Der immer später in Angriff genommene Kinderwunsch wird zunehmend mit Unterstützung der Reproduktionsmedizin durchgeführt. So liegt das Durchschnittsalter der Erstgebärenden in den meisten Ländern Europas zwischen 26,5 und 29 Jahren, Tendenz steigend, die durchschnittliche Kinderanzahl pro Familie mehrheitlich unter 2 Kinder (Tab. 1). Das geänderte Frauenbild hat viele Gründe, angefangen von der Ausbildung bis hin zur immer späteren Partnerwahl.
Die späte Realisierung des Kinderwunsches in unseren Breiten engt das biologische Fenster für die Erfüllung dieses Wunsches immer mehr ein. Die Gesamtzahl der Primordialfollikel ist von Beginn an angelegt und nimmt während des Lebens nur mehr ab, dies kann medizinisch jedoch nicht beeinflusst werden. Durch die Änderung der sozialen Gegebenheiten verbunden mit den biologischen Grenzen ergibt sich zunehmend ein kürzerer Zeitrahmen, um sich einen Kinderwunsch zu erfüllen. Die biologische Uhr und unsere sozialgesellschaftliche Lebensuhr laufen nicht mehr synchron, sondern diametral auseinander (Tab. 2).
Die maximale Zahl der Primordialfollikel findet man im 6. Monat der Schwangerschaft, mit ca. 6 Mio. Follikeln, bei der Geburt hat das neugeborene Mädchen etwa 1,2 Millionen, beim Eintritt in die Pubertät sind zirka noch 500.000 Follikel vorhanden. Etwa 400 Primordialfollikel entwickeln sich zu antralen Follikeln und nur diese haben Potenzial zur Ovulation. Die Follikelreifung ist ein Kontinuum von der Fetalzeit bis zu dem Zeitpunkt, an dem alle Primordialfollikel verbraucht sind (dieser Zeitpunkt ist individuell verschieden, er liegt zwischen Anfang und Mitte vierzig). In der Phase der Rekrutierung tritt nur eine kleine Gruppe von Primordialfollikeln im Vorzyklus irreversibel in die Reifung ein (etwa 100–300). Im aktuellen Zyklus kommt es dann zur Selektion, d. h. von den rekrutierten Follikeln bleibt nur jene kleine Gruppe (Kohorte) am Leben, die am besten auf Gonadotropine anspricht (ca. 10–20). Die am besten entwickelten Follikel (dominierende Follikel) reduzieren durch negatives Feedback auf die FSH-Ausschüttung die Wachstumschancen der weniger entwickelten.
Es gibt zwar die späte spontane Mutterschaft jenseits des 40. Lebensjahrs, dabei handelt es sich praktisch immer um Multiparae. Dies konnte in einer sehr interessanten Studie gezeigt werden, in der über mehrere Generationen dieses Verhalten untersucht wurde. Dabei fanden sich in dieser Gruppe von spontan spätgebärenden Müttern bis zum Ende des 4. Lebensjahrzehnts eine deutlich höhere Anzahl von Hundertjährigen. Offen ist, ob diese Frauen genetisch so jung sind, dass sie auch in späten Jahren noch spontan konzipieren konnten, ob die vorangegangenen Schwangerschaften für den Körper einen Art „Jungbrunnen“ bedeuteten oder ob es sich um einen Kombination handelt. Tatsache ist jedoch, dass mit zunehmendem Alter die Risikoschwangerschaften deutlich steigen. Dies ist zum Teil dadurch bedingt, dass viele Frauen bereits an Vorerkrankungen leiden, wie z. B. Adipositas, Hypertonie etc. (Tab. 3).
Nach 30 Jahren erfolgreicher Anwendung der reproduktionsmedizinischen Behandlungen lässt sich diese aus der modernen Kinderwunschbehandlung nicht mehr wegdenken. Dennoch haben diese modernen Techniken seit ihrer Implementierung in die Routinebehandlung die Gesellschaft immer polarisiert und verschiedenste Ängste ausgelöst. Aus diesem Grunde wurden von allem Anfang an die reproduktionsmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten in den meisten Ländern mehr oder weniger genau kontrolliert bzw. einer restriktiven Gesetzgebung, besonders in allen deutschsprachigen Ländern Europas, unterzogen. Die Beschäftigung bzw. Auseinandersetzung mit der medizinisch unterstützten Reproduktion ist für viele Menschen, unabhängig vom sozialen Status und Beruf, mit sehr starker Emotion verbunden. Biologisch gesehen ist die Reproduktion in der Natur einer der wichtigsten Faktoren im Leben und die Menschen sind daher sehr stark darauf ausgerichtet – auch wenn es nicht unbedingt danach aussieht, betrachtet man unsere derzeitigen Geburtenraten in Europa. Die relativ schnell fortschreitende Forschung und der ständige Fortschritt auf diesem Gebiet, nämlich die Reproduktion des Menschen medizinisch zu unterstützen, wird auch entsprechend intensiv in den Medien abgehandelt und löst oft zwiespältige Reaktionen in der Bevölkerung aus. Tatsache ist jedoch, dass die derzeitigen Techniken der Reproduktionsmedizin auch Grenzen gesetzt sind und gerade der Altersfaktor der Kinderwunschpatientinnen durch diese Techniken nicht ausgeglichen werden kann. Das heißt die Erfolgsraten bzw. Schwangerschaftsraten gehen um das 40. Lebensjahr deutlich zurück, um dann noch vor dem 45. Lebensjahr nur mehr im einstelligen Bereich zu sein. Gegenläufig steigen die Abortusraten ab dem 40. Lebensjahr deutlich an (Tab. 4).
Als derzeitige Alternativen bietet sich neben der Eizellspende – die ja nur ein „Hilfsmittel“ ist, um schwanger zu werden, wobei die Frau ein zum Teil genetisch fremdes Kind austrägt – das „Ovarian Tissue Banking“ (OTB), das derzeit jungen Karzinompatientinnen angeboten wird, dafür an. Ebenso das Tieffrieren von Eizellen in jungen Jahren, die dann später, wenn Kinderwunsch besteht, abgerufen werden können.
Die Erfolge der Fortpflanzungsmedizin, die z. T. durch „überzogene Medienberichte“ den Frauen oft eine falsche Sicherheit vorgaukeln, mit diesen Techniken auch noch mit 40 und älter leicht schwanger werden zu können, unterstützen diesen Eindruck noch. Die Medien stellen diese Techniken oftmals als selbstverständlich, sehr erfolgreich, unabhängig vom Alter der Frau, dar. Auf der anderen Seite gibt es Gegner von allen Seiten, bis hin zur Kirche. Gesetzliche Vorgaben, die es bei Einhaltung derselben ermöglichen, dass ein Teil der Kosten von der öffentlichen Hand übernommen werden (IVF-Fonds-Regelung), verbunden mit einer Altersgrenze (bei der Frau Erreichung des 40., beim Mann des 50. Lebensjahrs), erhöhen den „Leistungsdruck“ für die Kinderwunschpaare noch mehr. Durch die völlig verschiedenen Gesetzgebungen in den einzelnen Ländern Europas kommt es zunehmend zu einem reproduktionsmedizinischen Tourismus. Das heißt, Paare reisen in Länder, in denen bestimmte Behandlungen erlaubt sind, die in ihrer Heimat verboten sind, oder sie erwarten sich eine Kostenersparnis. Als häufigste Gründe dafür gelten bessere Ergebnisse durch (s)elektive Embryonenkultur, Präimplantationsdiagnostik (PID)/Geschlechtsselektion, Eizellspende/Samenspende, Behandlung gleichgeschlechtlicher Paare etc. So ist die Eizellspende in vielen EU-Ländern erlaubt, außer wie bereits erwähnt in den deutschsprachigen EU-Ländern und Italien. Spanien, als streng katholisches Land, hat diesbezüglich keine Einschränkungen und ist auf diesem Gebiet europaweit führend. Ebenso sind diese Techniken in den Ostblock-Nachfolgestaaten erlaubt. So kommt es manchmal zu einer „Gratwanderung“ zwischen dem verständlichen Wunsch, sich mit den modernen reproduktionsmedizinischen Methoden den Kinderwunsch zu erfüllen, und der Begehrlichkeit, die biologische Uhr zu bezwingen oder sogar zurückzudrehen und den Erfolg oftmals um jeden Preis erzwingen zu wollen. Wobei manchmal die Reproduktionsmediziner den Anschein erwecken, als könnten sie dies auch wirklich. Die in manchen Ländern vorgegebene Altersgrenze für Frauen, die eine Eizellspende wollen, wird nicht immer eingehalten und somit sind die ältesten Mütter, die auf diese Weise ein Kind ausgetragen und geboren haben, inzwischen Ende 60. Derzeit gilt als älteste Mutter eine Inderin mit 70 Jahren. Als älteste Europäerin eine Spanierin, die alleinstehend, ohne Partner vor 3 Jahren mit 67 Jahren Zwillinge entbunden hatte und vor einem Jahr an Krebs verstorben ist. Somit sind diese Zwillinge Vollwaisen. Man muss sich natürlich hier mehrere Fragen stellen, einerseits was bei einem Kinderwunsch ab dem 50. Lebensjahr, in der Peri- bzw. schon in der Postmenopause dahintersteht. Ist dies medizinisch zu vertreten, da doch auch bei diesen späten Müttern die Zahl der Risikoschwangerschaften und Geburtskomplikationen deutlich erhöht ist? Warum machen Reproduktionsmediziner dennoch mit? Wie ist die ethische Seite zu sehen? Fragen, die schwer zu beantworten sind, dennoch sollen einige Überlegungen diesbezüglich als Denkanstoß dienen.
Argumente für die Erfüllung eines Kinderwunsches jenseits des 50. Lebensjahres:
Warum machen Reproduktionsmediziner bei fast allem mit?
Ethische Problemstellungen: All das bisher Gebrachte wirft natürlich auch im ethischen Bereich viele Fragen auf, letztendlich, wo die Grenzen sind, wer sie setzen, definieren soll und inwieweit die Entscheidung den Kinderwunschpaaren selbst überlassen werden soll. Im Folgenden einige überlegenswerte Fragestellungen:
Die meisten Religionen stehen der Reproduktionsmedizin eher reserviert bis ganz ablehnend gegenüber. Die Therapien werden von der Basis bis zu einem gewissen Grad geduldet, weil sich zumindest in den christlichen Religionen die betroffenen Paare mehrheitlich über die kirchliche Ablehnung hinwegsetzen. Diese Ansicht setzt sich naturgemäß auch in der Politik fort, Parteien mit christlich-sozialem Hintergrund stehen den Techniken kritischer und reservierter gegenüber als andere Parteien. Da es aber genügend Länder in der Europäischen Union gibt, in denen all diese Möglichkeiten auch durch- und ausgeführt werden dürfen, bleibt es letztendlich einem jeden Kinderwunschpaar mehr oder weniger selbst überlassen, die Entscheidung zu treffen, wie weit sie in den Behandlungen gehen wollen und dafür bereit sind, auch in andere Ländern zu gehen. Viele Fragen bleiben offen und sind nicht leicht endgültig zu beantworten, und so möchte ich mit Thomas von Aquin schließen: „Die Klugheit kann nicht sein ohne sittliche Tugenden.“