Nicht-kommerzielle vs. gewinnorientierte Abnahme von Nabelschnurblut – Stellungnahme der Bioethikkommission zu Nabelschnurblutbanken*

Gewinnung von Nabelschnurblutstammzellen

Das Nabelschnurblut, dessen Abnahme unmittelbar nach der Abnabelung des Neugeborenen und bei noch ungeborener Plazenta erfolgt, enthält eine relativ große Anzahl unreifer Blutstammzellen. Aus diesen können sowohl Blut- und Immunzellen als auch andere Gewebszellen wachsen. Das gewonnene Blut muss innerhalb von 24 Stunden zur Zellisolierung und Aufbewahrung der Zellen zu einer Nabelschnurblutbank transportiert werden.
Vor der Isolierung von Zellen aus dem Nabelschnurblut wird eine Reihe von Informationen eingeholt. Außerdem wird, wenn die Zellen nicht nur für Eigenbedarf, sondern auch zur Transplantation in andere Empfänger eingesetzt werden sollen, eine Gewebs-(HLA)-Typisierung der Probe durchgeführt. Die mittels geeignetem Verfahren isolierten Stammzellen werden eingefroren und in flüssigem NO bei –196 °C gelagert. Derzeit geht man davon aus, dass eingelagerte Nabelschnurblutstammzellen die gleichen Eigenschaften wie frisch isolierte Zellen haben. Allerdings liegen prospektive Daten bisher nur für Zellen vor, die bis etwa 10 Jahre gelagert wurden.

Verwendung von Nabelschnurblut

Im Rahmen der Verwendung von Nabelschnurblutstammzellen zur Transplantation wird grundsätzlich zwischen allogener und autologer Transplantation unterschieden.

Bei allogener Transplantation werden Stammzellen eines Spenders entnommen und auf eine andere Person übertragen. Diese Form der Transplantation wird zur Behandlung von Leukämie, Lymphomen, aplastischer Anämie und genetisch bedingten Blut- und Immunkrankheiten eingesetzt. Nach der Transplantation können die hämatopoetischen Stammzellen beim Patienten eine Repopulation des Knochenmarks bewirken und als Grundlage für die Blutzellenproduktion dienen. Weltweit wurden bisher zahlreiche Transplantationen mit Nabelschnurblutstammzellen von Geschwistern, aber auch unverwandten Spendern durchgeführt; in Europa stammen Zellen für ca. 2 % der allogenen Stammzelltransplantationen aus Nabelschnurblut. Bislang galt, dass nur für Kinder unter einem Körpergewicht von 40 kg die Menge an Stammzellen im Nabelschnurblut ausreicht, um eine bleibende Blutbildung zu erreichen. Die jüngsten Erfahrungen zeigen jedoch, dass es möglich ist, zur Behandlung von Erwachsenen mehrere Blutproben zusammenzuführen.

Von autologen Transplantationen spricht man, wenn es sich bei Spender und Empfänger um dieselbe Person handelt. Autologe Transplantationen werden derzeit gewöhnlich nach einer Chemo- oder Radiotherapie durchgeführt. Ziel der Transplantation ist die Repopulation des Knochenmarks des Patienten mit eigenen hämatopoetischen Stammzellen zur raschen Nachbildung von Blutzellen. Für diese Form der autologen Transplantation ist die Einlagerung eigener Nabelschnurblutstammzellen bei der Geburt nicht erforderlich. Derartige Transplantationen können durchgeführt werden, indem von dem Patienten nach Stimulierung durch einen Wachstumsfaktor vor der Therapie Stammzellen gewonnen werden.
Eine autologe Transplantation mit Nabelschnurblutstammzellen zur Behandlung von genetisch bedingten Blut- und Immunkrankheiten ist nicht möglich, da die Stammzellen ebenfalls die krankheitsbedingten Anlagen enthalten. Auch zur Behandlung von Leukämien und Lymphomen sind andere Therapien zu bevorzugen.
Zwar ist seit 1988 bekannt, dass die im Nabelschnurblut vorhandenen hämatopoetischen Stammzellen bei einigen Erbkrankheiten, schweren Blut- und Immunkrankheiten für allogene Transplantationen verwendet werden können, die Nutzung der eigenen Nabelschnurblutstammzellen in der regenerativen Medizin ist bislang allerdings nur eine hypothetische Möglichkeit. Daraus ergibt sich, dass es derzeit keine Indikationen zur flächendeckenden Einlagerung von Nabelschnurblut bei der Geburt zur künftigen autologen Transplantation gibt.

Nabelschnurblutbanken

Um Stammzellen aus Nabelschnurblut für Transplantationszwecke zur Verfügung zu haben, bestehen weltweit Zellbanken, die von Krankenhäusern oder Organisationen ohne Gewinnorientierung geführt werden.

Die Eigeneinlagerung ist nur in Bezug auf interfamiliäre allogene Transplantationen als sinnvoll zu erachten: Interfamiliäre allogene Transplantationen sind lediglich für seltene HLA-Typen oder für Familien mit erhöhtem Risiko für bestimmte Krebs- oder Tumorerkrankungen interessant. Hier kann es zweckdienlich sein, Nabelschnurblut von Neugeborenen einzulagern, um im Fall der Erkrankung eines Familienangehörigen auf Zellen zurückgreifen zu können. Tatsächlich haben Stammzellen, die aus Nabelschnurblut gewonnen werden, im Gegensatz zu Stammzellen von erwachsenen Spendern Vorteile, da sie weniger immunologisch geprägt sind und deshalb chronische Infektionskrankheiten weniger häufig übertragen werden. Die immunologische Unreife bedingt eine geringere Abstoßungshäufigkeit bei Transplantation mit Nabelschnurblutstammzellen, wodurch der Transplantationserfolg verbessert werden kann.

Ohne und mit Gewinnorientierung: Gegenwärtig gibt es weltweit rund 100 Nabelschnurblutbanken. 75 % der Nabelschnurblutbanken sind Zellbanken ohne Gewinnorientierung. Sie lagern auch Nabelschnurblutzellen für intrafamiliäre Nutzung bei bekannten Risiken in Familien mit seltenen HLATypen ein. In Österreich gibt es derzeit nur eine Nabelschnurblutbank für allogene Transplantationen. Diese wird von der Blutzentrale Linz betrieben. Bei 25 % der Nabelschnurblutbanken handelt es sich um kommerzielle Anbieter, deren Dienstleistung die Konservierung von Nabelschnurblut zur autologen Verwendung ist. In Europa sind kommerzielle Anbieter neben Österreich außerdem in Deutschland, den Niederlanden, Polen und dem UK tätig. In Italien und Belgien sind kommerzielle Nabelschnurblutbanken verboten.

In der Empfehlung des Ministerkomitees des Europarates REC(2004)8 vom 19. Mai 2004 wird unter anderem festgehalten, dass
• die Nabelschnurspenden auf altruistischer und freiwilliger Basis erfolgen und für allogene Transplantation und verwandte Forschungsgebiete genutzt werden sollte,
• Spenden für autologe Verwendung und die Einrichtung von autologen Nabelschnurblutbanken von den Mitgliedsstaaten und deren Gesundheitssystem nicht unterstützt werden sollten,
• die Bevölkerung über die Vor- und Nachteile von Nabelschnurblutbanken korrekt und präzise unterrichtet werden sollte
• und nicht zuletzt dass die Informationsmaßnahmen für Famili en korrekt und präzise sein müssen und die Einwilligung für die Gewinnung und Einlagerung von Nabelschnurblutstammzellen erst nach entsprechender vollständiger Aufklärung eingeholt werden darf.

Gemäß den Empfehlungen des Obersten Sanitätsrates (OSR) ist aggressive Werbung in den Spitälern durch kommerzielle Nabelschnurbanken zu untersagen und es darf keine finanzielle Kompensation für „Kundenwerbung“ angeboten werden. In diesem Kontext wurden die gynäkologisch-gebursthilflichen Abteilungen unter anderem angewiesen,
• jede Form der Werbung für die Abnahme von Nabelschnurblut zur autologen Verwendung in den Krankenanstalten zu untersagen,
• die Kontaktaufnahme zwischen den kommerziellen Nabelschnurblutbanken und dem zur Blutabnahme berechtigten Personal auf notwendige Schulungen zu beschränken,
• die Mutter durch einen Arzt der jeweiligen gynäkologischgeburtshilflichen Abteilung über Entnahme und Aufbewahrung von Nabelschnurblut aufzuklären,
• die Entscheidung über die Möglichkeit der Entnahme aufgrund der medizinischen Situation einzig dem behandelnden Arzt zu überlassen
• sowie als Informationsmaterial ausschließlich die Broschüren des Bundesministeriums für Gesundheit, Familie und Jug end aufzulegen.

Ethisch-kritische Bewertung

Das Autonomieprinzip und das Recht auf Selbstbestimmung werden durch die schriftliche Einwilligung der Frau/Eltern in die Abnahme von Nabelschnurblut und dessen Verwendung berücksichtigt. Weiters wird dem Kriterium der Autonomie entsprochen, da in Krankenanstalten ausschließlich die vom Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend erarbeitete Informationsbroschüre aufgelegt werden darf. Somit wird darauf geachtet, dass nur korrekte und präzise Informationen an Familien vor Einwilligung in Bezug auf die Entnahme von Nabelschnurblut zur autologen Verwendung weitergegeben werden. Und nicht zuletzt findet das Nichtschadensprinzip durch die verankerte Letztzuständigkeit der für den Geburtsprozess zuständigen GynäkologInnen in Bezug auf die Gewinnung des Nabelschnurblutes Anwendung. Diese garantiert, dass die Gewinnung von Nabelschnurblut den Geburtsprozess nicht beeinträchtigt.

Die Bioethikkommission empfiehlt, alle – sowohl die öffentlichen, als auch die privaten – nicht-kommerziellen und am Gemeinwohl orientierten Nabelschnurblutbanken in Bezug auf allogene Transplantationen verstärkt zu unterstützen.
Die Bioethikkommission empfiehlt, dass unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Gemeinwohlgerechtigkeit potenzielle Spender über die Möglichkeit der Spende von Nabelschnurblut zur allogenen Transplantation informiert werden sowie dass unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Gemeinwohlgerechtigkeit potenzielle Spender über die Möglichkeit der Spende von Nabelschnurblut zur Freigabe für die Forschung unterrichtet werden.
Hingegen empfiehlt die Bioethikkommission derzeit die Einlagerung von Nabelschnurblutstammzellen zur autologen Transplantation nicht. n

* vom 19. Mai 2008