Die Steinzeit der Pränataldiagnostik ließ viele junge Frauen durch das großmaschige Netz fallen und war in der Ausführung potenziell gefährlich. Was in weiterer Folge geschah, ist bekannt. In den neuen Algorithmen war das Alter der Mutter nur mehr ein Parameter unter vielen, das Resultat ein dramatischer Rückgang invasiver Untersuchungen trotz steigenden Alters der Gebärenden. Die Krönung aller Bemühungen kann schlussendlich im noninvasiven Pränataltest (NIPT) gesehen werden.
Das Rad der Zeit zurückdrehen? Während das Machbare immer machbarer wurde, schien das Finanzierbare immer unfinanzierbarer zu werden. Plötzlich tauchen wieder Empfehlungen einer gestrigen Welt auf, die uns erklären möchten, dass einer Frau ab 35 Jahren die Pränataldiagnostik kostenlos zusteht, so der Hauptverband der Sozialversicherungsträger, der in diesem Sinne den Krankenanstalten die Durchführung verordnet.
Consensus omnium oder doch eher Rechnung ohne Wirt? Der Ball der Finanzen wird geschickt hin und her gespielt. Die Krankenanstalten können diesen „Versorgungsauftrag“ in vielen Häusern nicht erfüllen, weil schlichtweg das Personal und hier im Besonderen ein spezielles DEGUM/ÖGUM-zertifiziertes Personal fehlt!
Ärzte in den Ordinationen sollen für immer weniger Honorar (seit 24 Jahren wurde das MKP-Honorar nicht der Inflation angepasst!) immer mehr Aufklärungsarbeit leisten (Pränataldiagnostik bis hin zum NIPT).
Vor dem Hintergrund einer zentralen Geburtsanmeldung in Wien (seit 2/2019), die Schwangere (noch unter Berücksichtigung ihrer Wünsche) einer Klinik zuteilt, allerdings jenseits eines Gestationsalters, wo Pränataldiagnostik noch möglich ist, glaubt man sich fadenscheinig und unelegant, weil äußerst plump, der Gesamtproblematik entziehen zu können. Es gibt daher scheinbar keinen anderen Ausweg, als Pränataldiagnostik im gesamten Umfang aus eigener Tasche zu finanzieren. „Alter Hut“, würden Sie sagen – aber um eine neue Facette reicher: Der Hauptverband hat den anachronistisch unsinnigen Anspruch auf kostenlose PND ab 35 Jahren in Stein gemeißelt und exkulpiert sich in weiterer Folge ebenso plump wie alle anderen Verantwortlichen. Die Abteilungen signalisieren, in der Umsetzung unvermögend zu sein, und wir Ärzte in den Ordinationen haben einmal mehr den schwarzen Peter in der Hand, weil es vermutlich nur eine Frage der Zeit ist, wann die erste über 35-Jährige ihren Frauenarzt wegen falscher Beratung verklagt.
Eine Frage der Gerechtigkeit: Es liegt mir fern, ein Plädoyer für einen unbedingten Einsatz aller pränataldiagnostischen Möglichkeiten zu halten, vielmehr ist es ein Plädoyer für eine Gerechtigkeit, die in unserer Gesellschaft zunehmend schwindet. In der täglichen Arbeit heißt es, so haben wir gelernt, ein Patient kann eine Entscheidung nur treffen, wenn er gut informiert ist, aber es lässt sich analog auch definieren, dass ein Patient nur zwischen den Optionen entscheiden kann, die für ihn leistbar sind, und so bleibt manchen nur die öffentlich finanzierte Postnataldiagnostik.
Ein gutes Stück Zynismus findet sich leider tagtäglich überall im angeblich besten Gesundheitssystem.
Ich freue mich wie immer über Ihre Kommentare und Anregungen: office(at)mein-frauenarzt.at