Das Team des Gynmed Ambulatorium für Schwangerschaftsabbruch und Familienplanung in Wien und Salzburg engagiert sich seit über 15 Jahren im Bereich der reproduktiven Gesundheit. Einen wesentlichen Schwerpunkt stellen wissenschaftliche Untersuchungen dar, die dazu beitragen, ungewollte Schwangerschaften zu verhindern und Menschen dabei zu unterstützen, die individuell gewünschte Anzahl an gewollten Kindern zu verwirklichen.
Im Jahr 2012 und 2015 wurden die ersten repräsentativen Untersuchungen zu Verhütung in Österreich durchgeführt, welche die Grundlage für eine evidenzbasierte Prävention ungewollter Schwangerschaften darstellen.
Mit der vorliegenden Studie (1.782 Befragte) wurden nicht nur Trends erhoben, wie oft verhütet wird, welche Verhütungsmethoden Frauen und Männer in Österreich anwenden, warum viele nicht verhüten und was sich Menschen in Bezug auf Verhütung wünschen. Zusätzlich wurden auch neue Entwicklungen analysiert, wie z.B. das Ausmaß und die Hintergründe der zunehmenden Hormon-Skepsis. Es wurde auch erfasst, wie Menschen die natürliche Fruchtbarkeit einschätzen und auf Basis welcher Überlegungen sie sich für eine bestimmte Verhütungsmethode entscheiden. Dies ermöglicht ein Verständnis des aktuell beobachtbaren „Verhütungs-Paradoxons“: Dieses beschreibt eine anhaltend hohe Rate an Schwangerschaftsabbrüchen trotz einer bisher noch nie dagewesen hohen Anzahl an sehr wirksamen Verhütungsmethoden.
Ferner wurde erfasst, wie Männer ihre eingeschränkte Kontrolle der Fruchtbarkeit empfinden und was Frauen darüber denken. Erstmals wurde auch die Verhütung von Personen mit Migrationshintergrund genauer untersucht.
Ausgewertet wurden die Antworten von 881 Frauen und 901 Männern im Alter von 16–49 Jahren. Diese Stichprobe ist repräsentativ für Österreich.
Zufriedenheit mit der eigenen Sexualität: Die meisten Frauen (83 %) und Männer (89 %) sind mit ihrer Sexualität zufrieden. 20–30-Jährige und Menschen in einer stabilen Beziehung – besonders im ersten – Jahr haben eine besonders hohe Zufriedenheit. Deutlich unzufriedener sind Jugendliche und diejenigen, die mithilfe einer Methode der Selbstbeobachtung („natürliche Verhütung“) verhüten.
Die natürliche Fruchtbarkeit wird viel zu niedrig eingeschätzt: 23 % der Befragten glauben, eine Frau würde ohne Verhütung nur etwa 0–3 Mal im Leben schwanger werden. 40 % gehen von 4–7 Schwangerschaften aus, 24 % von 8–11 Schwangerschaften und nur 13 % liegen mit 12–15 Schwangerschaften richtig (Abb. 1). Diese Fehleinschätzung des Ausmaßes der natürlichen Fruchtbarkeit ist einer der Gründe für die geringe Anwendung wirksamer Verhütungsmethoden.
Wer verhütet? Im letzten Jahr haben 78 % der Befragten selbst oder deren PartnerInnen verhütet. Die höchste Rate derjenigen, die verhüten, ist unter den 20–39-Jährigen (84 %) zu finden, die niedrigste bei den über 40-Jährigen und den unter 20-Jährigen. Ferner nimmt die Verhütung mit steigender Bildung zu. Der in den letzten Jahren zu beobachtende Rückgang in der Anwendung von Verhütungsmethoden ist wieder fast ausgeglichen. Während im Jahr 2012 noch 77 % der ÖsterreicherInnen angegeben haben, im letzten Jahr verhütet zu haben, waren es 2015 nur noch 72 % und im aktuellen Report wieder 78 %.
Wie wird verhütet? Das mittelmäßig wirksame Kondom ist mit 38 % das am häufigsten angewendete Verhütungsmittel in Österreich – besonders bei Jugendlichen (16–20 Jahre) (56 %) und bei jungen Erwachsenen im Alter von 21–29 Jahren (46 %). Unter den wirksamen Methoden führt mit 34 % nach wie vor die Pille – unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen sogar mit 52 %. Sehr wirksame Methoden werden deutlich seltener angewendet, gewinnen aber mit zunehmendem Alter an Bedeutung: Hormonspirale 6 %, Vasektomie (Sterilisation des Mannes) 4 %, Kupferspirale 4 %. Ähnlich selten werden die wenig wirksamen Methoden angewendet: Coitus interruptus 5 %, Tagezählen 3 %, Selbstbeobachtung (‚„natürliche Verhütung“) 3 %.
Personen mit Migrationshintergrund (1. Generation) wenden deutlich seltener wirksame Methoden an als Personen, die in Österreich geboren wurden (40 % vs. 58 %).
In den letzten Jahren ist die Anwendung der wirksamen hormonellen Methoden von 60 % (2012) auf 48 % (aktuell) zurückgegangen (Abb. 2). Dieser Rückgang wurde nur marginal durch eine häufigere Anwendung wirksamer nicht hormoneller Methoden ausgeglichen von 8 % auf 10 %.
Wer verhütet nicht und warum? 22 % der ÖsterreicherInnen verhüten nicht. Die häufigsten Gründe sind mit 6 % ein bestehender Kinderwunsch, was eine leichte Zunahme gegenüber 2015 darstellt, sowie die Angabe, keinen oder nur selten Sex zu haben (5 %), deutlich weniger häufig als noch 2015 (11 %). Für Personen mit Migrationshintergrund (1. Generation) sind die Kosten der häufigste Grund fürs Nicht-Verhüten (6 %).
Langzyklus – Wissen, Anwendung und Gründe für Nicht-Anwendung: 90 % der Frauen, die mit Pille, Ring oder Pflaster verhüten, wissen über die Möglichkeit der kontinuierlichen Anwendung im sogenannten Langzyklus Bescheid. Junge Frauen (16–20 Jahre), die häufig an Regelschmerzen leiden und von der Möglichkeit einer selteneren Regelblutung stark profitieren würden, wissen seltener darüber Bescheid (84 %) als Frauen zwischen 40–49 Jahren (95 %). Frauen, denen der Langzyklus bekannt ist, wenden diesen aber nur in 22 % fast immer und in 26 % gelegentlich an. Seit 2012 sind diese Zahlen konstant. Die Mehrheit von 52 % löst weiterhin jeden Monat künstlich eine Blutung aus. Der Grund dafür ist nur in 21 % der eigene Wunsch nach einer monatlichen Blutung. 69 % der Frauen glauben, dass dies besser für ihren Körper sei, und immerhin 25 % wurde dies von ihrem Arzt oder ihrer Ärztin geraten. (siehe auch www.periodenfrei.info).
Hormonskepsis – Vermeidung hormoneller Methoden: Seit einigen Jahren gibt es einen Trend, Hormone zur Verhütung abzulehnen. Für 60 % der befragten Frauen ist eine hormonfreie Verhütung sehr wichtig bis wichtig (Abb. 3). Diese Ablehnung ist über alle Untergruppen etwa gleich häufig zu beobachten.
37 % der Frauen vermeiden hormonelle Verhütungsmittel aus Sorge vor Nebenwirkungen. Unter denjenigen Frauen, die wenig wirksam (nicht hormonell) verhüten, sind dies 72 %, während es unter Frauen, die wirksam verhüten (mit oder ohne Hormone), nur 19 % sind.
Frauen, denen die Wirksamkeit ihrer Verhütung am wichtigsten ist, fällt die Entscheidung für eine geeignete Verhütungsmethode signifikant leichter als Frauen, die nicht in ihren Körper eingreifen möchten (71 % zu 53 %).
Diese Ergebnisse zeigen, dass sich viele Frauen in einem Dilemma befinden: Einerseits möchten sie ihre natürliche Fruchtbarkeit begrenzen, gleichzeitig möchten sie dafür nicht in den Körper „eingreifen“. Das führt dazu, dass seltener und deutlich weniger wirksam verhütet wird.
Verhütung für Männer: 39 % der Männer würden eine wirksame reversible Methode anwenden, wenn es eine solche gäbe, 40 % sind sich nicht sicher und 21% lehnen dies ab.
Wünsche für eine bessere Verhütung – Kostenübernahme von Langzeitmethoden: Die wirksamsten Methoden sind Langzeitmethoden (z. B. die Hormonspirale, die Kupferspirale oder das Hormonstäbchen/Implantat). Diese schützen über viele Jahre, allerdings fallen alle Kosten am Beginn an, was für viele eine Hürde darstellt. Bei einer Kostenübernahme würden 56 % aller Befragten auf eine Langzeitmethode wechseln, bei Frauen sind es 59 % und bei jungen Frauen unter 20 Jahren sogar 73 % (Abb. 4).
Was wünschen sich Frauen und Männer für die Zukunft: Zur Verbesserung der Verhütung steht für Frauen ein kostenloser Zugang zu Verhütung an erster Stelle. Männer wünschen sich in erster Linie, mehr Verhütungsmethoden zur Auswahl zu haben, die sie selbst anwenden können. Diese Forderung nach mehr Methoden für Männer hat auch für Frauen eine große Wichtigkeit und findet sich auf Platz 2, gemeinsam mit dem Wunsch nach mehr öffentlicher Information über Verhütung. Letzteres ist bei Männern ebenfalls auf Platz 2. Auf Platz 3 steht für beide der Wunsch nach mehr Verhütungsberatung durch Ärzte und Ärztinnen.
Der Trend zu weniger wirksamer Verhütung hält weiter an: Treibende Kraft ist eine Skepsis gegenüber hormoneller Verhütung, welche mehr als 50 Jahre nach der Entdeckung der Pille weit verbreitet ist. Dieses Phänomen kann mit dem Fehlen eigener Erfahrungen mit den Folgen der natürlichen Fruchtbarkeit erklärt werden – sowie mit der damit verbundenen fatalen Fehleinschätzung der Schwangerschaftsanzahl im Leben einer Frau ohne Verhütung (Abb. 1), die mitverantwortlich ist, dass sich Österreich auch im negativen europäischen Spitzenfeld bei Schwangerschaftsabbrüchen befindet. Diese falsche Vorstellung über das Ausmaß der natürlichen Fruchtbarkeit erklärt unter anderem die geringe Motivation vieler Menschen, sich wirksam vor ungewollten Schwangerschaften zu schützen, obwohl heute eine noch nie dagewesen große Zahl an sehr wirksamen Verhütungsmethoden zur Verfügung steht.
Für die Prävention bedeutet dieses Verhütungsparadoxon einen Paradigmenwechsel: Es genügt nicht, faktische Informationen über die verschiedenen Methoden zu vermitteln, sondern es muss in erster Linie das Bewusstsein dafür geschärft werden, dass diese Methoden während der vielen fruchtbaren Jahre konsequent angewendet werden müssen, sofern kein Kinderwunsch besteht.
Hohe Kosten für die wirksamen Verhütungsmethoden als Hürde: Angesichts der zunehmenden Migration ist es von Bedeutung, auch die unterschiedlichen Bedürfnisse von Menschen einzubeziehen, die außerhalb von Österreich geboren wurden. Die deutlich schlechtere Verhütung von Personen mit Migrationshintergrund (1. Generation) ist konsistent und wird bestätigt durch die häufigeren Schwangerschaftsabbrüche.1 Gerade für diese Frauen sind die hohen Kosten für die wirksamen Verhütungsmethoden oftmals eine unüberwindbare Hürde und ein wesentlicher Grund für die schlechtere Verhütung.
Die Ergebnisse dokumentieren das anhaltende Desinteresse der österreichischen (Ge-sundheits-)Politik, die Prävention ungewollter Schwangerschaften wirksam – entsprechend dem selbstverständlichen Standard der meisten anderen westeuropäischen Länder – zu fördern. Das erwartbare Ergebnis ist eine unnötig hohe Anzahl an ungewollten Schwangerschaften und folglich Schwangerschaftsabbrüchen. Ferner hat Österreich eine der niedrigsten Geburtenraten in Westeuropa. Die meisten Menschen wünschen sich zwar mehr Kinder, jedoch setzen sie dies nicht um bzw. revidieren ihren Kinderwunsch nach dem ersten Kind.2
Die Ergebnisse der Umfrage bestätigen, dass folgende Maßnahmen notwendig sind, die von Fachkräften schon lange eingefordert werden die im übrigen Westeuropa seit Jahrzehnten selbstverständlich sind:
Der „Österreichische Verhütungsreport 2019“ mit allen Detailergebnissen steht online mit Download-Möglichkeit unter: www.verhuetungsreport.at zur Verfügung, auch die Grafiken als ppt.