In 50 bis 90 % aller Schwangerschaften treten Übelkeit und Erbrechen auf. Die Inzidenz der klinisch bedeutsamen Fälle von Hyperemesis gravidarum mit gesundheitlichen Risken allerdings liegt für die Mutter im einstelligen Prozentbereich (0,5 bis 2 %). Die Symptome treten etwa ab der 5. bis 6. Schwangerschaftswoche (SSW) auf und haben ihr Häufigkeitsmaximum um die 9. SSW. In den meisten Fällen sistieren die Beschwerden ab der 16. bis 20. SSW, in seltenen Fällen bleiben sie allerdings bis ins 3. Trimenon bestehen.
Wenn auch die Ätiologie der (Hyperemesis gravidarum) nicht völlig geklärt ist, gibt es verschiedene Theorien zur Pathogenese.
Psychosoziale Faktoren: Festzustehen scheint, dass es sich in den meisten Fällen um ein multifaktorielles Geschehen (Migrationshintergrund, Adipositas, Mehrlingsgravidität etc.) handelt, wobei neben somatischen auch psychosoziale Faktoren (ambivalente Haltung gegenüber der Schwangerschaft, soziale Probleme mit ungünstigem Umfeld etc.) von Bedeutung sind. Bei anamnestischen Hinweisen auf eine psychosoziale Genese ist eine begleitende psychotherapeutische (in Einzelfällen auch psychiatrische) Führung der Patientinnen, in idealer Weise ergänzt durch eine Betreuung durch Sozialarbeiter, indiziert.
Schilddrüse: Neben psychosozialen Faktoren wurden in der letzten Zeit zunehmend organisch-funktionelle Störungen artikuliert, wobei insbesondere eine Beteiligung des Endokriniums thematisiert wurde. In diesem Kontext scheint dem humanen Choriongonadotropin (hCG) eine wichtige Bedeutung zuzukommen. Diese Annahme wird von der Beobachtung gestützt, dass bei Patientinnen mit Schwangerschaftsübelkeit/Erbrechen zumeist hohe hCG-Spiegel nachzuweisen sind; unter anderem sind auch Mehrlingsschwangerschaften beziehungsweise Schwangerschaften mit Trophoblasterkrankungen (Blasenmole) deutlich häufiger mit Schwangerschaftsübelkeit/ Hyperemesis gravidarum assoziiert. Es wird vermutet, dass aufgrund der Ähnlichkeit zwischen hCG und TSH eine Kreuzreaktion besteht. Ein erhöhter hCG-Spiegel könnte demnach mit einer Steigerung der maternalen Schilddrüsenhormonproduktion verbunden sein, was physiologisch, vor allem im ersten Schwangerschaftsdrittel, zunächst durchaus sinnvoll scheint:
Hormone: Östrogen, Progesteron, adrenale und hypophysäre Hormone könnten ebenfalls eine Hyperemesis auslösen. Progesteron ist bei Patientinnen mit Hyperemesis erniedrigt oder erhöht. Eine Progesterontherapie verbessert aber nicht die Beschwerden. Östrogen wird mit einer Übelkeit unter Östrogenbehandlung assoziiert, sodass ein Zusammenhang zwischen Östrogen und Emesis angenommen wird.
Helicobacter pylori: Eine chronische Helicobacter- pylori-Infektion könnte ebenfalls für eine Hyperemesis gravidarum verantwortlich sein. In einer histologischen Evaluierung der Magenschleimhaut war dieser Erreger in fast 95 % der Hyperemesis-Patientinnen nachweisbar, im Kontrollkollektiv bei 50 %. In einer anderen Untersuchung fand sich in 61,8 % der Fälle mit Hyperemesis gravidarum (21 von 34 Patientinnen) das H.-pylori-Genom im Speichel im Vergleich zu 27,6 % in der Gruppe der unauffälligen Schwangeren. Dieser Zusammenhang scheint durch die Tatsache bestätigt, dass in 2 Beobachtungsstudien mit insgesamt 5 Patientinnen keine Besserung der Symptomatik mit der medikamentösen Standardbehandlung zeigten, wobei eine antibiotische Therapie gegen H. pylori zu einer deutlichen Verbesserung der Beschwerden führte.
Veränderungen der gastrointestinalen Motilität: Die gastrointestinale Motilität ist während der Schwangerschaft aufgrund von Progesteron eingeschränkt. Somit könnte die eingeschränkte Motilität zu einer Hyperemesis gravidarum führen bzw. beitragen.
Die Therapie muss den unterschiedlichen Ursachen des Erbrechens entsprechen. Eine sorgfältige Analyse der Beschwerdeursachen ist wegen der doch beträchtlichen Probleme, die aus der reduzierten Nahrungsaufnahme für Mutter und Fetus entstehen können, notwendig.
Endokrine Abklärung: Tatsächlich ergaben Untersuchungen, dass bei Schwangeren mit Hyperemesis ein erniedrigtes TSH sowie ein erhöhtes fT4 nachzuweisen ist. Bei bis zu einem Drittel dieser Frauen lässt sich eine Schilddrüsenfunktionsstörung im Sinne einer hyperthyreoten Stoffwechsellage verifizieren. Aus dieser Erkenntnis ergibt sich die Empfehlung, dass bei Fällen mit Schwangerschaftsübelkeit (Hyperemesis gravidarum), abhängig vom Schweregrad der Symptome, eine endokrine Abklärung sinnvoll ist: Die endokrine Stufendiagnostik beinhaltet in erster Linie die Bestimmung von TSH sowie fT3 und fT4. Bei pathologischen Werten sind zusätzlich die Schilddrüsen-TPO-Auto-Ak und auch die TSH-Rezeptor-Ak zu bestimmen.
Konsequenz aus diesen Befunden:
Diätetische Maßnahmen: In leichten Fällen von Übelkeit und Erbrechen genügen diätetische Maßnahmen. Empfohlen werden häufigere, kleinere Mahlzeiten, eine eiweiß- und fettarme Kost auf Kohlenhydratbasis sowie eine Pause bei der Einnahme von oralen Eisenpräparaten. Bei Fällen mit Hyperemesis gravidarum wird eine Therapie mit parenteraler Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution zur Normalisierung des Wasser- und Elektrolythaushalts notwendig sein. Durch parenterale Zufuhr von Vitaminen lassen sich Hypovitaminosen, die als Folge der Mangelernährung entstanden sind, ausgleichen. In schweren Fällen kann auch eine komplette parenterale Ernährung notwendig sein.
Weitere therapeutische Ansätze: In leichteren Fällen von Übelkeit und Erbrechen kann durch orale Medikation eine Besserung der Beschwerden erreicht werden, wobei in der einschlägigen Literatur eine Vielzahl von therapeutischen Empfehlungen abgegeben wird:
Zusammenfassung: Abschließend wird nochmals festgestellt, dass Schwangerschaftsübelkeit/ Erbrechen recht häufige und für die betroffenen Schwangeren sehr belastende Zustandsbilder darstellen. Nach Ausschluss einer Grunderkrankung, also insbesondere einer Schilddrüsenfunktionsstörung, einer hyperaziden Gastritis, einer Infektion mit Helicobacter pylori oder von galligem Reflux ist die adäquate Betreuung der Patientin, ergänzt durch diätetische Beratung und gegebenenfalls symptomatische Therapie viel versprechend. Frauen mit einer unkomplizierten Emesis gravidarum haben eine bessere fetale Prognose im Vergleich zum Normalkollektiv, einschließlich einer intrauterinen Wachstumsretardierung, Frühgeburtlichkeit und geringeren Abortneigung. Im Gegensatz dazu ist Hyperemesis gravidarum mit einem vermehrten Auftreten von Ösophagusrupturen (starkes Erbrechen), Mallory-Weiss-Syndrom (Druckerhöhung durch Erbrechen), Neuropathie, Pneumothorax, Präeklampsie sowie fetaler Wachstumsretardierung assoziiert.