Gerade die Knochenbrucherkrankung Osteoporose bietet sich beispielhaft zur Diskussion von Gender-Aspekten an. Der Osteoporoseexperte und Rheumatologe Prim. Univ.-Prof. Dr. Johann Bröll, Vorstand des Rheuma-Zentrums Wien-Oberlaa, äußerte sich im Interview zu Fragen um geschlechtsspezifische Awareness, Diagnostik und Therapie im Zusammenhang mit der Volkskrankheit.
Prim. Univ.-Prof. Dr. Johann Bröll: Dieses Bild ist verzerrt von der quantitativ dominierenden östrogenmangelbedingten postmenopausalen Osteoporose, die es beim Mann natürlich nicht geben kann. Die Östrogene spielen im Knochenstoffwechsel des Mannes auch eine wichtige Rolle, aber es kommt nicht so wie bei der Frau zu einem abrupten Östrogenabfall mit Osteoporose um das 60. bis 65. Lebensjahr im Gefolge. Das Risiko ist auch von der Östrogenexpositionszeit der Frau abhängig: ist diese vermindert, hat sie auch weniger Knochenschutz und ist gefährdeter. Diese Form der Osteoporose würde ich im Sinne des Gonadenausfalls durchaus als sekundäre Osteoporose bezeichnen.
Es gibt aber auch primäre Osteoporosen, etwa die so genannte kryptogenetische oder juvenile Osteoporose, eine seltene Erkrankung, die um das 30. bis 35. Lebensjahr herum auftritt, da sind Männer ungefähr gleich häufig befallen. Auch seltene Osteoporosefälle bei Kindern kommen vor.
Prinzipiell sind Männer weit häufiger betroffen, als gemeinhin angenommen wird. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass in einer osteoporotischen Fachambulanz jeder 6. Osteoporose-Patient männlich ist.
Genderspezifisch gesehen hat der Mann einfach „mehr“ Knochen, ungefähr 40 % mehr Knochenmasse als die Frau, ist also schon von der Knochenarchitektur her unter physiologischen Bedingungen besser gegen Frakturen gewappnet.
Bei den so genannten Osteoporosen mit erkennbarer Ursache, den sekundären Osteoporosen, ist der Anteil beim Mann weit größer als bei den Frauen. Mit einem erhöhten Osteoporoserisiko assoziierte Erkrankungen sind etwa die rheumatoide Arthritis, chronische Lebererkrankungen, auch chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa und M. Crohn, Laktoseintoleranz, Schilddrüsenerkrankungen – Hyperthyreose stellt die häufigste sekundäre Osteoporoseursache dar, ist aber bei Männern seltener als bei Frauen. Bei manchen Erkrankungen entsteht das Osteoporoserisiko durch die notwendige medikamentöse Therapie: Immunsuppression bei Autoimmunerkrankungen oder antihormonelle Therapie beim Prostatakarzinom. Auch bei Frauen gibt es sekundäre Osteoporosen, aber die postmenopausale Osteoporose ist die weitaus häufigste Form.
Nicht vergessen darf man in diesem Zusammenhang die zunehmende Verordnung von Medikamenten, die mit einem erhöhten Osteoporoserisiko behaftet sind: etwa Anti-Parkinson-Mittel, Psychotika, bestimmte Antidepressiva, Kortison, Protonenpumpeninhibitoren in flächendeckender Verbreitung oder NSAR.
Es gibt natürlich auch ein Awarenessproblem. Bei den Frauen sind die Ärzte mittlerweile schon sehr sensibilisiert. Bei den Männern weniger, obwohl es ist in letzter Zeit schon besser geworden ist. Vor 30 Jahren wurde die Osteoporose beim Mann nur am Rande wahrgenommen, bis man dann die wesentliche sozialmedizinische Dimension der männlichen Osteoporose erkannt hat.
In Österreich wird bei Männern mit 70, bei Frauen mit 65 erstmals eine Densitometrie erstattet. Bei den Frauen ist mit das zu spät, aus meiner Einschätzung wären 60 eine vernünftigere Altersgrenze. Beim so genannten FRAX-Tool, das zusätzlich für die Abschätzung des 10-Jahres-Risikos für eine osteoporotische Fraktur Anwendung findet, fließt auch das Geschlecht in die Berechnung mit ein.
Die Aussagen aus den Studien zur postmenopausalen Osteoporose sind natürlich nicht direkt für die Männer verwertbar. Für die Zulassung von Medikamenten zur Therapie der männlichen Osteoporose gibt es zwar deutlich weniger, jedoch mittlerweile ebenfalls suffiziente Daten aus kontrollierten, randomisierten, doppelblinden Studien. Das hat sicher damit zu tun, dass mit dem Wissen um die bedeutende sozialmedizinische Dimension der männlichen Osteoporose auch das Interesse der Industrie geweckt wurde. An einer der ersten Studien zur Therapie der männlichen Osteoporose mit dem oralen Bisphosphonat Alendronat (Orwoll et al., N Engl J Med 2000) war übrigens der derzeitige Präsident der ÖGKM, Prof. Pietschmann, als Koautor beteiligt. Zugelassen zu Therapie der Osteoporose beim Mann sind darüber hinaus Risedronat, Zoledronsäure, das Parathormonfragment Teriparatid und der RANKL-Antikörper Denosumab. Nachdem auch parenterale und niederfrequente Optionen, etwa Zoledronsäure mit der 1-mal jährlichen Verabreichung, zur Verfügung stehen, sehe ich auch für eine Therapieindividualisierung bei Verträglichkeits- und Complianceproblemen unter den oralen Bisphosphonaten kein Hindernis. Die parenteralen Bisphosphonate sind natürlich unter diesem Aspekt ebenso für die männliche wie auch für die weibliche Osteoporose sinnvoll.
Bei der niederfrequenten Applikationsschemata ist jedoch auch das Therapiemonitoring, etwa hinsichtlich einer eingeschränkten Nierenfunktion als Kontraindikation bei Bisphosphonaten, zu kalkulieren. Substanzen mit kürzerer Halbwertzeit wie etwa Ibandronat mit der Gabe alle 3 Monate – das von Prof. Resch in der TOMIBA-Studie bei Männern untersucht wurde – wären deshalb auch für den niedergelassenen Arzt interessant, weil er den Patienten jedes Vierteljahr sieht.
Bei eingeschränkter Nierenfunktion ist für mich ohnehin Denosumab die erste Option, das nur 2-mal jährlich injiziert werden muss. Der RANKL-Antikörper scheint mir darüber hinaus auch der „physiologischere“ osteoprotektive Weg zu sein.
Gerade bei Männern ist auf eine suffiziente Vitamin-D-Versorgung zu achten und gegebenenfalls der Vitamin-D-Spiegel zu bestimmen. Gottseidank wird die Vitamin-D-Messung von der Sozialversicherung übernommen, sie gehörte aus meiner Sicht schon in die Gesundenuntersuchung standardmäßig integriert. Darüber hinaus sollten sich Männer mit starken Risikofaktoren für Osteoporose bzw. spätestens mit 70 einer Knochendichtemessung unterziehen.