Kleines Impflexikon – Teil 5: Impfungen bei reduzierter Immunkompetenz

Bei Personen mit reduzierter Immunkompetenz liegt eine Störung der körpereigenen Abwehr gegen Infektionen vor, wobei im Einzelnen zwischen primären von sekundäre Defekten des Immunsystems zu unterscheiden ist:

  • Primäre Immundefekte sind angeborene Störungen der Funktion von Proteinen oder Zellen des Immunsystems, die durch einen Gendefekt bedingt sind.
  • Von einem sekundären Immundefekt spricht man bei einer (meist) vorübergehenden Einschränkung der Abwehr infolge von erworbenen Erkrankungen (z. B. Malignome), Infektionen (z. B. virale Infektionen wie HIV) sowie bei iatrogenen Ursachen (z. B. durch immunsuppressive Medikamente, Kortikosteroide, zytostatische Chemotherapie, Bestrahlung etc. oder Unfälle bzw. Verbrennungen).

Daher müssen Impfempfehlungen bei Personen mit eingeschränkter Immunkompetenz differenziert ausgesprochen werden, wobei in den meisten Fällen individuell für die einzelnen Patienten Impfstrategien zu erstellen sind.

Indikationsimpfungen: Generell ist – in unterschiedlichem Ausmaß – von einem erhöhten Risiko immundefizienter PatientInnen, an Infektionserkrankungen zu erkranken, auszugehen, wobei nicht selten das Risiko für einen schweren Verlauf besteht. Aus dieser Überlegung ergibt sich die Empfehlung zur Durchführung von individuell vorzunehmenden Indikationsimpfungen zusätzlich zu den allgemein empfohlenen Impfungen. Letztere sind unter Berücksichtigung von Kontraindikationen besonders wichtig, wobei allerdings der Impferfolg, d. h. der Schutz vor der jeweiligen Erkrankung, in Abhängigkeit von der im Einzelfall vorliegenden immunologischen Störung nicht immer vollständig erreicht wird. Ein Teilschutz durch die Impfung ist aber immer noch besser als gar kein Schutz, die Nutzen-Risiko-Abwägung fällt in jedem Fall zugunsten der Impfung aus.
Mit Ausnahme der Pertussisimpfung ist es grundsätzlich bei allen Impfungen möglich, den Impferfolg durch Messung des Titers der neutralisierenden Antikörper zu überwachen. Wichtig dabei ist aber nicht nur die Höhe des gemessenen Antikörpertiters, sondern auch die Stimulierbarkeit der beteiligten Zellen, wie sie sich z. B. in einem Titeranstieg nach einer Auffrischungsimpfung ausdrückt. Erwähnenswert ist außerdem, dass gerade bei immunsupprimierten bzw. immundefizienten Patientinnen die Art des verwendeten Adjuvans für die Immunantwort eine nicht unwesentliche Rolle spielen kann.

Was darf geimpft werden? Bei Personen mit gestörter Immunabwehr kann die Durchführung von Lebendimpfungen mit einem erhöhten Risiko für eine Impfreaktion verbunden sein, da sich lebende Impforganismen (z. B. attenuierte Viren) im Organismus der immundefizienten Person replizieren und z. B. bei fehlender zellmediierter Immunabwehr lebensbedrohliche Komplikationen auslösen können. Lebendimpfstoffe sind zwar nicht in gleichem Maße bei allen immunsupprimierten Personen kontraindiziert, wohl aber bei schwerer Immunsuppression (z. B. bei disseminiertem Malignom, antineoplastischer Chemotherapie, Knochenmarktransplantation, starker immunsuppressiver Therapie oder HIV-Infektion mit CD4- Zellzahl < 200/mm3). Bei leichter Immunsuppression (z. B. rheumatologischer Grunderkrankung, niedrig dosierter Kortikoidtherapie, Nierenerkrankung, Asplenie oder antineoplastischer Therapie, Diabetes mellitus oder HIV-Infektion mit CD-Zellzahlen > 200/mm3) ist häufig auch die Vakzination von Lebendimpfstoffen möglich. Totimpfstoffe sind grundsätzlich bei Personen mit Immundefizienz nicht mit einem besonderen Risiko assoziiert.
Die Kontrolle von Antikörpertitern nach Impfung mit Totimpfstoffen hat bei Personen mit Immunschwäche eine zusätzliche diagnostische Bedeutung, nämlich im Sinne einer Einschätzung der Schwere der Abwehrschwäche. Selbst bei niedrigen Titern von zirkulierenden spezifischen Antikörpern kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein gewisser Impfschutz vorhanden ist.


ABSCHLIESSEND sei noch angemerkt, dass für immundefiziente bzw. immunsupprimierte Personen insbesondere Infektionen durch Influenza oder Pneumokokken eine Gefährdung darstellen und dass der Umgebungsprophylaxe (Herdenimmunität) besondere Bedeutung zukommt.