Entsprechend groß ist auch die Sorge der Allgemeinheit um die Zukunft der medizinischen Versorgung in unserem Land. Einer aktuellen Umfrage zufolge befürchten über 50 % der Bevölkerung in unserem Land einen Zusammenbruch des Gesundheitssystems. Für ein Land, das sich als Musterbeispiel eines funktionierenden Sozialstaates sieht, wohl ein bedenkliches Umfrageergebnis. Es besteht demnach dringender Handlungsbedarf, wobei Lösungsvorschläge rasch zur Hand sind:
Gibt es zu wenige Ärzte? Eine Forderung, vor allem von Seiten der Politik, besteht in einer deutlichen Vermehrung der Studienplätze für das Medizinstudium – ein bei Experten höchst umstrittener Ansatz, der, wie der Gesundheitsökonom Ernest G. Pichlbauer feststellt, „von standhaft vertretenen alternativen Fakten begleitet wird“. Pichlbauer weiter: „Unsere Medizinunis bilden, bezogen auf die Einwohnerzahl, die meisten Mediziner in Europa aus. Jährlich werden 1.600 Ärzte neu in die Ärzteliste eingetragen.“ Im Übrigen wäre bei Vermehrung von Studienplätzen frühestens 2035 mit fertigen Ärzten zu rechnen.
Erhöhung der Gesundheitsausgaben? Die ÖsterreichischeÄrztekammer fordert, wenig ambitioniert, als wichtigste Maßnahme zur „Rettung unseres Gesundheitswesens“ eine Anhebung des BIP-Anteils von derzeit 10,4 % auf 12 % und orientiert sich dabei an Deutschland; die Mehrausgaben würden 4 Mrd. Euro betragen.
In diesem Kontext wird als Lösungsmöglichkeit der Finanzprobleme von verschiedener Seite eine zumindest teilweise Privatisierung von Gesundheitseinrichtungen angedacht, so wird z. B. von Seiten des Wirtschaftsbundes angeregt, bei der Führung von Gesundheitseinrichtungen künftig verstärkt Kooperationen mit Privatanbietern einzugehen – „weniger Staat, mehr privat“ bei gleichzeitigem Erhalt „eines der besten Gesundheitssysteme der Welt“. Dazu stellt sich eine Reihe von Fragen,
Entwicklungen am Beispiel Deutschlands: In den vergangenen Jahrzehnten sind zahlreiche Krankenhäuser in Deutschland privatisiert worden, deshalb ein Blick in unser Nachbarland:
In Bezug auf den Wechsel des Krankenhausträgers von einem öffentlichen zu einem privaten Träger kann es sich um den Wechsel zu einem sog. strategischen Investorhandeln, der an der mittel- bis langfristigen Weiterführung der Krankenanstalt interessiert ist. Tatsächlich gewinnt der Krankenhausmarkt aber auch zunehmend Attraktivität für international agierende Finanzinvestoren, sog. Private-Equity-Gesellschaften (PEG), deren Geschäftsmodell es ist, Unternehmen nur temporär zu erwerben. Die Laufzeit dieser Fonds ist in der Regel begrenzt, in dieser Zeit muss eine möglichst hohe Rendite erzielt werden. Dabei handelt es sich um kapitalkräftige,fondsbasierte Gesellschaften, deren Geschäftsmodell im Kaufen, Restrukturieren und kurzfristig wieder Verkaufen zu sehen ist. Zwei Drittel dieser Fonds haben ihren rechtlichen Sitz in einem Off- Shore-Finanzzentrum, an diesen Standort fließen dann auch die im deutschen Gesundheitssektor erzielten Gewinne.
Doch zurück zu den strategischen Investoren, zu den privaten Krankenhausketten in Deutschland. Dazu zählen vor allem die Rhön-Klinik AG, die Fresenius/Helios Klinikgruppe, die Asklepius Klinik AG, die Sanakliniken und Vivantis. Allein diese Klinikgruppen weisen einen jährlichen Umsatz von knapp 50 Mrd. Euro aus, der EBIT (= operatives Ergebnis) liegt einiges über 10 %. Dazu nur eine Zahl, um die Größenordnung dieser Summe zu beleuchten: Die Gesundheitsausgaben 2018 betrugen in Österreich 39 Mrd. Euro.
Wirtschaftlicher Erfolg durch Vernachlässigung kostenintensiver, weniger lukrativer Aufgaben: In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob öffentlich-rechtliche Kliniken wirklich weniger wirtschaftlich arbeiten als Häuser, die in privater Trägerschaft sind. Diese Frage ist pauschal nicht ganz einfach zu beantworten. Es zeigt sich aber, dass bei gleichem Ressourceneinsatz private Träger eine höhere „Leistungsmenge“ erreichen. Dabei fällt der Sachkostenanteil im Vergleich zu den anderen Trägern höher aus, während der Personalkostenanteil geringer ist. Im Übrigen gliedern Private bestimmte Leistungen wir Catering, Reinigung oder Laboruntersuchungen häufiger an externe Dienstleister aus.
Befürworter sehen in einer Privatisierung die Entlastung kommunaler Haushalte, den Abbau von Investitionsstau und einen wirtschaftlichen Betrieb der Häuser.
Die Gegner einer Privatisierung stellen hingegen fest, dass der Erfolg der Privaten durch Vernachlässigung kostenintensiver, weniger lukrativer Aufgaben gegeben ist, so u. a. auch durch Schließung unrentabler Kliniken; sogar Universitätskliniken sind davon betroffen. Zusätzlich wird nach neuen Wegen der Leistungserbringung gesucht. So behandeln Private in Deutschland 16,7 % aller PatientInnen, aber 24,8 % aller Kniegelenksarthrosen, 24,8 % aller Bandscheibenschäden und 23,7 % aller Hüftarthrosen. Umgekehrt kommen typische Erkrankungen von älteren und alten Menschen wie z. B. Oberschenkelhalsfrakturen oder chronisch-obstruktive Lungenerkrankungen bei den Privaten nicht unter den Top-20-Diagnosen vor. Auch andere Aufgaben, wie z. B. das Führen von Kinderabteilungen, werden vernachlässigt. Kritiker der Krankenhausprivatisierung sprechen zudem von einem zu hohen Leistungs- und Renditedruck, unter dem MitarbeiterInnen und PatientInnen in privat geführten Kliniken leiden.
Wie groß der ökonomische Druck ist, gibt ein anonymer Kommentar wieder: „Wir haben eine Fallmanagerin, die jeden Tag mehrmals zu uns kommt und detailliert fragt, warum der Patient eigentlich noch da ist; teilweise begleitet sie auch Visiten und vermerkt in Kurven, ab wann der Patient Geld kostet, anstatt welches einzubringen.“
Das Problem der Gesundheitsversorgung in Österreich liegt in erster Linie in der starren Beibehaltung der bestehenden Strukturen, so u. a. im Fehlen einer grundlegenden „Strukturbereinigung“ in unserer „Krankenhauslandschaft“, ev. basierend auf dem bereits seit den 1970er Jahren im Archiv des Gesundheitsministeriums schubladisierten Spitalsstrukturplan. Eine beispielhafte Ausnahme von politischer Seite bietet der, im Rahmen der steirischen Gesundheitsreform präsentierte „Regionale Strukturplan 2025“ mit der Idee der Errichtung eines neuen Krankenhauses im Bezirk Liezen bei gleichzeitiger Schließung der Spitäler in Bad Aussee, Schladming und Rottenmann. Bei der vor kurzem erfolgten Landtagswahl in der Steiermark wurden die Regierungsparteien in den von der Schließung betroffenen Gemeinden von den WählerInnen deutlich abgestraft, bei gleichzeitig großem Stimmengewinn im Bezirk Liezen. In der Bevölkerung besteht ja nach wie vor die Forderung „jedem Bürger sein eigenes Spital“. Eine bedarfsgerechte und wohnortnahe Versorgung der PatientInnen ist zwar ein wichtiges Element regionaler Politik, jedoch zeigt die aktuelle Situation im Krankenhausbereich mit häufig kleinen Häusern und geringer Spezialisierung, dass dies zur Versorgungsqualität nur wenig beiträgt. Politiker, die im Sinne einer besseren medizinischen Versorgung das Ziel haben, knappe Ressourcen effektiv einzusetzen, haben mit starkem Gegenwind zu rechnen. Es besteht in Österreich also vor allem ein drastisches Allokationsproblem in Bezug auf die Verteilung der knappen Ressourcen. Das Ziel, das in einer bedarfsgerechten Versorgung der PatientInnen besteht, sollte also auch mit der Zahl der in unserem Land tätigen Ärzte und dem derzeit zur Verfügung stehenden Gesundheitsbudget erreichbar sein.
Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege,
Kapital sucht Rendite, egal wo, egal wie und egal womit diese erwirtschaftet wird; zunehmend, so zeigt das Beispiel Deutschland, vor allem auch im Gesundheitssektor, gemessen an der Zahl der Beschäftigten lag die Gesundheitsbranche mit Abstand auf Platz 1 der Übernahmen. Tatsache ist allerdings auch, dass Ökonomisierung und Privatisierung in Verbindung mit Profitorientierung den Menschen in den Hintergrund drängt und mit unserem Gesundheitssystem, das auf Solidarität beruht, kaum zu vereinbaren ist. Ein Rückzug der öffentlichen Hand aus der Gesundheitsfinanzierung kann also nicht im Sinne einer solidarischen Gesundheitsversorgung sein und entspricht nicht unserer gesellschaftlichen Verantwortung.