital London erhaltenen Operationspräparates (Abb. 5) von Cuthbert Lockyer aus dem Jahr 1918 selbst beantworten …
Literatur beim Verfasser