Probiotika in der Gynäkologie und darüber hinausProbiotika rücken zunehmend in den Fokus der gynäkologischen Forschung – mit interessanten und teilweise überraschenden Ergebnissen. Als gesichert gilt heute beispielsweise, dass die Vaginalflora nicht nur mit probiotischen Vaginalkapseln, sondern auch mit oraler Probiotikagabe verbessert werden kann. Darüber hinaus gibt es Hinweise auf günstige Effekte oraler Probiotika unter anderem auf Frühgeburtlichkeit, Präeklampsie, Gestationsdiabetes und Adipositas.
Eine Sitzung der Arbeitsgemeinschaft für Infektionen der Österreichischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (ESIDOG) beschäftigte sich im Rahmen der OEGGG-Jahrestagung 2012 in Graz mit dem Thema Probiotika und Frauengesundheit, einem Thema, das, wie Dr. Konrad J. Domig vom Institut für Lebensmittelwissenschaften der BOKU ausführte, keineswegs neu ist. Döderlein beschrieb bereits zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts die Wirkung von Milchsäurebakterien. Der Begriff „Probiotika“ wurde erstmals im Jahr 1960 von Lilley und Stilwell definiert. Erste evidenzbasierte Daten zu Probiotika stammen aus dem Jahr 2000, in PubMed finden sich seither über 7.000 entsprechende Publikationen.
Identität, Sicherheit, Stabilität und Funktionalität sind die grundlegenden Anforderungen an Probiotika, wie Domig erläuterte: „Probiotische Stämme müssen taxonomisch eindeutig identifiziert und die Vorgaben für die Sicherheit erfüllt sein. In pharmazeutischen Präparaten müssen die hohen Lebendkeimzahlen bis zu 2 Jahre garantiert werden. Dies und die Gewährleistung der Funktionalität stellen große Anforderungen an die Technologie.“
Es ist schon lange bekannt, dass die orale Gabe von Laktobazillen einen günstigen Effekt auf den Darm hat. Der Darm dient, wie Dr. Ljubomir Petricevic, Univ.-Klinik für Frauenheilkunde, AKH Wien, ausführte, als Reservoir für Laktobazillen, aus dem eine normale Vaginalflora aufgebaut wird: „Diese Vermutung wird durch eine Studie unserer Forschungsgruppe bestätigt. Die Übereinstimmung zwischen Laktobazillen im Darm und in der Scheide liegt bei bis zu 80 %.1 Die Hälfte der Frauen weist nur einen Laktobazillen-Stamm auf, bei 30 % sind es 2 oder mehr Stämme.“
Eine gesunde Vaginalflora ist durch eine Dominanz der Laktobazillen über die anaerobe Mischflora charakterisiert.2, 3 In der Abb. sind jene Laktobazillen dargestellt, die in der Scheide gesunder Schwangerer im späten ersten Trimester gefunden wurden.4 Die Laktobazillen-Flora scheint regional unterschiedlich zu sein und in Abhängigkeit von der hormonellen Situation (Prä-, Postmenopause, Schwangerschaft u. a.) zu variieren. Bei Laktobazillenmangel verschiebt sich das Gleichgewicht in Richtung der Anaerobier, was nicht nur eine bakterielle Vaginose, sondern auch eine aufsteigende Infektion zur Folge haben kann.
Ein altbekanntes Konzept zur Wiederherstellung der physiologischen Vaginalflora ist die Anwendung von Vaginalkapseln. Neu ist die Erkenntnis, dass die vaginale Flora durch orale Einnahme von bestimmten Laktobazillen normalisiert werden kann.
Das ist eine der neuen Erkenntnisse gynäkologischer Forschung zu Probiotika, deren Fragestellungen mittlerweile über die Verbesserung der Vaginalflora hinausgehen.
Verbesserung der Vaginalflora: Zwei Wiener Studien zeigen den klinischen Effekt einer oralen Therapie mit speziellen Laktobazillen auf die Vaginalflora. Petricevic et al. konnten zeigen, dass die orale Gabe von Lactobacillus rhamnosus und Lactobacillus reuteri zu einer signifikanten Verbesserung der vaginalen Flora führt (p = 0,0001).5 Die Erkenntnis, dass sich die Vaginalflora durch orale Anwendung von Probiotika verändern lässt, war selbst für die Studienautoren damals überraschend, berichtete Univ.-Prof. Dr. Herbert Kiss, Univ.-Klinik für Frauenheilkunde, AKH Wien. In einer noch unpublizierten Untersuchung aus Wien konnte mit einem oralen Laktobazillenpräparat, bestehend aus 4 verschiedenen humanen Laktobazillen-Stämmen, die Flora der Neovagina von Transfrauen verbessert werden. Wie die Studienleiterin, Dr. Ulrike Kaufmann, Univ.-Klinik für Frauenheilkunde, AKH Wien, resümierte, steht mit gewissen Laktobazillen eine mögliche Therapie der asymptomatischen bakteriellen Vaginose bei Transfrauen zur Verfügung, die den störenden Geruch verringert oder beseitigt.
Frühgeburtlichkeit: Die Wiener Erkenntnisse werden durch internationale Studien ergänzt. So lässt eine kleine Untersuchung darauf schließen, dass die Gabe von Probiotika bei Patienten mit bakterieller Vaginose in der Schwangerschaft das Risiko für eine Frühgeburt verringern könnte.5 Übereinstimmend zeigte eine weitere Studie, dass Frauen, die regelmäßig probiotische Produkte konsumierten, ein geringeres Frühgeburtsrisiko hatten.7 „Dies sind Hinweise auf den Einfluss der Darmflora auf das perinatale Outcome“, sagte Kiss.
Präeklampsie: In einer prospektiven Kohortenstudie mit 33.399 erstgebärenden Frauen war der regelmäßige Konsum von probiotischen Milchprodukten mit einem verringerten Präeklampsierisiko assoziiert.8 Möglicherweise beeinflusst die Zusammensetzung der Darmflora, so Kiss, die Cholesterinaufnahme.
Adipositas: Kiss verwies auch auf Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen der Darmflora und Adipositas9 und einen Einfluss der Zusammensetzung der Darmflora auf Gewichtszunahme und biochemische Parameter in der Schwangerschaft.10 „Wir nehmen an, dass wir durch eine Veränderung der Darmflora die Gewichtszunahme beeinflussen können“, hielt Kiss fest. Univ.-Prof. DDr. Johannes Huber, Univ.-Klinik für Frauenheilkunde, AKH Wien, berichtete von Arbeiten, die zeigen, dass die Zusammensetzung der Darmflora die Energieausbeute aus Nahrungsmitteln beeinflusst.11, 12 Möglicherweise trägt dies zur Entwicklung von Übergewicht trotz kalorienreduzierter Nahrung bei.
Gestationsdiabetes: Eine europäische Arbeitsgruppe zeigte in einer besonders hochwertigen Studie, dass Probiotika das Risiko für die Entwicklung eines Gestationsdiabetes verringern können.13
In-vitro-Fertilisation: Wie Huber berichtete, liefert die Wissenschaft auch Hinweise auf den Einfluss der Darm- und der Vaginalflora auf die Fertilität bzw. die Ergebnisse der In-vitro-Fertilisation.14, 15 Der Einsatz von Probiotika könnte auch hier nützlich sein.
Kindliche Allergien: Huber verwies auch auf die laufende Forschung zum potenziell erhöhten Allergierisiko nach Kaiserschnittgeburt, das mit dem fehlenden Keimkontakt bei der Geburt in Zusammenhang gebracht wird.16
Die Flora von Darm und Vagina und auch der Lunge stehen in engem Zusammenhang und werden in hohem Maß von den Sexualsteroiden beeinflusst. Diese Tatsache liefert Erklärungen für genderspezifische Unterschiede bei verschiedenen Erkrankungen, wie Huber anschaulich illustrierte. So begünstigt Östrogen die Reproduktion von Trichomonaden17, was Frauen für diese Infektion anfälliger macht. Der Effekt von Sexualhormonen auf die Keimbesiedelung trägt auch zu den geschlechtsspezifischen Unterschieden bei zystischer Fibrose18, Asthma19 und Colitis20 bei.
Huber plädierte abschließend eindringlich für ein Engagement der Gynäkologie auf dem Gebiet der mikrobiellen Endokrinologie, das derzeit in der Hand der Molekularbiologen sei: „Wir Gynäkologen sollten uns hier intellektuell einbringen.“