Die Diagnose Brustkrebs bei jungen Frauen stellt das multidisziplinäre Behandlerteam vor eine komplexe Herausforderung und verlangt nicht nur medizinisch ein spezifisches Behandlungsmanagement, sondern erfordert ebenso die Berücksichtigung besonderer altersbezogener psychischer und sozialer Belange.
Das mittlere Erkrankungsalter bei Brustkrebs liegt bei etwa 63 Jahren, allerdings betreffen etwa 25–30 % aller Brustkrebsfälle auch Frauen unter 50 Jahren, rund 10 % der Patientinnen sind sogar jünger als 35 Jahre. Die Diagnose Brustkrebs bedeutet für jede Patientin einen enormen Einschnitt in ihr bisheriges Leben. Die Konfrontation mit einer potenziell lebensbedrohlichen Erkrankung stellt eine psychische Ausnahmesituation dar und ist geprägt von immenser Angst, Unsicherheit, Trauer, Gefühlen von Hilf- und Hoffnungslosigkeit.
Durch die Erkrankung und die dadurch notwendigen Therapien sind die Patientinnen nicht nur mit physischen Einschränkungen und Veränderungen konfrontiert, sondern leiden zudem unter vielfältigsten psychischen und sozialen Beeinträchtigungen. Zwischen 25–50 % aller Brustkrebspatientinnen zeigen im Verlauf der Erkrankung behandlungsbedürftige psychische Auffälligkeiten, wie depressive Störungen, Angststörungen, Fatigue, Schlafstörungen, Beeinträchtigungen in der Sexualität. Auch wenn sich der Großteil der Patientinnen nach Abschluss der Primärtherapie psychisch relativ gut wieder stabilisieren kann, weist dennoch ein Teil selbst Jahre nach Behandlungsabschluss behandlungsrelevante psychische Belastungen auf, die oft lange Zeit unerkannt und damit unbehandelt bleiben (Kornblith A. B. et al., Semin Oncol 2003; 30 [6]:799-813).
Erkrankt eine junge Frau an Brustkrebs, so ist dies mit einer Vielfalt spezifischer psychosozialer Belastungen und Herausforderungen verbunden: Themen mit besonderer emotionaler Relevanz wie Familie, Partnerschaft, Sexualität und Fertilität spielen eine ganz zentrale Rolle in dieser Phase des Lebenszyklus. Um die Auswirkungen der Erkrankung für junge Patientinnen zu verstehen, ist es notwendig, sich ihre Lebenssituation vor Augen zu führen. Das junge Erwachsenenalter ist mit zahlreichen Rollenanforderungen und Erwartungen verknüpft: Gründen und Versorgen einer Familie, Ausbildung, Beginn der beruflichen Karriere, Aktivität, Attraktivität.
Junge Patientinnen scheinen eine besondere Vulnerabilität für psychosoziale Langzeitfolgen der Brustkrebserkrankung zu haben, sie zeigen im Vergleich zu älteren Patientinnen in fast allen Bereichen eine schlechtere Lebensqualität (Avis N. E. et al., J Clin Oncol 2005; 20, 23 [15]:3322-30), weisen länger andauernde und massivere emotionale Belastungen auf, sind in ihrer Krankheitsbewältigung mehr beeinträchtigt, sie leiden unter psychischen und physischen Veränderungen im Zusammenhang mit frühzeitiger Menopause und den Auswirkungen der Behandlung auf Fertilität und Sexualität. Sie berichten häufiger über Partnerschaftsprobleme und sind besonders gefordert und belastet im Umgang mit noch minderjährigen Kindern.
Die Brust steht als Sinnbild für Weiblichkeit, ist verbunden mit Sexualität, Lustempfinden, Attraktivität. Durch die Diagnose Brustkrebs verändert sich plötzlich ihre Bedeutung, sie ist nun assoziiert mit Krankheit, Schmerz, Bedrohung.
Durch die Erkrankung und Behandlung verändern sich für die Patientinnen ihre körperliche Erscheinung, damit das Körpererleben und das Selbstkonzept. Vor allem jüngere Frauen leiden verstärkt unter Körperbildstörungen und Beeinträchtigungen in ihrer Sexualität (Baucom D. H. et al., Breast Dis 2005; 23:103-113).
Äußerliche, für jeden sichtbare Folgen der Therapien, wie Narben durch operative Eingriffe, Haarverlust, Gewichtsveränderungen, beeinträchtigen das Selbstwertgefühl, vermindern das Gefühl von Attraktivität und erzeugen Verunsicherung und Angst. Zusätzliche körperliche Beeinträchtigungen wie Schmerzen, Müdigkeit, Übelkeit, Bewegungseinschränkung, Hautveränderungen oder Geschmackstörungen verstärken das Gefühl, krank und anders zu sein. Ein perfekter, unversehrter Körper ist in unserer Gesellschaft von hohem Wert, die körperliche Attraktivität von besonderer Bedeutung. Vor allem junge Frauen sind diesbezüglich einem großen sozialen Druck ausgesetzt. Viele Brustpatientinnen sind nach der Behandlung mit ihrem Körper und ihrem Erscheinungsbild unzufrieden, fühlen sich weniger selbstbewusst, feminin und attraktiv wie vor der Diagnose.
Im Rahmen der Brustkrebsbehandlung wird das Thema Sexualität nach wie vor häufig vernachlässigt, trotz bekanntermaßen verbreiteter und persistierender Beeinträchtigungen. Sexualität bei Krebs stellt noch immer ein Tabuthema dar, das auch von Behandlern zu selten angesprochen wird, bzw. angesichts einer ernsten und lebensbedrohlichen Erkrankung oft als wenig wichtig erachtet wird. Nur knapp die Hälfte der Patientinnen gibt an, dass Behandler über Veränderungen im Bereich Sexualität mit ihnen gesprochen haben, noch seltener sprechen Frauen das Thema von sich aus an, obwohl vor allem junge Patientinnen Information und Beratung wünschen (Hill E. K. et al., Cancer 2011; 117:2643-2651).
Ein zufriedenstellendes Sexualleben stellt eine bedeutsame Ressource dar und bietet Patientinnen die Möglichkeit, sich in einem wichtigen Lebensbereich als „normal und gesund“ zu erleben; zudem erzeugen sexuelle Dysfunktionen Leidensdruck und stellen eine zusätzliche Belastung und eine Einschränkung der Lebensqualität dar.
Prämenopausale Brustkrebspatientinnen haben im Vergleich zu älteren Patientinnen ein höheres Risiko, durch die Erkrankung bzw. infolge der Therapie sexuelle Funktionsstörungen zu entwickeln. Neben den physischen Einschränkungen spielen emotionale Belastungen, Unsicherheit, Minderwertigkeitsgefühle für das sexuelle Erleben und Funktionieren ebenso eine Rolle wie der Umgang mit Krankheit und die Anpassung an körperliche Veränderungen, vorbestehende sexuelle Probleme oder Kommunikation in der Beziehung.
Vorstellungen über das eigene Körperbild haben direkten Einfluss auf das sexuelle Erleben und die sexuelle Aktivität. Aus Angst, nicht mehr sexuell attraktiv zu sein, kommt es häufig zu Rückzugsverhalten, jeglicher intimer Kontakt oder überhaupt Berührungen werden vermieden. Studien belegen recht einheitlich, dass über 60 % der prämenopausalen Patientinnen unter einem breiten Spektrum sexueller Dysfunktionen während der Therapie leiden, bei 45 % bleiben diese Störungen auch Jahre nach Abschluss der Therapie weiter bestehen, das bedeutet eine deutlich höhere Prävalenz als in der gesunden Kontrollpopulation (Kedde H. et al., Support Care Cancer 2012; Epub ahead of print).
Die partnerschaftliche Kommunikation ist durch die Erkrankung häufig belastet: Unsicherheit, Sprachlosigkeit, Vermeidung oder Verdrängung, Schonverhalten, Überforderung, Angst vor Zurückweisung und Verlust. All dies kann zu erheblichen Beziehungsstörungen beitragen, bereits vorbestehende Konflikte und Probleme können sich durch die Erkrankung noch verschärfen. Oftmals wird wenig bedacht, dass Partner ebenso durch die Diagnose belastet sind wie die Patientin selbst. Es bestehen hohe Korrelationen zwischen emotionalem Disstress der Patientin und ihres Partners.
Viele junge Patientinnen geben an, dass die Kommunikation mit ihrem Partner über die Erkrankung wenig zufriedenstellend sei, sie nicht so offen sprechen können, wie sie es möchten. Am schwierigsten gestalten sich Gespräche über krebsbezogene Ängste, über Tod und Sterben.
Als besonders belastend werden von vielen jungen Patientinnen die Auswirku
ngen von Chemo- oder endokrinen Therapien auf die Fertilität und Sexualität empfunden. Bei Eintreten der frühzeitigen Menopause oder auch bei vorübergehender, therapieinduzierten Amenorrhö bedeutet dies für junge Patientinnen einen abrupten Bruch im normalen biologischen Entwicklungsverlauf. Zudem ist dieser Einschnitt verbunden mit häufig massiven und sehr belastenden Nebenwirkungen wie unter anderem Libidoverlust, verminderter Lubrifikation, dadurch Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Schlafstörungen, Gewichtszunahme und depressiven Störungen.
Junge Frauen werden in einer Lebensphase mit der Diagnose und entsprechender Behandlungsentscheidung konfrontiert, in der sie möglicherweise über Familienplanung nachdenken. Bei bestehendem Kinderwunsch bedeutet eine drohende Infertilität als Konsequenz der Therapie eine nicht zu unterschätzende zusätzliche Belastung. Lebensentwürfe und Zukunftspläne müssen revidiert werden.
Fertilitäts- und menopausenbezogene Informationen sind für junge Patientinnen sehr wichtig, bei bestehendem Kinderwunsch sollte eine entsprechende Beratung und Zuweisung zur Reproduktionsmedizin Standard sein. Sowohl in der Phase der Behandlungsentscheidung als auch erneut nach Abschluss der Therapie ist das Bedürfnis nach Beratung und Information verstärkt. In Untersuchungen zeigen Frauen mit noch bestehendem Kinderwunsch ein hohes Informationsbedürfnis, unabhängig von prognostischen Faktoren, Alter oder psychologischem Distress (Thewes B. et al., J Clin Oncol 2005; 23 [22]:5155-5165). Studien zu Häufigkeit und Umfang von Beratungsgesprächen zu fertilitätsbezogenen Themen zeigen sehr heterogene Ergebnisse und schwanken zwischen 35–75 % der prämenopausalen Patientinnen, die durch ihren Arzt beraten wurden, obwohl sich viel der jungen Patientinnen diesbezüglich Sorgen machen und ihre Behandlungsentscheidung dadurch beeinflusst wird (Peate M. et al., Breast Cancer Res Treat 2009; 116 [2]:215-223).
Viele junge Brustkrebspatientinnen haben noch minderjährige Kinder, die durch die Erkrankung der Mutter mit einer sehr bedrohlichen Situation konfrontiert sind.
Die Prävalenz psychopathologischer Auffälligkeiten von Kindern krebskranker Mütter ist doppelt so hoch wie in Familien ohne körperlich kranken Elternteil (ca. 35 % der Kinder) (Barkmann C. et. al., Psychosomatics 2007, 48:476-448). Die Reaktionen der Kinder auf die Krankheit der Mutter kann sehr vielfältig sein: große Angst, Hilflosigkeit und Wut, Unsicherheit, aggressive Verhaltensweisen, Schulschwierigkeiten, psychosomatische Beschwerden. Besonders vulnerabel sind jüngere Kinder oder jugendliche Mädchen. Manchmal zeigen Kinder erst nach einer gewissen Latenzzeit psychische Auffälligkeiten; während der akuten Erkrankung der Mutter sind die Kinder häufig unauffällig, somit werden Belastungen unterschätzt.
Eltern scheuen sich, mit den Kindern über die Erkrankung zu sprechen, sie befürchten eine zusätzliche Belastung, möchten sie schonen und vor der Auseinandersetzung mit Krankheit, Tod, Leid und Schmerz schützen (siehe Tab.).
Der Beratung und Unterstützung durch das Behandlerteam kommt im Umgang mit den Kindern eine bedeutende Rolle zu. Allerdings gibt ein Großteil der Patientinnen an, dass sie keinerlei Unterstützung oder Beratung zur Aufklärung ihrer Kinder über die Krebserkrankung erhalten. Zahlreiche Studien belegen die Bedeutung einer frühzeitigen Einbeziehung und Information auch jüngerer Kinder als Voraussetzung für eine adäquate Bewältigung des Krankheitsgeschehens. Eine altersgemäße, kindgerechte Erklärung medizinischer Vorgänge ist wichtig, um den Kindern die Last realitätsverzerrender Phantasien, Schuldgefühle und übersteigerter Ängste zu nehmen.
RESÜMEE: Studien haben gezeigt, dass junge Brustkrebspatientinnen nicht nur in vielen Lebensbereichen durch die Erkrankung häufiger und länger Belastungen aufweisen, sondern auch mehr Bedürfnisse äußern und zugleich höhere Unzufriedenheit mit Unterstützungsangeboten angeben (Adams E. et al., Psycho-Oncology 2011; 20:851-861).
Im Rahmen einer umfassenden Betreuung junger Brustkrebspatientinnen ist es wichtig, von Seiten der unterschiedlichen Disziplinen (Gynäkologie, Pflege, Psychoonkologie etc.) auf altersspezifische Bedürfnisse einzugehen und den betroffenen Frauen Information und Beratung zu verschiedensten Themenbereichen wie u. a. Sexualität, Fertilität, Kommunikation mit Kindern und Partner zur Verfügung zu stellen. Das Verständnis und Wissen über unterschiedliche Erfahrungen, Bedürfnisse und Probleme je nach Erkrankungsalter und Lebenssituation ist Voraussetzung, den Patientinnen adäquate Hilfestellung anbieten zu können.