In der Schweiz wurden Empfehlungen zur forensisch-medizinischen Untersuchung für erwachsene Opfer nach sexueller Gewalt (Schweiz Med Forum 2009; 9 [7]:147-150) von der Arbeitsgruppe „Gewalt gegen Frauen und Kinder“ der Schweizerischen Gesellschaft für Rechtsmedizin publiziert. Es wird der Wunsch nach Standardisierung der Untersuchung, die meist von Gynäkologinnen durchgeführt wird, geäußert. Die Empfehlungen basieren auf den Richtlinien der WHO („Guidelines for medico-legal care for victims of sexual violence“), die 2003 publiziert wurden. Der Untersuchungsgang zur Spurensicherung und Verletzungsbegutachtung ist beschrieben. Die Autoren empfehlen ein Zeitfenster vom Übergriff zur Spurensicherung von 72 Stunden. Die Untersuchung soll so schonend wie möglich und ohne Zeitdruck ablaufen. Eine Strafanzeige stellt keine Voraussetzung zur Spurensicherung dar. Der Untersucher soll eine Fachperson aus dem gynäkologischen oder rechtsmedizinischen Bereich sein. Es empfiehlt sich die Verwendung eines Untersuchungskits mit einem entsprechenden Untersuchungsprotokoll. Eine schriftliche Einverständniserklärung der Geschädigten sollte zuvor eingeholt werden. Danach folgt eine Anamneseerhebung. Die ärztliche Meldepflicht hängt vom Grad der Verletzung und der weiteren Gefährdung ab oder wenn der Verdacht auf eine Serientäterschaft besteht und ist kantonal geregelt.
Danach folgt eine Anamneseerhebung ohne Suggestivfragen zum Tathergang. Die eigentliche Befragung ist Aufgabe der Polizei. Ein vorliegendes polizeiliches Protokoll unterstützt den Ablauf der Untersuchung.
Die körperliche Untersuchung soll durch eine Frau oder einen Mann in Anwesenheit einer Drittperson durchgeführt werden. Getragene Wäsche wird in Papiersäcke übernommen. Für Ersatzkleidung sollte gesorgt werden. Zuerst wird der Oberkörper inspiziert, danach wird die Untersuchung des Unterkörpers vorgenommen, um eine vollkommene Nacktheit zu vermeiden. Bei der gynäkologischen Untersuchung wird die Traktionsmethode einer instrumentellen Untersuchung vorangehen. Eine Ballonkatheteruntersuchung sowie eine Kolposkopie mit Toluidinblau-Färbung des Genitales kann bei der Abklärung hilfreich sein. Die Inspektion des Anus wird in Linksseitenlage mit angezogenen Beinen empfohlen. Bei der fotografischen Dokumentation wird die Verletzung in der Übersicht und im Detail mit Maßstab dokumentiert.
Die Asservation von Spuren erfolgt gemäß forensischen Prinzipien mittels Wattetupfern, die mit steriler Kochsalzlösung befeuchtet werden. Die Wattestäbchen werden in einem sterilen Transportbehälter, der Trocknung gewährleistet, aufbewahrt. Weiters werden Infektionsabstriche für Bakterien, Chlamydien, HPV und Gonokokken abgenommen. Eine Urin- und Blutabnahme zum Ausschluss von Betäubungsmittel-, Medikamenten- und Alkoholkonsum wird empfohlen. Eine serologische Abklärung von HIV, Hepatitis B und C sowie Lues und Chlamydien wird angeboten. Die Behandlung von Verletzungen und Infektionskrankheiten erfolgt im klinischen Setting. An eine postkoitale Verhütung sollte gedacht werden. Eine Postexpositionsprophylaxe (PEP) zur Vorbeugung einer HIV- und Hepatitisinfektion sollte innerhalb von 72 Stunden erfolgen.
Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe hat in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht 6/2009 eine Leitlinie zur ärztlichen Gesprächsführung, Untersuchung und Nachbetreuung von Frauen nach mutmaßlicher sexueller Gewaltanwendung publiziert. Diese ist im AWMF-Leitlinienregister abrufbar. Auch hier wird die sofortige Untersuchung der Anzeige vorausgestellt. In den allgemeinen Informationen für den Arzt finden eine kurze Wartezeit, eine einschlägige Erfahrung des Untersuchers, eine einfühlsame Untersuchungssituation, eine hochwertige Fotodokumentation und eine interdisziplinäre Abklärung oder Versorgung der geschädigten Person ihre Auflistung. Zur Anzeige und Schweigepflicht folgen die gesetzliche Grundlagen. Bei der Probenentnahme wird eine Blut- und Urinprobe in Hinblick auf „K.o.-Tropfen“ empfohlen. Einmalhandschuhe und Mundschutz werden bei der Spurensicherung angewendet. Die weitere Versorgung des Materials zur Spurensicherung wird beschrieben und eine entsprechende Nachsorge der Patientin angeführt. Besteht eine Gefährdung der Patientin oder Suizidgefahr, wird eine stationäre Weiterbetreuung empfohlen. Auch in dieser Leitlinie findet die „Pille danach“ und HIV-PEP ihren Niederschlag. Ambulanten Patientinnen sollte Informationsmaterial zur weiteren Betreuung ausgehändigt werden. In der Anlage zur Leitlinie finden sich Informationen zum Untersuchungs-Set, zu K.o.-Tropfen und deren Nachweis sowie eine Übersicht der Dokumentationsunterlagen zur Untersuchung bei sexueller Gewalt in Deutschland.
In der Leitlinie der Österreichischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (OEGGG) bei Verdacht von Sexualdelikten (Loimer et al., 2001) finden sich die Untersuchungsschritte nach sexueller Gewalt mit Beschreibung der Verletzungen und Einschätzung der Gefährdung der Betroffenen. Eine Zusammenstellung der rechtlichen Grundlagen und des Untersuchungsablaufs zur Spurensicherung in Form einer Checkliste sowie eine Anamnese, die nach dem Tathergang und aktuellen Beschwerden ausgerichtet ist, wurde publiziert. Der letzte Abschnitt beschäftigt sich mit der Beratung und weiteren Behandlung der Patientin, der einen Absatz zur HIV-PEP einschließt.
ZUSAMMENFASSUNG: Eine Vereinheitlichung des Untersuchungsablaufs mit Hilfe von Checklisten und Untersuchungskits nimmt der für das Betreuungsteam oft sehr emotionalen Situation ihre organisatorische Spannung. Damit wird bedachtes und einfühlendes Vorgehen möglich. Je exakter und forensisch professioneller das Setting, umso weniger traumatisch wird die erforderliche Spurensicherung und Verletzungsdokumentation ablaufen. Es steigt die Brauchbarkeit der Untersuchung für weitere gerichtliche Schritte und erspart dem Opfer eine weitere Begutachtung.