Eine Frau mit einem gegenüber der weiblichen Durchschnittsbevölkerung deutlich erhöhten Brust- und Eierstockkrebsrisiko wird landläufig als „Hochrisiko-Patientin“ geführt. Der Begriff impliziert aber nicht nur ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs und Eierstockkrebs, sondern auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine krankheitsrelevante Mutation im BRCA-1- und/oder BRCA-2-Gen. Folglich kann eine „Hochrisiko-Patientin“ eine BRCA-Mutation aufweisen, muss dies aber nicht. Und generell stellt sich die Frage: wie hoch ist ein hohes Risiko?
Die Zahl der Verkehrsunfälle pro Jahr in Österreich ist enorm und auch die Zahl der Verkehrstoten ist erschreckend hoch. Die Wahrscheinlichkeit, an einem Autounfall zu versterben, liegt bei ca. 1:10.000.
Die Wahrscheinlichkeit (für eine Frau), an einem Mammakarzinom zu versterben, liegt bei 1:30. Im Nicht-Hochrisiko-Kollektiv! Natürlich handelt es sich um das kumulative (Lebenszeit-)Risiko, d. h. die Wahrscheinlichkeit, mit 35, 45 oder aber auch 55 Jahren an einem Mammakarzinom zu versterben, liegt deutlich darunter.
Verschiedene Faktoren können das durchschnittliche Brustkrebsrisiko der Frau beeinflussen. Diese können unterteilt werden in solche Faktoren, die nicht beeinflussbar sind – wie etwa Menarche, Menopause, Alter, Rasse oder auch Genetik –, sowie solche, die man selbst steuern kann – wie etwa HRT, Pille, Rauchen, Alkohol etc.
Berechnungstools für verändertes Risiko: Die genannten Faktoren können das Erkrankungsrisiko deutlich beeinflussen, und verschiedene Computer-gestützte Programme versuchen zu helfen, das veränderte Risiko zu schätzen. So auch das Breast Cancer Risk Assessment Tool des National Cancer Institute. Eine 40-jährige Frau kaukasischer Abstammung, die kein DCIS und keine Brustbiopsie in der Eigenanamnese aufweist, bei der mit 12–13 Jahren die Menstruation einsetzte, die noch keine Lebendgeburt hatte und deren Mutter an Brustkrebs erkrankt ist, hat ein deutlich erhöhtes Risiko für Brustkrebs gegenüber der Durchschnittsbevölkerung. Die 5-Jahres-Wahrscheinlichkeit, an Brustkrebs zu erkranken, liegt bei 1,1 % (anstatt 0,6 %), und das Lebenszeitrisiko liegt bei 18,8 % (anstatt 12,4 %). Das heißt, eine Frau mit dieser Anamnese hat – gemäß dem Rechenprogramm des NCI – eine Wahrscheinlichkeit von 1:5 (nicht 1:8), an einem Mammakarzinom zu erkranken. Gilt das schon als „Hochrisiko“?
Nein, nicht im engeren Sinn.
Hochrisikopatientinnen sind Frauen, die entweder eine krankheitsrelevante BRCA-Mutation aufweisen oder sehr wahrscheinlich eine krankheitsrelevante BRCA-Mutation aufweisen, sprich für eine genetische Untersuchung in Frage kommen. Eine Frau mit eine Mutation im BRCA-1-Gen hat ein Lebenszeitrisiko von 65 % für Brustkrebs (12 % = Durchschnitt) und 39 % für ein Ovarialkarzinom (1,4 % =Durchschnitt). Eine Frau mit einer Mutation im BRCA-2-Gen hat eine Lebenszeitrisiko von 45 % für Brustkrebs und 11 % für ein Ovarialkarzinom. Das Erkrankungsrisiko ist somit dramatisch erhöht, sodass beinahe jede Frau mit einer solchen Mutation an dem einen oder dem anderen Krebs oder an beiden Krebsarten erkrankt. Zusätzlich ist es so, dass „Hochrisikopatientinnen“ durchschnittlich in deutlich jüngeren Jahren v. a. an Brustkrebs erkranken.
Im Umkehrschluss bedeutet das, dass vor allem in Familien, in denen gehäuft Brust- und Eierstockkrebs, bei ein und derselben Frau Brust-und Eierstockkrebs, in jungen Jahren Brustkrebs oder gar Brustkrebs beim Mann vorkommt, eine BRCA-Mutation ursächlich für die Erkrankungsfälle sein könnte. In solchen Fällen ergibt sich die Indikation für eine genetische Untersuchung auf BRCA-Mutation und unabhängig davon, ob eine Untersuchung durchgeführt wird oder wurde, spricht man von Hochrisikopatientinnen.
(Anmerkung: Selbst wenn die Patientin genetisch untersucht wurde und sich keine krankheitsrelevante Mutation feststellen ließ, gilt sie weiterhin so lange als Hochrisikopatientin, bis eine krankheitsrelevante BRCA-Mutation in der Familie festgestellt wird – denn es könnten auch genetische Veränderungen, die wir bis dato nicht untersuchen können, ursächlich für das erhöhte Risiko sein. Wird aber eine BRCA-Mutation in der Familie festgestellt, die die erhöhte Zahl der Erkrankungsfälle erklärt, kann man davon ausgehen, dass die negativ getestete Frau die Mutation nicht geerbt hat und somit das Durchschnittsrisiko für Brust- und Eierstockkrebs aufweist.)
Der entscheidende Punkt, um als Hochrisikopatientin geführt zu werden, ist somit primär, ob Kriterien erfüllt sind, die eine genetische Untersuchung auf BRCA-Mutation rechtfertigen oder nicht.
Die verschiedensten Gesellschaften weltweit haben ähnliche, aber nicht idente Kriterienlisten erstellt, die definieren, ob eine Hochrisikosituation vorliegt und eine genetische Untersuchung Sinn macht.
Oberster Priorität ist jedenfalls, eine möglichst genaue Familienanamnese zu erheben. Im Allgemeinen gilt, dass eine Indikation zur BRCA-Testung (= Hochrisikopatientin) dann vorliegt, wenn die Wahrscheinlichkeit für eine krankheitsrelevante BRCA-Mutation bei mindestens 10 % liegt. In der Durchschnittsbevölkerung liegt die Wahrscheinlichkeit für eine solche Mutation bei 1:300 bis 1:800. In Österreich wird eine genetische Untersuchung angeboten, wenn eines der folgende Kriterien (innerhalb der väterlichen oder mütterlichen Linie) erfüllt ist:
Im „Deutschen Ärzteblatt“ wurde 2011 von Schmutzler et al. publiziert, wie diese einzelnen Kriterien die Wahrscheinlichkeit für eine solche BRCA-Mutation verändern (siehe Tab.).
Aber nicht nur die unterschiedlichen Guidelines der Gesellschaften können für die Definition der Hochrisikopatientin herangezogen werden. Auch Computer-gestützte Programm wie das Myriad II oder das Penn II können verwendet werden, um das Risiko der individuellen Patientin (oder Ratsuchenden) zu schätzen. Angemerkt werden soll allerdings, dass die Computer-gestützten Programme die Wahrscheinlichkeit für eine BRCA-Mutation als zu niedrig angeben.