Homöopathie in der Geburtshilfe – Dos and Don’ts

Bisher wurde die Komplementärmedizin (CAM) von Gesundheitsbehörden und medizinischen Universitäten als Forschungsfeld weitgehend ignoriert. Gründe dafür sind das mangelnde Interesse von Seiten der Studiengeldgeber an diesem kostengünstigen Zweig der Medizin sowie das schlechte Image der Komplementärmedizin in wissenschaftlichen Kreisen. Umgekehrt finden v. a. die etablierten komplementärmedizinischen Methoden wie die klassische Homöopathie oder Akupunktur breiten Anklang unter den Patientinnen. Eine amerikanische Datenerhebung zeigte, dass 4 von 10 Amerikanern regelmäßig Komplementärmedizin im Jahr 2007 in Anspruch nahmen. Eine Schweizer Untersuchung belegt, dass 2002 11 % aller Patientinnen Homöopathie, anthroposophische Medizin, Neuraltherapie, Phytotherapie oder TCM benutzen. Beide Studien erhoben, dass die CAM-Patienten typischerweise weiblich und jung waren sowie einen hohen Bildungsstandard aufzuweisen hatten.
2009 fand in der Schweiz ein Referendum statt, in dem 2 Drittel der Wähler sich für eine Übernahme der CAM-Kosten durch die staatlichen Krankenkassen aussprachen.
2011 publizierte eine niederländische Forschergruppe eine Untersuchung1 von 150.000 Patientinnen bezüglich der Gesundheitskosten zwischen 2006 und 2009. Eingeschlossen waren alle therapeutischen Gesundheitskosten, Geburtsdatum, Todesdatum, Geschlecht. Die Patientendaten von 1.913 Allgemeinmedizinern wurden mit den Daten von 79 Allgemeinärzten mit CAM-Zusatzausbildungen verglichen. 28 davon waren homöopathische Ärzte, 25 Akupunkteure und 26 anthroposophische Ärzte.
Es zeigte sich, dass sowohl die Gesundheitskosten als auch die Todesfälle bis zu 30 % gesenkt werden konnten, wenn der behandelnde Arzt zusätzlich CAM zur Betreuung seiner Patientinnen einsetzte. Die Kosten wurden durch weniger stationäre Aufenthalte und niederere Medikamentenkosten bewirkt. Die Autoren begründen diese Ergebnisse von gesenkten Kosten und längerem Leben in der CAM-behandelten Gruppe damit, dass Patienten, die der Schulmedizin kritisch gegenüber stehen, eher zu CAM-Ärzten gehen und dass CAM-Ärzte weniger anfällig für „Overtreatments“ seien und mehr medizinischen Focus auf die Krankheitsprävention legen.

Homöopathie in Schwangerschaft und Stillzeit

Schwangere und stillende Frauen stehen der Einnahme von Medikamenten oft sehr kritisch gegenüber. Aus Angst, das Ungeborene oder den Säugling zu schädigen, verlangen werdende oder stillende Mütter vermehrt homöopathische Behandlung bei akuten und chronischen Beschwerden.
Es existiert kaum ein Kreißsaal oder eine Neugeborenenstation in Österreich und Deutschland, wo nicht homöopathische Arzneien zum Einsatz kommen.

Homöopathische Arzneien gelten allerdings zu Unrecht als nebenwirkungsfrei: Bei falscher, unsachgemäßer Anwendung können sie zu ausgeprägten Krankheitssymptomen, so genannten Arzneimittelprüfsymptomen (AMPS) führen, die weder von der Patientin noch vom behandelnden – nicht-homöopathischen Arzt – auf die regelmäßige Einnahme von falsch ausgewählten Globuli zurückgeführt werden. Die bei der gewollten Arzneimittelprüfung (AMP) am Gesunden entstehenden Symptome leiten den homöopathischen Arzt in der Auswahl der im Krankheitsfall zu verordnenden Arznei an. Beim kranken Patienten hingegen sollten Arzneimittelprüfsymptome vermieden werden, da sie zu einer zusätzlichen Beeinträchtigung des Patienten führen.

AMPS entstehen, wenn man in zu häufige Gaben eine homöopathische Arznei derselben Potenzstufe verabreicht. Die so provozierten, unangenehmen Krankheitssymptome können zu konventionellen medizinischen Interventionen führen, die allein durch das Absetzen der Homöopathika vermeidbar gewesen wären.
Um homöopathische Arzneien sicher und nebenwirkungsfrei anzuwenden, müssen gewisse Nebenwirkungen bedacht und Richtlinien eingehalten werden.

Homöopathie in der Schwangerschaft wirkt immer auch auf das Ungeborene: Bei der Einnahme homöopathischer Arzneien in der Schwangerschaft und während des Stillens wird durch das homöopathische Mittel nicht nur die Mutter, sondern auch das Kind beeinflusst. 

Besonders in der Frühschwangerschaft, vor abgeschlossenen Organogenese, sollten Homöopathika mit Bedacht verordnet werden.

Homöopathische Anwendungen mit Caveat

Im Folgenden werden einige gängige Empfehlungen homöopathischer Therapien besprochen, die als obsolet einzustufen sind, aber immer wieder von Fachärzten und Apothekern empfohlen werden:

Caulophyllum und Pulsatilla vor der Geburt, ein geburtshilfliches Problem: Viele Gynäkologen, Apotheker und nicht klassisch homöopathisch ausgebildete Ärzte empfehlen ihren schwangeren Patientinnen, einige Wochen vor dem Geburtstermin die homöopathischen Arzneien Caulophyllum und Pulsatilla regelmäßig einzunehmen.

Diese Empfehlung entspricht nicht der klassischen Homöopathie, die keine prophylaktische, sondern eine symptombezogene Therapie ist.
Die unsachgemäße, zu häufige Einnahme dieser beiden Arzneien führt zu einer klassischen „Arzneimittelprüfung“ (AMP): Pulsatilla verkürzt zwar – ähnlich der präpartalen Akupunktur – die Eröffnungsphase der Geburt, protrahiert aber häufig die Austreibungsphase. Caulophyllum provoziert, wenn präpartal unsachgemäß gegeben, einen Geburtsstillstand in der Austreibungsphase.
Dies führt zu einem höheren Bedarf an wehenfördernden Medikamenten, Vakuumexktraktion oder Schnittbindung.
Pulsatilla ist nur dann vor der Geburt indiziert, wenn eine Patientin an verstärkter Weinerlichkeit, Anhänglichkeit, Ängstlichkeit, innerer Unruhe, Obstipation, brennenden Füßen oder anderen Pulsatilla-typischen Symptomen leidet.
Caulophyllum ist als Konstitutionsmittel weitgehend unbekannt, da es nur unvollständig am Gesunden geprüft wurde. Die wenigen gesicherten Symptome von Caulophyllum sind krampfartige Zustände der Gebärmutter bei Dysmenorrhö, Krampfwehen, Muttermundrigidität, Wehenschwäche, sehr schmerzhafte Nachwehen, bestimmte Formen der Uterusatonie und Rheumatismus der kleinen Gelenke. Erfahrene homöopathische Ärzte (Julius Metzger) verweisen darauf, dass Caulophyllum – undifferenziert und nicht nach dem Simile-Gesetz verordnet – sogar für einen vorzeitigen Blasensprung und Wehenschwäche verantwortlich sein kann. Schwangere, die Caulophyllum regelmäßig über Wochen eingenommen haben, entwickeln häufig einen Blasensprung, ohne Wehentätigkeit, oder einen Geburtsstillstand wegen Wehenschwäche in der Austreibungsphase.

Homöopathie und vorzeitige Wehentätigkeit: Eine vorzeitige Wehentätigkeit ist häufig durch vulvovaginale Infektionen ausgelöst. Die Frühgeburtlichkeit bei bakterieller Vaginose ist um den Faktor 2–4 erhöht, ebenso die postpartale Endometritisrate. 

Bei der homöopathischen Behandlung ist zu beachten, dass die Arzneiwirkung primär die Gesundheit der Mutter wiederherzustellen versucht und zu diesem Zweck den Fetus als entstehendes Leben dem mütterlichen Wohlergehen unterordnet. Aus dieser Tatsache erklärt sich, dass die homöopathische Behandlung vorzeitiger Wehentätigkeit auf Grund von bakterieller Vaginose häufig zu einer Intensivierung der Wehentätigkeit bis hin zur Fruchtausstoßung führen kann.
Die homöopathische Behandlung vorzeitiger Wehen wegen vulvovaginaler Infektionen ist obsolet.
Ein sinnvolles Einsatzgebiet der Homöopathie ist die Rezidivprophylaxe nach erfolgter antibiotischer Therapie, um die vaginale Immunität wieder aufzubauen.

Geburtsverletzungen: Perineale, vulväre oder vaginale Schmerzen sind besonders nach operativen Entbindungen (Vakuum, Forceps), nach Episiotomien, nach Damm- und Vaginalrissen häufige Beschwerden im Wochenbett. Die Schmerzursache, ob entzündlich, hämatomatös, gequetscht oder durch Nervenreizung entstanden, ist eine wichtige Information zur korrekten Arzneimittelfindung. Als Nebeneffekt sinkt der Analgetikabedarf unter homöopathischer Therapie.


Stillprobleme, Abstillen mit Homöopathie: Belladonna und Phytolacca sind die von Stillberaterinnen am häufigsten verordnete, homöopathischen Arzneien, obwohl sie am seltensten tatsächlich indiziert sind. Werden die Arzneien nicht dem Simileprinzip gemäß verordnet, können sie zu bedeutsamen Verschlimmerungen führen:

Phytolacca wird in der homöopathischen Laienliteratur als typisches Arzneimittel bei Laktationsproblemen oder (in niedrigen Potenz) zum Abstillen empfohlen.
Wird die Homöopathie kurativ eingesetzt, so gibt sie dem Organismus einen Reiz zur Wiedererlangung des optimalen gesundheitlichen Gleichgewichts. Stillen ist ein physiologischer Zustand, der natürlicherweise erst endet, wenn die „Nachfrage“ weniger wird oder gänzlich sistiert. Warum dennoch die Milch versiegt, wenn Phytolacca über einige Zeit in Tiefpotenz eingenommen wird, liegt daran, dass eine Arzneimittelprüfung an der Patientin erzeugt wird.
Das entspricht einer missbräuchlichen, unhomöopathischen Anwendung: Phytolacca ist eine Arznei zur Behandlung schwerster, destruktiver Krankheiten. Sie wird bei verschiedenen Arten von Drüsenkarzinomen (Brust, Hoden, Lymphom, Parotis) eingesetzt. Solche in der Homöopathie als „syphilitische Arzneien“ bekannten Mittel sollten nie undifferenziert, sondern immer streng nach Indikation eingesetzt werden. Jede destruktive Arznei hat bei unsachgemäßer Anwendung und besonderer Empfindlichkeit der Patientin auch die Fähigkeit, eine Erkrankung zu aktivieren.
Das Leitsymptom der Phytoloacca-Mastitis ist die steinharte, schmerzhafte Schwellung. Der Schmerzen schießt in den ganzen Körper und in der Axilla sind harte, große Lymphknotenpakete tastbar.

SCHLUSSFOLGERUNG: Homöopathische Arzneien sind nicht nebenwirkungsfrei. Besonders in der Geburtshilfe muss auf fachkundige homöopathische Betreuung geachtet werden, da am Fetus die unmittelbare Arzneiwirkung nicht gleich wahrnehmbar ist.

Wo Homöopathie angewandt wird, sollten homöopathisch ausgebildete Ärzte und/oder Hebammen tätig sein, denen die korrekte homöopathische Verordnung geläufig ist.
Die Gefahr der homöopathischen Behandlung besteht in zu häufigen Wiederholungen der nicht indizierten Arznei. Das führt zu unangenehmen Arzneimittelprüfsymptomen, die medizinische Interventionen nach sich ziehen, die allein durch Absetzen der Arznei vermeidbar gewesen wären.

1 Kooreman P., Baars E.W.: Patients whose GP knows complementary medicine tend to have lower costs and live longer. Health Economics in Prevention and CAre; published 2011 online, 10.1007/s10198-011-0330-2