Sollen schwangere Ärztinnen operieren dürfen?

Obwohl der Prozentsatz an Ärztinnen weltweit kontinuierlich steigt, sind Frauen bis heute in chirurgischen Fächern, insbesondere in Führungspositionen, deutlich unterrepräsentiert.3–6 Die Gründe hierfür werden in der Literatur als multifaktoriell beschrieben und reichen von einer immer noch anhaltenden Männerdomäne in der Chirurgie bis zu fehlenden weiblichen Vorbildern und genereller Benachteiligung.4, 7–9 In Österreich beträgt der Anteil an Fachärztinnen im Bereich der Frauenheilkunde und Geburtshilfe ca. 55 % und ca. 80 %, wenn explizit Ärztinnen in Ausbildung betrachtet werden.10, 11 Das Thema „Operieren in der Schwangerschaft“ betrifft somit eine wachsende Anzahl an Auszubildenden.

Aktuelles Mutterschutzgesetz …

Aufgrund der aktuell geltenden gesetzlichen Bestimmungen ist Operieren in der Schwangerschaft derzeit in Österreich nicht möglich, da das seit 1979 bestehende und geltende Mutterschutzgesetz2, das bisher weder angepasst noch reformiert wurde, dies verbietet.11 So ist z.B. in § 4 Abs. 1 des aktuell gültigen österreichischen Mutterschutzgesetzes vermerkt: „Werdende Mütter dürfen keinesfalls mit schweren körperlichen Arbeiten oder mit Arbeiten oder in Arbeitsverfahren beschäftigt werden, die nach der Art des Arbeitsvorganges oder der verwendeten Arbeitsstoffe oder -geräte für ihren Organismus oder für das werdende Kind schädlich sind.“ Dies ist genauer definiert unter § 4 Abs. 2Z.4: „Arbeiten, bei denen werdende Mütter Einwirkungen von gesundheitsgefährdenden Stoffen, gesundheitsgefährdenden Strahlen ausgesetzt sind, bei denen eine Schädigung nicht ausgeschlossen werden kann.“2 Das Bundesministerium für Arbeit hält zudem im kommentierten Mutterschutzgesetz fest: „Im Operationssaal ist die Beschäftigung werdender und stillender Mütter unzulässig.“12

… und dessen Konsequenzen

Diese Regelung führt für die betroffenen Kolleginnen zu einer Verlängerung der Facharztausbildung und erzeugt einen erheblichen Karrierenachteil gegenüber männlichen Kollegen.13 Das hat zur Folge, dass die Schwangerschaft den Arbeitgeber:innen erst spät bekanntgegeben wird, um die klinische und insbesondere die operative Ausbildung möglichst lange aufrechterhalten zu können. Durch diese Maßnahme begibt sich die Schwangere jedoch in eine besonders herausfordernde Situation, da keine schwangerschaftsbezogenen Sicherheitsvorkehrungen (z.B. kein langes Stehen, kein Umgang mit infektiösen Patient:innen etc.) eingehalten werden. Folglich kommt es zur Gefährdung der Mutter und des ungeborenen Kindes.

Deutschland als Vorbild

Bereits 2010 wurden in Deutschland unter chirurgisch tätigen Frauen zwei Umfragen von der Deutschen Gesellschaft von Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) zur Bedarfsermittlung einer Änderung des Mutterschutzgesetzes durchgeführt.
Erfreulicherweise wurde daraufhin (und nach zusätzlichen Bedarfserhebungen durch weitere chirurgische Fachgesellschaften) das deutsche Mutterschutzgesetz reformiert und ist in seiner aktuellen Form mit 1. Jänner 2018 in Kraft getreten.14 Seither ist auf Wunsch der Schwangeren ein risikoadaptiertes Operieren möglich.
Um die derzeitige Ausbildungssituation in Österreich, respektive die operative Tätigkeit, während und nach der Schwangerschaft sowie die diesbezügliche Zufriedenheit zu erheben, wurde auf Initiative der Österreichischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (OEGGG) von deren Arbeitsgemeinschaft „Junge Gyn“ (Vertretung aller Assistenzärzt:innen für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Österreich) in Zusammenarbeit mit 8 weiteren chirurgischen Gesellschaften eine landesweite Umfrage unter chirurgisch tätigen Ärzt:innen durchgeführt.

Studienablauf

Nach dem Entwurf des Fragebogens „Operieren in der Schwangerschaft?“ durch die Junge Gyn und der Freigabe durch die OEGGG erfolgte die Kontaktaufnahme mit 12 österreichischen chirurgischen Fachgesellschaften, von denen die folgenden 8 Fachrichtungen beschlossen, sich an der Umfrage zu beteiligen: Allgemeinchirurgie, orthopädische und Unfallchirurgie, Kieferchirurgie, Kinderchirurgie, Urologie, HNO und Dermatologie. Für die Hauptstudie, die am 1.6.2021 startete, wurde ein Einladungsschreiben mit dem Link zum webbasierten Fragebogen an alle registrierten Mitglieder der teilnehmenden Fachgesellschaften versandt. Nach mehreren Erinnerungsschreiben wurde die Umfrage schließlich am 24.12.2021 geschlossen.

Fragebogen

Der Fragebogen umfasste insgesamt 30 Fragen, die den Teilbereichen demografische Variablen, Schwangerschaft und operative Tätigkeit, Elternkarenz und beruflicher Wiedereinstieg zuzuordnen sind. Die Bearbeitung der Umfrage erfolgte anonymisiert. Sowohl das Umfragedesign als auch die Datenerhebung erfolgten unter Verwendung des webbasierten Umfragetools SurveyMonkey® (Momentive Europe UC).

Ergebnisse

Insgesamt nahmen 503 Kolleg:innen an der Umfrage teil, davon waren 73 % aus dem Fachbereich Frauenheilkunde und Geburtshilfe (n = 365) und 27 % von anderen chirurgischen Disziplinen (n = 138). 70,4 % (n = 354) aller Befragten waren Frauen und 29,6% (n = 149) Männer.
Die Mehrzahl der weiblichen Teilnehmer (n = 226, 63,8 %) hatte bereits eine, 130 (36,7%) zwei und 33 (9,3 %) drei oder mehr Schwangerschaften gehabt.
Zum Zeitpunkt der Schwangerschaft(en) befanden sich die meisten Frauen in der Facharztausbildung. Im Durchschnitt erfolgte die Bekanntgabe der Schwangerschaft an die Vorgesetzten in der 13. SSW, und die schwangeren Ärztinnen schieden durchschnittlich in der 15. SSW aus der operativen Tätigkeit aus. Im ersten und zweiten Trimester verbrachten schwangere Ärztinnen durchschnittlich 10 Stunden und im 3. Trimenon 5 Stunden pro Woche im OP. Weder Schwangerschaftsbeschwerden noch -komplikationen unterschieden sich zwischen operativ tätigen (94 %) und nicht operativ tätigen Ärztinnen (6 %).
Die Mehrzahl (80 %) jener Ärztinnen, die aufgrund der späten Meldung an den/die Arbeitgeber:in während einer Schwangerschaft operativ tätig waren, gab an, dies in einer erneuten Schwangerschaft wieder tun zu wollen.

Auf die Frage, ob es auf ausdrücklichen Wunsch der Schwangeren erlaubt sein sollte, einer operativen Tätigkeit innerhalb eines sicheren Rahmens in der Schwangerschaft nachzukommen, antworteten 93 % der Teilnehmer:innen mit „Ja“.

Hinsichtlich der aktuellen Familiensituation gaben 64 % der Frauen an, zumindest ein Kind zu haben, versus 85 % der Männer (p<0,0001). Eine Elternkarenz wurde von 90 % der Frauen (für durchschnittlich 10 Monate pro Kind), aber nur von 18 % der Männer (für durchschnittlich 2 Monate pro Kind) in Anspruch genommen.

Diskussion

Die Teilnehmer:innen unserer Studie befürworten mit einer Mehrheit von 93 % die Möglichkeit einer operativen Tätigkeit in der Schwangerschaft. Dies steht im Einklang mit den Ergebnissen von Knieper et al. sowie Fritze-Büttner et al.15,16

Weltweit gelten die unterschiedlichsten Regelungen und Gesetze, die das Arbeiten während der Schwangerschaft bzw. im Mutterschutz regeln. Während Chirurginnen in den USA Vollzeit bis zum Einsetzen der Wehentätigkeit arbeiten, können schwangere Ärzt:innen in der Schweiz, ähnlich zur Regelung in Deutschland, ihrer operativen Tätigkeit weiter nachgehen, und der gesetzliche Mutterschutz beginnt erst mit dem Tag der Geburt. In Deutschland herrscht zusätzlich ein sechswöchiges Beschäftigungsverbot präpartal und zumindest acht Wochen postpartal.17–19 Im weltweiten Vergleich zeigt sich eine starke Heterogenität der einzelnen Gesetzgebungen20, Österreich gilt jedoch vor allem aufgrund seines langen bezahlten Mutterschutzes sowie der Ermöglichung der Elternkarenz für Mütter und Väter als Vorzeigemodell. Derzeit ist es aber Ärztinnen in Österreich unter keinen Umständen erlaubt, ab dem Bekanntgeben der Schwangerschaft ihre chirurgische Tätigkeit fortzusetzen, zusätzlich zum generellen 16-wöchigen Beschäftigungsverbot um den Geburtstermin.2,20

Da sich die Gegebenheiten in den chirurgischen Fächern in den letzten Jahrzehnten europaweit deutlich verändert haben, besteht die dringende Notwendigkeit, die Chirurgie auch für die weiblichen Mitarbeiter so attraktiv und zugleich so sicher wie nur möglich zu gestalten. Der Anteil von Frauen unter den Medizinstudierenden sowie unter praktizierenden Ärzt:innen weltweit ist in den letzten Jahrzehnten konstant angestiegen4,21, und trotzdem sind Frauen in den chirurgischen Fächern im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen weiterhin unterrepräsentiert. In keinem anderen Fachgebiet ist der Anteil an Ärztinnen, die ihre Fachrichtung im Laufe der Berufslaufbahn wechseln, so hoch wie in den chirurgischen Fächern.21Betrachtet man die Herausforderungen und Hindernisse, mit denen Chirurginnen bereits in der Ausbildung zu kämpfen haben, wie den Mangel an weiblichen Vorbildern22–25, die geschlechtsspezifische Diskriminierung22,23,26–31 und die vermeintlich mangelnde Vereinbarkeit dieses Berufsweges mit einer Familie17,32–36, dann ist der Wunsch nach einer Adaptierung des Mutterschutzgesetzes insbesondere in Bezug auf die Möglichkeit der Fortführung der operativen Tätigkeiten in der Schwangerschaft umso verständlicher.

Gemäß unserer Bedarfserhebung besteht in Österreich der Wunsch nach einer zeitgemäßen Anpassung des Mutterschutzgesetzes. Dies sollte aus Sicht der Autor:innen in Anlehnung an die Bestrebungen bzw. Umsetzungen in Deutschland erfolgen13–16, die dazu geführt haben, dass schwangere Ärztinnen unter Einhaltung gewisser Schutzmaßnahmen weiter im OP tätig sein dürfen. Dies umfasst die Bereitstellung einer Sitzgelegenheit, Regulierung der maximalen Zeit der stehenden Tätigkeit, das verpflichtende Screening der Patient:innen auf Hepatitis C und HIV vor der OP sowie das Tragen einer entsprechenden Schutzkleidung.2,14,37

Diese würde einerseits zu einer Chancengleichheit in der Ausbildung zwischen chirurgisch tätigen Assistenzärzt:innen beitragen und andererseits, in Hinsicht auf den prognostizierten Ärztemangel ab dem Jahr 2030, die chirurgischen Fächer für Frauen attraktiver gestalten.38 Natürlich ist darauf zu achten, dass bei Nichtinanspruchnahme der Möglichkeit der operativen Tätigkeit in der Schwangerschaft kein Nachteil für die Schwangere entsteht.

Durch die Neuregelung wäre es für schwangere Ärztinnen nicht mehr notwendig, ihre Schwangerschaft erst zu einem fortgeschrittenen Zeitpunkt zu melden, um keinen Ausbildungsnachteil zu erleiden und damit länger unter unsicheren Arbeitsbedingungen tätig zu sein. Dieser bestehende Umstand spiegelt sich auch deutlich in unserer Umfrage wider, in der ein großer Anteil angab, erst nach dem 1. Trimester aus der operativen Tätigkeit ausgeschieden zu sein bzw. die Meldung an den/die Arbeitgeber:in erst nach dem 1. Trimester getätigt zu haben.

Conclusio

Zusammenfassendsollte der Gesetzgeber schwangeren Ärztinnen ermöglichen, unter Einhaltung von Schutzbestimmungen, einer operativen Tätigkeit in der Schwangerschaft nachzukommen. Dies würde einerseits ein kontinuierliches und rascheres Vorankommen in der operativen Ausbildung ermöglichen und andererseits dem Druck auf Frauen, sich zwischen Karriere und Familie entscheiden zu müssen, entgegenwirken. Somit kommt es nicht nur zu einer Verbesserung der operativen Ausbildung, sondern die Karrierechancen für Ärztinnen in chirurgischen Fachdisziplinen werden generell deutlich verbessert. Und nicht zuletzt würde dadurch dem Trend entgegengewirkt werden, die Schwangerschaften erst deutlich verzögert zu melden, um länger im OP tätig sein zu können, was zu einer Gefährdung von Mutter und Kind führen kann.