Während im Normalfall für die Entwicklung eines Impfstoffs in etwa 13 Jahre anzusetzen sind, gehen Experten davon aus, dass, obwohl das Virus vor Jahresbeginn praktisch noch unbekannt war, bereits um die Jahreswende, spätestens jedoch im Frühjahr 2021 mit der weltweiten Zulassung von präventiv wirksamen Impfstoffen zu rechnen ist. Ein wichtiger Grund für die so rasche Entwicklung von Impfstoffen ist sicherlich die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI), eine bereits 2017 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos gegründete, öffentlich-private Non-Profit-Allianz zwischen Regierungen, der WHO, der EU-Kommission, von Forschungseinrichtungen, der Impfstoffindustrie und privaten Geldgebern (so u. a. der Bill & Melinda Gates Foundation) zum Aufbau von Netzwerken für die Entwicklung innovativer Impfstoffe gegen bislang unbekannte Pathogene. Durch die Bereitstellung von Milliarden Dollar wurde nun die Entwicklung völlig neuer Impfstofftypen möglich.
Im klassischen Ansatz enthält eine Vakzine als Antigen inaktivierte Viren (= Totimpfstoff) oder abgeschwächte Viren (= attenuierter Impfstoff), virale Proteine oder Hüllproteine von Viren. Dadurch werden Immunreaktionen mit der Bildung von Antikörpern und T-Zellen ausgelöst. Die Herstellungsprozesse dieser Impfstoffe sind allerdings sehr zeitaufwändig.
Als schnellere Lösung bieten sich nun genbasierte Impfstoffe (Vektor-, DNA- und mRNA-Impfstoffe) an, wobei das Konzept verfolgt wird, den Körper die Impfantigene selbst herstellen zu lassen. Sie unterscheiden sich voneinander in der Art der genetischen Information und wie diese in die Zellen gelangt.
Bei Vektorimpfstoffen wird das Genmaterial in für Menschen harmlose Trägerviren eingebaut, wobei es zwei verschiedene Ansätze gibt:
Die Entwicklung und Zulassung von Vektorimpfstoffen ist mit erheblichem Aufwand verbunden. Vor allem muss das Risikopotenzial des verwendeten Vektors identifiziert werden.
Im Gegensatz zu Vektorimpfstoffen enthalten DNA- und mRNA-Impfstoffe „lediglich“ ausgewählte Virusgene in Form von Nukleinsäuren, die den humanen Zellen als Bauanleitung dienen. Diese induzieren die Expression von beliebigen Antigenen und somit potente humorale und zelluläre Immunantworten. Die Fähigkeit, beide Arme des Immunsystems zu aktivieren, macht nukleinsäurebasierte Impfstoffe sehr attraktiv. Der Körper produziert das Antigen, wie eine Kopiermaschine, selbst, DNA- und mRNA-Impfstoffe können somit relativ schnell in großen Mengen produziert und – sollte der Erreger mutieren – auch abgewandelt werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass die mit den Impfstoffen übertragenen Gene mit dem natürlichen Abbau der Zellen wieder aus dem Körper verschwinden, während die Impfwirkung bleibt.
Die Impfstoffentwicklung fokussiert aktuell in erster Linie auf mRNA-Impfstoffe. Dass mRNA als Impfstoff grundsätzlich funktioniert, weiß man allerdings schon seit mehr als 30 Jahren. Für die pharmazeutische Nutzung und Optimierung dieses Prinzips war jedoch eine Vielzahl von wissenschaftlichen und technologischen Fortschritten notwendig. Ein weiterer Grund, warum es noch keinen zugelassenen mRNA-Impfstoff gibt, ist, dass Zulassungsstudien extrem teuer sind und durch die vergleichsweise kleinen Biotechnologie-Unternehmen allein nicht gestemmt werden konnten. Die Finanzierungsfrage hat sich nunmehr deutlich entschärft.
Die Zulassung von COVID-19-Impfstoffen ist eine Gratwanderung: Die Impfstoffentwicklung hat so schnell wie möglich zu erfolgen – ohne das Risiko einzugehen, dass der Impfstoff Schaden anrichtet bzw. die ersten Impfstoffe nicht die Erwartung hinsichtlich ausreichender und langanhaltender Immunreaktion erfüllen.
Der in den USA tätige österreichische Virologe Florian Krammer (Icahn School of Medicine at Mount Sinai/NY) stellte in einem Übersichtsartikel in „Nature“1 fest, dass erste Impfstoffe noch in diesem Jahr auf den Markt kommen werden.
Die drei Impfstoffe, die sich in der letzten Testphase befinden, sind ein Vektorimpfstoff (Oxford University/AstraZeneca, GB) und zwei mRNA-Impfstoffe (Moderna, USA bzw. BioNTech/Pfizer/Fosun Pharma, D).
Moderna und Pfizer sind mit der Impfstoffentwicklung am weitesten – beide Firmen starteten bereits im Juli mit Phase-III-Studien. Beim Impfstoff der Oxford Universität/AstraZeneca könnte es hingegen bis zum Jahresende dauern, ehe erste Dosen verfügbar sind. Dazu die European Medical Agency (EMA): „Wir werden einen Impfstoff erst dann freigeben, wenn alle Daten auf dem Tisch liegen“.