Neue Wege im Brustkrebsscreening – Das Tiroler Modell

Jährlich erkranken ca. 4.600 Österreicherinnen an Brustkrebs, 1.500 Frauen sterben daran. Durch ein systematisiertes Screening von Frauen könnte laut internationaler Literatur die mit Brustkrebs assoziierte Mortalität in der Gruppe der 50- bis 69-jährigen Frauen um 20–30 % gesenkt werden. In Österreich ist die Mammographie als von den Krankenversicherungen bezahlte Vorsorgeuntersuchung breit verfügbar. Da screeningspezifische Daten fehlen, ist man, was den Erfolg des opportunistischen Screenings betrifft, auf Schätzungen und Mutmaßungen angewiesen. Allerdings gehört Österreich zu den europäischen Ländern mit der höchsten Inanspruchnahme der Mammographie (53 % Mammographierate laut EuroBarometer 2007, EU-Schnitt: 31 %) und mit der höchsten Mortalitätsreduktion seit Ende der 1990er-Jahre.

„Mammographie Screening Modell Tirol“

Das Tiroler Referenzprojekt setzte auf dem bereits seit 1988 etablierten regionalen Vorsorgekonzept der Krankenversicherungsträger auf. Als populationsbasiertes Programm startete das Mammographie Screening Modell Tirol zunächst am 1. Mai 2007 in den Bezirken Innsbruck-Stadt und Innsbruck-Land und am 1. Mai 2008 in allen Tiroler Bezirken.

Einladungssystem: Eingeladen werden alle sozialversicherten Frauen mit Hauptwohnsitz in Tirol zwischen 40 und 59 Jahren (jährlich) bzw. zwischen 60 und 69 Jahren (2-jährlich), die Screeningpopulation beträgt 123.000 Frauen.
Das Einladungsmanagement wird von der Tiroler Gebietskrankenkasse abgewickelt. Die Frauen in der Zielgruppe erhalten zeitlich gestaffelt ein persönliches Einladungsschreiben, ein bestimmter Termin oder eine Screeningeinheit wird nicht vorgegeben. Die Zuweisung zur Screeninguntersuchung erfolgt durch die praktische Ärztin bzw. den praktischen Arzt oder die Gynäkologin bzw. den Gynäkologen, die auch eine schriftliche Benachrichtigung über das Screeningergebnis erhalten.

Untersuchungen: Für die Screeninguntersuchungen werden 13 niedergelassene Radiologen und 9 radiologische Krankenhausabteilungen eingesetzt, die im Median 3.200 Screenings pro Jahr durchführen. Alle teilnehmenden Screeningradiologen haben das „Qualitätszertifikat Mammadiagnostik“ der Bundesfachgruppe Radiologie der Österreichischen Ärztekammer (BURA) und der Österreichischen Röntgengesellschaft (ÖRG) erworben. Die Abklärung aller mit BIRADS III–V klassifizierten Läsionen erfolgt in 8 definierten Assessmentzentren in Tiroler Krankenanstalten, mit dem EUSOMA-zertifizierten Brustzentrum der Univ.-Klinik Innsbruck als Referenzzentrum.

Evaluierung: Um eine eigenständige Evaluierung des Screeningprogramms durchführen zu können, wurde am Institut für Epidemiologie (IET) der TILAK eine Screeningdatenbank aufgebaut. Die Datenübermittlung aus den Screening- und Assessmenteinheiten erfolgt pseudonymisiert auf elektronischem Weg. Durch Abgleich mit dem ebenfalls am IET betriebenen Tiroler Tumorregister können alle erforderlichen Qualitätsdaten generiert und jährliche Evaluationsberichte nach den Vorgaben der „European Guidelines for Breast Cancer Screening and Diagnosis“ erstellt werden, wodurch ein Benchmarking mit allen europäischen Screeningprogrammen möglich ist.

Ergebnisse: Die 1-Jahres-Teilnahmerate lag trotz des relativ geringen Marketingaufwands für das Programm bei 36 %, die 2-Jahres-Teilnahmerate lag bei 57 %. Die bisher vorliegenden Evaluierungsergebnisse der Jahre 2007 bis 2009 zeigen für alle wichtigen Qualitätsparameter deutlich bessere Werte, als von den europäischen Leitlinien gefordert (Tab. 1 und 2).
Bemerkenswert ist, dass aufgrund der besonderen Organisationsstruktur die Wiedereinbestellungsrate nach der Screeninguntersuchung nur 1,4 % betrug und dass die Wartezeit auf das Assessment bei 91 % aller Frauen mit einem Karzinom bei maximal 5 Werktagen lag.

Besonderheiten des Modells Tirol

Zielgruppe: Während herkömmliche Screeningprogramme Frauen ab dem 50. Lebensjahr üblicherweise in 2-jährigen Intervallen zu einer Mammographieuntersuchung einladen, wurde in Tirol ein 1-jähriges Screeningintervall vom 40. bis zum 59. Lebensjahr gewählt. Frauen vom 60. bis zum 69. Lebensjahr werden auch in Tirol in 2-jährigen Abständen zum Screening eingeladen. Rationale für den früheren Beginn der Screeninguntersuchungen war die Beobachtung, dass gerade in der Altersgruppe zwischen 40 und 49 Jahren in den vergangenen Jahren die größte Reduktion der Brustkrebssterblichkeit erzielt werden konnte. Die Tatsache, dass diese mit einem ebenfalls überproportional steilen Anstieg der frühen Tumorstadien einherging, legt nahe, dass diese erfreuliche Entwicklung zumindest zum Teil dem opportunistischen Mammographiescreening zu danken war.

Organisationsstruktur: Organisierte Screeningprogramme geben üblicherweise Zeit und Ort der Screeninguntersuchung vor. Im Mammographiescreening Modell Tirol kann die Bürgerin die Screeningeinrichtung, bei der sie die Untersuchung durchführen lassen will, selbst bestimmen, sie benötigt dazu allerdings eine Zuweisung. Die Vorteile dieser Vorgehensweise liegen in der größeren Autonomie der Bürgerin und damit in einer besseren Akzeptanz des Screenings. Die Einbeziehung der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte fördert die Unterstützung der Screeninganstrengungen und erhöht die Sicherheit im Fall eines suspekten Befundes. Im Gegensatz zu den EU-Leitlinien werden im Tiroler Pilotprojekt bisher keine Doppelbefundungen von Mammographieaufnahmen durchgeführt. Die technische Qualitätssicherung und die Schulungsmaßnahmen für alle beteiligten Berufsgruppen erreichen ebenfalls nicht das in den Leitlinien geforderte Ausmaß. Da es wesentliches Ziel des Projekts war, im Sinne eines Referenzprojekts das bestehende System unter Screeningbedingungen zu evaluieren, wurden diese Maßnahmen bisher nicht umgesetzt.

Additive Sonographie: In zahlreichen klinischen Studien wurde nachgewiesen, dass bei Frauen mit dichtem Brustdrüsenkörper zwischen 15 % und 34 % der Karzinome nur im Ultraschall, nicht aber in der Mammographie nachweisbar sind. Die schlechte Sensitivität der Mammographie bei jüngeren Frauen mit dichtem Brustgewebe ist auch – neben einer niedrigeren Inzidenzrate – der wesentliche Grund dafür, dass Mammographie- Screeningprogramme in der Altersgruppe unter 50 Jahren weniger effizient sind.
Da vieles darauf hindeutet, dass insbesondere jüngere Frauen von einer zusätzlichen Ultraschalluntersuchung profitieren, wurde die additive Sonographie im Mammographiescreening Modell Tirol zugelassen. Die ab dem zweiten Pilotjahr erfolgte getrennte Erfassung der Ultraschallergebnisse soll da – rüber hinaus Aufschluss darüber geben, ob das Verhältnis von Nutzen, Risiken und Kosten den Einsatz der Sonographie in einem späteren regulären populationsbasierten Screeningprogramm rechtfertigt. Erste Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Sensitivität der Karzinomdiagnostik beim Dichtegrad ACR 3 und 4 durch die additive Sonographie auf Kos – ten eines moderaten Anstiegs der Biopsierate signifikant gesteigert wird.

ZUSAMMENFASSUNG: Das Referenzprojekt Mammographie Screening Modell Tirol zeigt, dass ein dezentral organisiertes regionales Screeningprogramm unter Nutzung bestehender Strukturen in Bezug auf Prozess- und Ergebnisqualität mit den zentralistischen Programmen nach europäischen Leitlinien absolut vergleichbar und in Hinblick auf Akzeptanz in der Bevölkerung und Prozessqualität sogar deutlich überlegen ist. Das Tiroler Modell kann daher ein wichtiger Impulsgeber für die Etablierung eines „österreichischen Weges“ im Screening sein.

 

* nach einem Vortrag im Rahmen des Symposiums „Herausforderungen der modernen endokrinen Therapie“ der Österreichischen Gesellschaft für Senologie anlässlich der 31. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Senologie in Dresden (23.–25. Juni 2011)

 

Literatur:

Oberaigner W., Buchberger W., Frede T., Knapp R., Marth C., Siebert U.: Breast cancer incidence and mortality in Tyrol/Austria after fifteen years of opportunistic mammography screening. BMC Public Health 2010; 10 (1):86

Oberaigner W., Buchberger W., Frede T., Daniaux M., Knapp R., Marth C., Siebert U.: Introduction of organised mammography screening in tyrol: results of a one-year pilot phase. BMC Public Health 2011; 11:91

Autier P., Boniol M., LaVecchia C., Vatten L., Gavin A., Héry C., Heanue M.: Disparities in breast cancer mortality trends between 30 European countries: retrospective trend analysis of WHO mortality database. BMJ. 2010; 341: c3620

Nothacker M., Lelgemann M., Giersiepen K., Weinbrenner S.: Evidenzbericht zur S-3- Leitlinie Brustkrebsfrüherkennung in Deutschland. Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin (2008), Band 31