Schon in den 1950er-Jahren erkannte man die Wichtigkeit einer frühzeitigen Diagnose und Therapie der Phenylketonurie innerhalb der ersten Lebenstage, um die später bei unbehandelten Kindern auftretende mentale Retardierung durch eine phenylalaninarme Diät zu verhindern. Das Modell „Neugeborenen-Screening“ hat rasch weltweit Einzug in viele Länder gefunden. In unterschiedlichem Umfang werden etwa ein Drittel, in Europa mehr als 80 % aller Kinder auf unterschiedliche Krankheiten untersucht.
1966 wurde das nationale Präventivprogramm im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit zentral für Österreich an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde, Medizinischen Universität Wien, gestartet. Das Screening ist eine bevölkerungsmedizinische Maßnahme und ein wichtiger Bestandteil des öffentlichen Gesundheitswesens und Auftrags. Ziel ist es, jedes in Österreich geborene Kind wenige Tage nach der Geburt (optimal 3.–5. Lebenstag) zu untersuchen, um bei Verdacht so rasch wie möglich eine qualitätsgesicherte Therapie zu initiieren. Das Neugeborenen- Screening ist somit zu einem wichtigen und akzeptierten Bestandteil des öffentlichen Gesundheitswesens mit direkten und indirekten Vorteilen für betroffene Kinder und deren Familien geworden.
Um die Jahrtausendwende wurde weltweit in vielen Ländern eine neue Technologie (Tandem-Massenspektrometrie) eingeführt. Dadurch konnte die Anzahl der angeborenen Stoffwechselerkrankungen maßgeblich erweitert werden und umfasst neben Aminosäure- und Fettsäureoxidationsstörungen auch Organoazidopathien („erweitertes Neugeborenenscreening“). Das Screening in Österreich hat lange Tradition und nur durch das Engagement vieler Berufsgruppen bestehend aus Hebammen, Ärzten, Labors und Diätologen ist eine erfolgreiche Durchführung überhaupt möglich. In Österreich besteht ein einmaliges Netzwerk aus Stoffwechselzentren und Spezialisten und ein dichtes Netz an Spezialambulanzen.
Derzeit wird die Blutprobe jedes Kindes auf 34 oft lebensbedrohende Krankheiten untersucht (Stand 2012). In den letzten 45 Jahren wurden dabei Filterpapierkarten von über 4 Millionen Kinder analysiert und mehr als 2.500 Kinder entdeckt. Dabei stellen die Phenylketonurie mit 370 und die milde Form – Hyperphenylalaninämie – mit 180 Kindern die größte Gruppe der Aminoazidopathien dar. Mehr als 800 Kinder mit primärer Hypothyreose (seit 1978) – häufigste Endokrinopathie in Österreich – und 65 Kinder mit adrenogenitalem Syndrom (AGS; seit 1997) wurden entdeckt und konnten somit rasch einer Therapie zugeführt werden, um eine irreversible mentale Retardierung und lebensbedrohliche Stoffwechselkrisen wie Salzverlustsyndrom zu verhindern. Seit 1997 ist auch die zystische Fibrose fixer Bestandteil des Screeningprogramms (Inzidenz 1:3.500). Durch eine symptomatische Therapie wird Kindern mit einer frühzeitigen Diagnosestellung ein verbessertes Wachstum, Hirnentwicklung, Lungenfunktion und eine geringere Rehospitalisierungsrate ermöglicht (Lebenserwartung 1940: 1 Jahr, 1960: 10, 1995 bei 30 und derzeit bei über 40 Jahren und mehr). Eines von 800 Kindern ist in Österreich von einer im Screening erfassten Krankheit betroffen (80–120 Kinder pro Jahr).
Eine Therapie der Mutter kann unmittelbar einen Einfluss auf das Testergebnis haben. In der Tabelle sind mütterliche Einflussfaktoren auf den Screeningbefund des Neugeborenen dargestellt. Liegt bei der Mutter eine der genannten Therapien oder Krankheiten vor, so muss dies auf der Filterpapierkarte vermerkt werden, um falsch-positive aber auch falsch-negative Ergebnisse zu vermeiden. Es ist eine Wiederholungsuntersuchung, beim Kind durchgeführt, notwendig. Bei AGS ist zu beachten, dass es für Frühgeborene gestationsalter- und geburtsgewichtsabhängige Referenzwert für die Ergebnisinterpretation gibt. Während einer Kortikosteroidbehandlung ist das AGS-Screening nicht aussagekräftig (falsch-normal), so dass es nach Beendigung der Therapie zu einer Wiederholung des Screening kommen muss. Bei einer pränatalen Kortikosteroidgabe von plazentagängigen Steroiden (Betamethason und Dexamethason) muss nach derzeitigen Wissenstand von einem Effekt auf den Fetus ausgegangen werden (eventuell falsch negative Screeningergebnisse). Prinzipiell gilt, dass Nabelschnurproben und Trockenblutproben vor der ersten 36. Lebensstunde nicht für das Screening geeignet sind, und Kontrollabnahmen notwendig sind.
Nach Möglichkeit sollte, unabhängig vom Lebensalter, eine Probe für das Screening stets vor Transfusion oder Medikamentengabe (Kortikosteroide, Katecholamine) abgenommen werden (Vermerk auf der Screeningkarte!). Ein Kontrollscreening wird dann generell 5 Tage nach Ende der Maßnahme und vor Entlassung empfohlen. Bei Frühgeborenen vor der vollendeten 32. Schwangerschaftswochen wird ebenfalls im Alter von 36 bis 72 Lebensstunden Blut für das Screening abgenommen. In einem korrigierten Alter von 32 Schwangerschaftswochen muss ein abschließendes Zweitscreening erfolgen.
Das oberste Ziel ist die frühzeitige Erkennung und Therapie aller Neugeborenen in Österreich mit endokrinen und metabolischen Erkrankungen. Ein positives Neugeborenen- Screening-Ergebnis liefert grundsätzlich noch keine definitive Diagnose, sondern einen sehr starken Verdacht, dem eine Bestätigungsdiagnostik folgen muss. Je nach Krankheit sind weitere Bestimmungen von Steroiden, organischen Säuren und Aminosäuren oft Bestandteile der weiteren Abklärung. Ein negatives (unauffälliges) Ergebnis des Neugeborenen-Screenings macht das Vorliegen einer der untersuchten Krankheiten unwahrscheinlich, kann diese aber nicht definitiv ausschließen. Bei kranken Kindern sollte generell immer auf das Vorliegen einer Stoffwechselerkrankung gedacht werden.
ZUSAMMENFASSUNG: Das durchgeführte Neugeboren-Screening hat viele Kinder vor irreversibler Schädigung bewahrt und eine verbesserte Lebensqualität ermöglicht. Neue Erkenntnisse und gesammelte Erfahrungen aus dem Screeningprogramm der letzten Jahre sowie internationale Studien und Gremien fließen in die Gestaltung des zukünftigen österreichischen Programms ein und ermöglichen letztendlich die Chance zu einem besseren Verständnis vieler Krankheiten und eines zielgerichteten Therapiemanagements. Derzeit erfolgt die Überarbeitung der österreichischen Leitlinien. Diese und weitere Informationen zum Screeningprogramm sind zukünftig über die Homepage der Medizinischen Universität Wien, Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde (Vorstand: Univ.-Prof. Arnold Pollak) abrufbar: www.meduniwien.ac.at/neugeborenenscreening.